Man merkt, da ruckelt noch so einiges: Am 1. Januar kam die elektronische Patientenakte – und mit ihr zahlreiche Probleme. Meine Top 6 der ePA-Pannen.
Am 1. Januar 2021 wurde die elektronischen Patientenakte (ePA) eingeführt, nachdem sechzehn Jahre an dem Mammutprojekt gezerrt wurde. Der Start ist nun alles andere als glorreich. Los geht es erstmal mit einer Testphase. Im ersten Quartal 2021 hat jeder Versicherte Anspruch darauf, eine elektronische Akte von seiner Krankenkasse zu erhalten. Aber nur ausgewählte Arztpraxen in Berlin und Westfalen-Lippe werden schon vernetzt. Erst im Juli 2021 sind alle Ärzte verpflichtet, sich an die ePA anzubinden.
„Ich freue mich dass die ePA endlich kommt“, schreibt ein E-Health-Experte auf Twitter. „Aber ich hätte mir gewünscht, dass wir 2021 nicht wieder mit einem Feldversuch starten, sondern gleich flächendeckend loslegen nach dieser langen Vorbereitungszeit. So war es ja auch ursprünglich geplant bis vor einigen Monaten ...“ Wohl wahr, nur reißt die Pannenserie noch lange nicht ab. Es folgen sechs Schwachpunkte, die mich an der ePA besonders stören.
Die ePA könnte einen Nutzen bringen, das steht außer Frage. Ob sie immer funktioniert, ist eine andere Sache. Laut Praxisbarometer Digitalisierung 2020 der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV) kritisierten 82 Prozent der befragten Ärzten die Fehleranfälligkeit ihrer Systeme. Ausfälle gab es teils monatlich, teils sogar wöchentlich.
Letztlich soll die ePA allen Patienten zugutekommen, auch ohne Informatik-Studium. Weit gefehlt: Selbst Digital Natives kommen ins Schwitzen – und ins Fluchen.
„Habe heute schon meine ePA freigeschaltet“, schreibt ein User auf Twitter. „Datenübertragung von eGA zu ePA läuft nicht ideal (selbst hochgeladene Dokumente sind weg). Dafür ist Design gelungen. Ich hoffe, die NutzerInnen bringen genug Geduld mit für die Registrierung.“ Und eine andere Userin ergänzt: „Für die PIN-Zustellung müssen Sie derzeit in ihrem Service-Center persönlich vorstellig werden.“ Und das ist inmitten der Corona-Pandemie bekanntlich ein Problem, weil die Servicestellen im Lockdown für den Kundenkontakt in der Regel geschlossen sind.
Aber auch bei Alternativen zum persönlichen Termin ist Sand im Getriebe, wie ein weiterer Kommentar zeigt: „Tag 2 und so richtig funktionieren möchte meine ePA noch nicht so. App ist nach dem VideoIdent gecrashed. Nach erneutem Installieren erkennt die App nicht mein Telefon als autorisiert an – Identifizierung wieder von vorne.“ Bleibt als Fazit: „Wenn wir als digital Affine daran scheitern, wie ergeht es dann 70-jährigen multimorbiden Patienten, die von der ePA sehr profitieren könnten?“
Noch ein Blick auf Vergütungen. Laut KBV erhalten Ärzte und Krankenhäuser zehn Euro, wenn sie eine ePA erstmalig befüllen. Ein niedergelassener Arzt aus München, den ich darauf angesprochen habe, bezeichnete es als „schlechten Scherz“, für rund 30 Minuten Arbeit zehn Euro zu erhalten. Dazu sei er nicht bereit. Sicher keine Einzelmeinung.
Bekanntlich können Versicherte steuern, welcher Arzt räumlich oder zeitlich Zugriff bekommt. Ab 2022 wird es darüber hinaus möglich sein, über die App für jedes Dokument einzeln festzulegen, wer darauf zugreifen darf. In der Arztpraxis bzw. bei weiteren Leistungserbringern kann der Zugriff ab 2022 auch auf bestimmte Kategorien von Dokumenten und Datensätzen innerhalb der ePA, wie beispielsweise Fachgebietskategorien, begrenzt werden.
„Wie soll ich jemanden behandeln, wenn ich nur die Hälfte der Befunde kenne? Woher weiß der Pat., was für mich relevant ist?“, fragt sich ein Neurologe auf Twitter. „Das widerspricht in meinen Augen dem Ziel der besseren Verfügbarkeit von Befunden.“ Und wie viele Menschen sterben Jahr für Jahr aufgrund fehlender Daten oder aufgrund von Mehrfachverordungen diverser Pharmaka? Ärztehopping ist bei vielen Senioren beliebt. Und irgendeine Praxis wird schon die gewünschten Sedativa oder Hypnotika verordnen. Hauptsache, wir schützen Daten bis zum Umfallen.
Die ePA kam nicht von heute auf morgen. Trotzdem hat es das Bundesministerium für Gesundheit offenbar versäumt, alle Beteiligten richtig zu informieren. Darauf deutet zumindest eine Umfrage unter 1.000 Ärzten vom Juli 2020 hin. Nur 27 Prozent fühlten sich gut oder sehr gut darauf vorbereitet, Patienten über die ePA aufzuklären – oder die Technologie effizient einzusetzen, um etwa Doppeluntersuchungen zu vermeiden. Und 57 Prozent wünschten sich, mehr über Potenziale der ePA bei der Zusammenarbeit mit Kollegen zu erfahren. Ob sich die Zahlen inzwischen arg verbessert haben, darf bezweifelt werden.
Noch schlechter sieht es bei Laien aus: Ende Dezember, kurz vor dem offiziellen Start, hatten 37 Prozent aller Versicherten noch nie etwas über die ePA gehört. Wer davon wusste, kannte noch lange nicht die grundlegenden Funktionalitäten (47,4 Prozent). Das zeigt eine repräsentative Befragung von mehr als 1.000 Personen.
Und nicht zuletzt: Erinnern Sie sich? Im letzten Jahr ging AvP, ein Dienstleister zur Abrechnung von Verordnungen, völlig überraschend pleite – und hat so manche Apotheke mit in den Abgrund gerissen. Gelernt haben wir daraus nichts. So verkündet das Research Industrial Systems Engineering (RISE) stolz, für 87 gesetzliche Krankenkassen die ePA bereitzustellen. „Was geschieht eigentlich mir den Patienten-Daten, wenn die RISE GmbH pleite geht?“, will ein User auf Twitter wissen. Antworten erhält er nicht.
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