Während mich der Notarzt wegen akuter Atemnot in die Klinik brachte, blieben mein Mann und die Kinder allein unterm Christbaum zurück. So war mein Weihnachten vergangenes Jahr. Es war schwierig – und ein bisschen schön. Warum, erzähle ich hier.
Manchmal bleibt einem aber auch nichts erspart, etwa ein Heiligabend auf der Onkologischen Station. Das muss man erst mal verpacken. Gerade, wenn man noch Kinder hat, für die Weihnachten das „Allergrößte“ ist, ist das ein heftiger Schlag. „Süßer die Glocken nie klingen“ eben. So beginnt mein Beitrag, den ich letztes Jahr um diese Zeit verfasst habe. Klar, es ist immer noch heftig, wenn man das Weihnachtsfest auf der Station verbringen muss, aber in der Rückschau betrachtet, muss ich sagen: Wie kuschelig war das trotz der Dramatik „damals“. Gerade die unten beschriebenen Überraschungsbesuche und die Reise an die Küste wären jetzt nicht drin.
Ich kann so gut nachempfinden, was COVID-19-Patienten jetzt durchmachen. Das Ringen nach Sauerstoff ist so fürchterlich und beängstigend. Du sitzt aufrecht im Bett, vornüber gebeugt und hechelst mit aufgerissenen Augen vor dich hin. Dein Blick geht ängstlich durch den Raum, alle wuseln hektisch um dich rum, die Ärzte und das Pflegepersonal schauen angestrengt, kein Lächeln, höchste Konzentration. Es ist bedrückend und das möchte – glaubt mir – niemand erleben.
Ich wünsche allen Menschen da draußen, die sich gerade jetzt in einer sehr ähnlichen Situation befinden, dass ihnen sehr schnell geholfen wird, sie wieder nach Hause kommen und ihre Lieben in die Arme schließen können (ja, ja … schon gut, ihr wisst, was ich meine …). Und wenn das nicht möglich ist, lasst uns an den guten Gedanken aus den Kindertagen oder dem letzten Jahr wärmen und dem, was hoffentlich im kommenden Jahr wieder möglich ist. Gut, das ist vielleicht ein wenig kitschig formuliert, aber etwas Puderzucker hatte ich noch in der Tastatur und Weihnachten ist ja auch das Fest der Hoffnung!
Für mich liefen die Weihnachtstage auf der Station vor vier Jahren so ab: Vier Tage vor dem Fest wurde ich vom Notarztwagen wegen akuter Luftnot und Verdacht auf Lungenentzündung aus dem weihnachtlich geschmückten Wohnzimmer abgeholt, zwanzig Minuten später lag ich in der unwirtlichen Notaufnahme „meiner“ Universitätsklinik. Immerhin leuchteten da ein paar Kerzen. Mann und Kinder bleiben allein unterm Christbaum zurück, dudelnde Weihnachtslieder im Hintergrund. Die hallten in meiner Wahrnehmung noch nach.
Krankheiten – das musste ich bitter lernen – machen eben nicht vor den Festtagen halt. Ein sehr lieber und mitfühlender Freund meinte mal, damals, als die Krankheit ausbrach, dass der Herrgott uns nur Prüfungen schicke, von denen er wüsste, dass wir sie bestehen. Ob „der da oben“ dabei auch die Weihnachtstage mit einbezog? War das auch Teil der von ihm benannten Prüfung? Hatte ausgerechnet er sich dieses Timing ausgedacht?
Als ich endlich auf der Station ankam, sah ich in das Gesicht einer älteren Mitpatientin, die sich auch gleich besorgt auf den Stuhl neben meinem Bett setzte. Wir kannten uns bereits. Das war schon mal ein Trost. Sie hielt meine Hand und beruhigte mich einfühlsam. Dann kamen auch schon die Ärzte und besprachen die Therapie. „Cortison … murmel, murmel, …Sauerstoff, mmmh und dann geben wir noch xyz …“ so ungefähr hörte sich das für mich an. Viel bekam ich allerdings nicht mit, im Hinterkopf hatte ich noch das weihnachtliche Wohnzimmer.
Die gute Nachricht vorweg: Am 23.12., also dem Tag vor dem Heiligen Abend, hatte sich alles „eingepegelt“. Die Situation war so weit im Griff. Der Sauerstoff konnte runtergefahren werden und auch das Cortison. Ich sah zwar aus wie eine sprechende Christbaumkugel, mein Gesicht war rund und rot, aber das war mir egal. Die Gefahr war vorbei und das war die Hauptsache. Blieb also nur noch die Tatsache, dass ich nicht am Heiligabend zu Hause sein würde. Die „ganz besondere Situation“ war eingetreten. Wie kamen wir da alle jetzt gut durch? Wie würden die Kinder reagieren?
