Auf dem weltweit größten Kongress zum Thema Andrologie betonten die Referenten die Bedeutung der männlichen Fruchtbarkeit als wichtigen Indikator für die Gesundheit. Auch SARS-CoV-2 rückt hierbei in den Fokus.
Eine der wichtigsten Botschaften von Andrology 2020, des weltweit größten Andrologie-Kongresses, betrifft unfruchtbare Männer, denn sie haben ein hohes Risiko für weitere Begleiterkrankungen. Der Kongress fand in diesem Jahr erstmals rein digital statt.
„In der pandemischen Situation war das digitale Format perfekt, um Einblick in die jüngste Forschung und klinische Entwicklungen zu gewinnen und andrologische Kompetenz in Forschung und Patientenversorgung weltweit zu stärken“, so Prof. Sabine Kliesch, Chefärztin der Abteilung für Klinische und Operative Andrologie, Centrum für Reproduktionsmedizin und Andrologie (CeRA) an der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster. Sie hofft auf einen stimulierenden Effekt für die Zukunft der Andrologie mit dem Ziel, die Gesundheit der männlichen Bevölkerung zu verbessern.
Dafür brachte Andrology 2020 eine Reihe klinisch relevanter Erkenntnisse: So ist der Zusammenhang zwischen Testosteronmangel und erhöhter Sterblichkeit in Studien gesichert, was die Notwendigkeit der Behandlung eines Hypogonadismus unterstreicht. „Vor allem müssen wir die Fruchtbarkeit des Mannes neu bewerten und als Indikator für die Männergesundheit ansehen und unsere Patienten dahingehend beraten“, sagt Kliesch. „Wir wissen heute, dass die Fruchtbarkeit ein Fenster zur Gesundheit des Mannes ist und schwerstinfertile Männer im späteren Leben deutlich häufiger Begleiterkrankungen entwickeln, die ihre weitere Lebenserwartung beeinflussen.“
Das sogenannte OAT-Syndrom führt nach epidemiologischen Studien zu einem erhöhten Risiko für Tumorerkrankungen. Betroffene Männer haben zu wenig, zu gering bewegliche und vermehrt fehlgeformte Spermien. Ihr Risiko für Keimzelltumoren ist 2–3-fach erhöht, das Risiko für Prostatakarzinome ist 1,7-fach erhöht, und ihr Risiko für Krankenhausaufenthalte wegen kardiovaskulärer Erkrankungen steigt mit abnehmender Spermienzahl.
Mit Blick auf Keimzelltumoren zeigt sich eine zunehmende Bedeutung der genetischen Prädisposition und von Umweltfaktoren. In der Diagnostik sind neue miRNAs den klassischen Tumormarkern (AFP, hCG, LDH) zum Teil überlegen.
Die soziale Komponente der Männergesundheit machen noch unveröffentlichte Daten einer asiatischen Studie deutlich. Dem Asian Male Health Report zufolge haben unverheiratete Männer ein dreimal höheres kardiovaskuläres Erkrankungsrisiko. Heirat reduziert das kardiovaskuläre Erkrankungsrisiko demnach um 46 Prozent, während ein niedriges Einkommen die Rate ischämischer Herzerkrankungen verdoppelt.
Beim Thema ungewollte Kinderlosigkeit wurde betont, dass es von zentraler Bedeutung sei, immer das infertile Paar in den Blick zu nehmen und beide Partner zu untersuchen. Der Faktor Zeit sei dabei nicht zu unterschätzen, denn trotz großer Fortschritte bei der assistierten Reproduktion mit Schwangerschaftsraten von bis zu 80 Prozent nach vier Behandlungszyklen bleibe das Alter der Frau entscheidend für die Erfolgsrate. Studien zeigten, dass Frauen zum Zeitpunkt der künstlichen Befruchtung im Durchschnitt 35,5 Jahre alt sind und die Schwangerschaftsrate dann bei nur noch 35 Prozent liegt.
Umso wichtiger, dass es mittlerweile eine ganze Reihe neuer Spermienfunktionstests gibt, die ihren Weg aus der Grundlagenforschung in die klinische Anwendung finden und die Funktionsstörungen auf zellulärer Ebene sichtbar werden lassen. Ein großer Fortschritt für die Behandlung des Paares mit unerfülltem Kinderwunsch.
Für großen Forschungsbedarf sorgt das Corona-Virus auch in der Andrologie: Bereits jetzt wurde in einer Studie ein Zusammenhang zwischen Testosteron und dem Verlauf von COVID-19 beobachtet. Danach ist ein zu 95 Prozent günstiger Krankheitsverlauf zu erwarten, wenn der Testosteronwert bei stationärer Aufnahme über 5 nmol/l liegt. Dagegen bedeutet die Testosteronabnahme von 1 nmol/l unter diesen Schwellenwert bereits ein um 42 Prozent erhöhtes Risiko für einen ungünstigen Krankheitsverlauf.
Völlig unklar ist derzeit noch, ob die Expression der Rezeptoren, an denen das Virus im Hoden problemlos andocken kann, tatsächlich Effekte auf die Fruchtbarkeit haben wird.
Zur vollständigen Pressemitteilung der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster kommt ihr hier.
Bildquelle: Tim Bogdanov, Unsplash