Über SARS-CoV-2-Ausbrüche in Krankenhäusern wird oft vornehm geschwiegen. Doch wie entstehen sie? Zwei neue Publikationen geben einen Einblick. Spoiler: Nicht immer ist der Patient schuld.
Das deutsche Krankenhaus ist sicher! Das war in den zurückliegenden Corona-Monaten eines der Mantras des hiesigen SARS-CoV-2-Diskurses. Tatsächlich wird über Krankenhaus-Cluster vergleichsweise wenig berichtet, wenn sie nicht, wie während der ersten Welle im Ernst-von-Bergmann-Klinikum in Potsdam, gleich das halbe Haus betreffen. Auch dieser Ausbruch hatte damals allerdings investigativen Journalismus seitens der Potsdamer Neuesten Nachrichten erfordert, um in der Öffentlichkeit angemessen bekannt zu werden.
Wie die Kommunikation von Krankenhausausbrüchen gehandhabt wird, zeigten auch diverse Äußerungen von Vertretern unterschiedlicher Universitätskliniken nach der ersten Welle. Tenor in der Regel: „Es ist uns gelungen, in unserer Einrichtung Cluster zu vermeiden.“ In den Monaten danach stellte sich dann oft heraus, dass solche Formulierungen etwas beschönigend waren. Es kommt halt immer drauf an, wie man „Cluster“ so definiert.
Im Rahmen zweier aktueller Publikationen haben Wissenschaftler jetzt versucht, ein wenig mehr Licht in das Thema Krankenhaus-Cluster zu bringen – mit zwei unterschiedlichen Herangehensweisen. Eine spannende und medial bisher weitgehend ignorierte Analyse publizierten Krankenhaushygieniker um Dr. Sven Aghdassi vom Institut für Hygiene und Umweltmedizin der Charité Berlin in der zweiten Dezemberwoche in der Fachzeitschrift Antimicrobial Resistance & Infection Control.
Die Experten beschreiben vier SARS-CoV-2-Ausbrüche an einer der drei Campus-Kliniken der Charité Berlin in den Monaten März und April 2020. Einer dieser Ausbrüche betraf die Nephrologie, einer in der Anästhesiologie, einer in der Kinderchirurgie und einer die Neurologie. Alle vier Ausbrüche konnten mithilfe von Testen, Kontakt-Tracing und Maskenpflicht relativ rasch eingedämmt werden. Insgesamt wurden in den vier Ausbrüchen 24 Personen infiziert. 23 davon waren Krankenhausmitarbeiter, es gab nur einen einzigen mit diesen vier Clustern assoziierten Patienten.
Den Hygienikern gelang es, bei diesen vier Beispiel-Clustern – es gab noch einige mehr an der Charité während der ersten Welle, und es gibt weitere jetzt in der zweiten Welle – relativ genau die Infektionswege nachzuvollziehen. Bei jedem der vier Ausbrüche fanden sich ungeschützte Kontakte zwischen Mitarbeitern, also Kontakte ohne Masken. Im Falle des neun Personen umfassenden Ausbruchs an der Nephrologie wurde der Indexmitarbeiter zwei Tage nach Rückkehr aus dem Urlaub positiv getestet. Fall zwei war ein enger Mitarbeiter von Fall eins, und die sieben anderen Fälle – sechs Mitarbeiter und ein Patient – wurden im Rahmen des Kontaktpersonen-Tracings identifiziert. Alle bis auf einer dieser sieben hatten „ungeschützten Kontakt“ mit entweder Fall eins oder Fall zwei.
In der Anästhesie war es ähnlich: Zwei zunächst als isoliert betrachtete Fälle bei Mitarbeitern traten auf. Im Rahmen des Tracings demaskierte sich ein reines Mitarbeiter-Cluster mit sechs weiteren Infizierten. Die Orte der wahrscheinlichen Virusübertragung sind naturgemäß unterschiedlich. Labors, Aufenthaltsräume und Meetings mit mehreren Personen sind die Problemzonen, das zeigt sich auch erneut in der aktuellen zweiten Welle. Gleichzeitig können die Ergebnisse der Charité-Untersuchung auch sehr positiv interpretiert werden: Trotz relevanter Infektionen unter den Mitarbeitern gab es kaum Patienten, die angesteckt wurden. Masken helfen, und anders als im Aufenthaltsraum des Personals werden sie bei Patientenkontakt konsequent eingesetzt.
Einen anderen wissenschaftlichen Ansatz zur Untersuchung von Krankenhaus-Clustern haben Infektionsexperten um Dr. Gabriel Birgand vom Universitätskrankenhaus in Nantes, Frankreich, gewählt. In einer ganz aktuell in JAMA Network Open publizierten, systematischen Übersichtsarbeit haben sie alle Publikationen zwischen Januar und Oktober 2020 ausgewertet, in denen Aerosole in Krankenhäusern auf SARS-CoV-2 hin analysiert wurden. Dabei interessierten sie sich für unterschiedliche Orte, von „patientennah“ über Aufenthaltsräume und Flure bis hin zu Toiletten, außerdem für unterschiedliche Analysemethoden, namentlich PCR und kultureller Virusnachweis.
Insgesamt 24 Studien mit 471 Luftproben gingen in die Übersichtsarbeit ein. In knapp jeder sechsten „patientennahen“ Luftprobe fand sich SARS-CoV-2-RNA, wobei Proben in bis zu einem Meter Entfernung vom Patienten nicht häufiger positiv waren als Proben in einem bis fünf Meter Entfernung. Bei Luftproben in Patiententoiletten war knapp jede vierte Probe Virus-RNA positiv, in Mitarbeiteraufenthaltsräumen rund jede achte und in allgemeinen öffentlichen Bereichen jede dritte.
Nun stellt sich natürlich, wie so oft bei der PCR-Diagnostik, auch im Kontext der Krankenhausaerosole die Frage, welche klinische Relevanz ein positiver RNA-Befund hat. Hier gibt es zumindest Hinweise. Zum einen kann PCR-basiert die Viruslast analysiert werden. Eine vergleichsweise hohe Viruslast gab es demnach – in Mitarbeiteraufenthaltsräumen. Auch Patiententoiletten schnitten diesbezüglich nicht so gut ab, während Isolierstationen und COVID-19-Beatmungszimmer eher niedrige Viruskonzentrationen zeigten. Hohe Viruslasten gab es außerdem, wenig überraschend, bei Entnahme der Luftprobe in Situationen, in denen ohne Schutzequipment, sprich Patientenmaske, gearbeitet werden musste.
In immerhin fünf Publikationen wurde versucht, die Viren zusätzlich kulturell anzuzüchten. Das gelang nur bei 8,6% der Viruskulturen, und es waren ausschließlich patientennahe Luftproben. Insgesamt warnen die Autoren vor einer Überinterpretation ihrer Daten, da die Methodiken der Probennahmen nicht standardisiert gewesen seien und über die klinischen Rahmenbedingungen der Probennahme in den Publikationen oft nicht genug Details angegeben würden. Dennoch sprächen die Daten dafür, nicht zuletzt Mitarbeiteraufenthaltsräume als Orte potenziellen Spreadings ernst zu nehmen.
Bildquelle: Joshua Woroniecki, unsplash