Während sich Hersteller Gedanken um die Bioverfügbarkeit und die Galenik ihrer Präparate machen, beeinflussen Äußerlichkeiten die Adhärenz weitaus stärker. Das zeigen mehrere Studien. Generika an sich sind nicht das Problem – sondern häufig wechselnde Rabattverträge.
Bei der Zulassung von Generika geht es vor allem um die Wirksamkeit und die Sicherheit. Niedermolekulare Wirkstoffe müssen eine Bioäquivalenz von 80 bis 125 Prozent haben, bezogen auf das Originalpräparat. Teilweise beträgt die Abweichung weniger als fünf Prozent. Aus pharmazeutischem Blickwinkel ist die Sache klar. Entsprechende Vorgaben helfen wenig, sollten Patienten aufgrund äußerlicher Abweichungen ihre Präparate nicht oder nur unregelmäßig einnehmen.
Die Datenlage: Ergebnisse einer US-amerikanischen Studie mit 60.000 Teilnehmern zeigen, welche Parameter die Adhärenz negativ beeinflussen. Alle Personen erhielten orale Antiepileptika mit Carbamazepin, Lamotrigin, Zonisamid, Ethosuximid, Valproinsäure oder Phenytoin. Aaron S. Kesselheim aus Boston, Massachusetts, fand bei den Präparaten insgesamt 37 Farben. Allein Ethosuximid gab es in 19 Kolorierungen. Damit nicht genug: Die Präparate wiesen eine runde, ovale, elliptische, längliche oder schildähnliche Form auf. Forscher untersuchten, ob Patienten ihre Folgeverordnungen auch einlösten (Kontrollgruppe) oder nicht (Fallgruppe). Genau 11.472 Patienten wurden der Fallgruppe, und weitere 50.050 der Kontrollgruppe zugeordnet. Bei 1,2 Prozent aller nicht abgeholten Folgeverordnungen in der Fallgruppe hatte es in der Vergangenheit mehrfach „Farbwechsel“ aufgrund wechselnder Verordnungen gegeben, verglichen mit 0,97 Prozent in der Kontrollgruppe. Rein rechnerisch erhöhte sich die Non-Adhärenz signifikant um 27 Prozent. Kam es zum Wechsel der Tablettenform, waren es 0,16 versus 0,11 Prozent. Bleibt als Kritik, dass nicht alle Patienten, die ihr Rezept einlösen, Medikamente auch tatsächlich schlucken. Kesselheim rechnet deshalb mit höheren Werten bei der Non-Adhärenz. Gleichzeitig sieht er Ärzte und Apotheker in der Pflicht, Laien intensiver zu beraten.
Eine weitere Arbeit von Kesselheim berücksichtigte Daten von mehr als 11.000 Myokardinfarkt-Patienten, die nach ihrer Krankenhausentlassung Betablocker, ACE-Hemmer, AT1-Rezeptorblocker oder Statine erhalten hatten. Ärzte verordneten schon im ersten Jahr bei 29 Prozent aller Patienten Tabletten, die sich in Form und/oder Farbe von ursprünglich abgegebenen Präparaten unterschieden – unabhängig von etwaigen Dosisänderungen. Dabei definierte Kesselheim den Zeitraum, bis eine Packung verbraucht wurde, als Verordnungsepisode. Er verglich 4.573 Episoden, in denen es zum Abbruch der Behandlung kam, mit 19.881 regulären Episoden. Beim Wechsel der Farbe stieg das Risiko eines Stopps um 34 Prozent. Änderte sich die Form des Präparats, waren es sogar 66 Prozent. Mögliche Konsequenzen: Folgeerkrankungen bis hin zu einem früheren Tod, vom volkswirtschaftlichen Schaden gar nicht zu sprechen.
Jetzt hat die US Food and Drug Administration (FDA) das Thema zur Chefsache gemacht und weitere Daten gesammelt; eine Auswertung steht kurz bevor. Hersteller müssten mehr unternehmen, damit ihre Präparate nicht nur chemisch, sondern auch physikalisch, sprich von Erscheinungsbild her, dem original glichen, lautet eine zentrale Forderung der Behörde. In ihrem Dokument „Size, Shape, and Other Physical Attributes of Generic Tablets and Capsules – Guidance for Industry“ geben sie detaillierte Handlungsempfehlungen für Hersteller. Davon ist man hier zu Lande weit entfernt. Zwar hat die Deutsche Pharmazeutische Gesellschaft eine aktualisierte Leitlinie zur guten Substitutionspraxis veröffentlicht. Bei generischen Substitutionen spielen „neben den Eigenschaften der Arzneistoffe und der Qualität der Präparate Compliance-relevante Faktoren (z.B. Teilbarkeit, Farbe, Form, Geschmack usw.) eine wesentliche Rolle“, schreiben Experten lapidar. Details sucht man vergebens. Und die heiß diskutierten Substitutionsausschlusslisten befassen sich mit Wirkstoffen, nicht aber mit dem Aussehen von Medikamenten.
Generika sind an sich nicht das Thema – preisgünstige Präparate erhöhen sogar die Adhärenz. Das zeigte sich bei einer Studie mit 8.427 Glaukom-Patienten. Wie Joshua D. Stein aus Ann Arbor, Michigan, berichtet, behandelten Versicherte, die weiterhin ein hochpreisiges Originalpräparat verschrieben bekamen, ihre Erkrankung nicht so gewissenhaft wie Personen der Generika-Gruppe. Ein Grund: niedrigere Zuzahlungen. Als problematisch gelten wechselnde Rabattverträge, verbunden mit dem häufigen Austausch von Präparaten. Aktuellstes Beispiel: Zum 1. Juli gelten bei etlichen GKVen neue Regelungen. Millionen gesetzlich versicherter Patienten müssen damit rechnen, dass sie ab sofort andere Arzneimittel als bisher erhalten – Non-Adhärenz inklusive. Bundesweite Rabattverträge mit längerer Laufzeit wären ein möglicher Lösungsansatz.