Ich hatte mich entschieden, den Fernseher einfach auszulassen – meine Bettnachbarin hatte frei bekommen und war nicht da –, viel zu lesen und Musik zu hören. Keine Weihnachtsmusik, so viel stand fest. Dieser Tag sollte sich einfach anfühlen wie ein ganz normaler Tag. Dumm nur, dass ich von meinem Fenster aus die hell erleuchteten Weihnachtssterne sehen konnte, die links und rechts in der Allee zur Klinik angebracht waren, und dazu noch – na klar – im Zentrum der Inszenierung ein prächtiger Weihnachtsbaum. Aber komischerweise tat dieser Anblick sogar ganz gut. Vor allem die Ruhe war angenehm. Einfach mal etwas weniger Lametta, sozusagen „X-Mas-detoxen“.
Dann machte es auf einmal pling in meinem Handy. Eine Nachricht von einer Freundin: „Bin gerade hier unten in der Lobby. Wo liegst du? Sag mal die Zimmernummer an.“ Ich war perplex. Wenige Minuten später saß sie auf meinem Bett mit einem kleinen Geschenk in der Hand. Das war ein echter Glücksmoment, der einfach unbeschreiblich schön war. Wir redeten und lachten und drückten uns immer mal wieder die Hände. Die Botschaft war klar.
Nachdem sie gegangen war, klingelte mein Telefon: „Sag mal, magst du lieber Prosecco oder Sekt. Weihnachtsgans, Rotkohl und Klöße habe ich auch dabei und natürlich viel Eis. Das isst du am besten gleich.“ Freundin Nummer zwei war im Anmarsch. Ich traute meinen Ohren kaum. Es war einfach der Hammer.
Schließlich kam auch mein Mann und brachte selbst gemalte Bilder der Kinder und kleine Geschenke mit. Schmerzliche Anmerkung: Kinder unter 14 Jahren dürfen nicht auf die Onkostation und das war bei den beiden jüngsten leider der Fall. Er berichtete mir, dass die Oma ganz selig sei, in diesem Jahr mit den Kindern feiern zu können. Denn sonst waren wir kurz vor Heiligabend immer auf „unserer“ Ostseeinsel. Alle waren zufrieden und vor allem froh, dass es mir wieder besser ging.
Mir selbst gingen zwei andere Geschichten durch den Kopf: Die Schwestern – als wenn sie nicht auch so schon genug zu tun hätten – müssen am Heiligabend regelmäßige „Bettwachen“ leisten und zwar für Patienten, die mit aller Macht – entgegen ärztlicher Anweisung – nach Hause und „ausbüchsen“ wollen. Und auch das Gegenteil geschieht bei uns mitten in Deutschland: An den Tagen vor Weihnachten füllen sich die Notaufnahmen mit Menschen, denen es eigentlich, die Betonung liegt auf dem „eigentlich“, an nichts fehlt. Sie sind einsam, sie haben niemanden zum Reden und da ist die Klinik ein willkommener Ort für Ansprache. Mir werden die Augen feucht, wenn ich an diese, vor allem ältere, Menschen denke.
Den Ärzten/innen, Schwestern und Pflegern, die an diesen Tagen Dienst schieben, gilt sowieso mein großer Dank. Denn auch das muss unbedingt mal erwähnt werden. Diese Menschen haben einen entscheidenden Anteil daran, dass es nicht ganz so schwer auf der Seele lastet, wenn man die Weihnachtstage in der Klinik verbringen muss. Mein „Weihnachtsteam“ war ganz besonders reizend.
Mit einer Schwester habe ich nach ihrer Schicht einen kleinen Feierabend-Weihnachtssekt getrunken. Ich hatte ja noch einen kleinen Rest. Es hatte tatsächlich so etwas von einem Jugendherbergsgefühl aus längst vergangenen Schultagen. Der „Lehrer“ hat uns nicht erwischt und ich wurde endlich am zweiten Weihnachtsfeiertag entlassen. Die Reise auf die Insel konnten wir dann auch noch antreten. Alles noch mal gut gegangen. Wahrscheinlich hat doch einer dieser Schutz- oder Weihnachtsengel auf mich geschaut. Die dürften dieses Jahr mächtig viel zu tun haben.
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Bildquelle: JOSHUA COLEMAN, unsplash