Früher war ich ja um einen Ratschlag nie verlegen. Es freut sich doch jeder, wenn er vom Chefarzt einen Tipp kriegt. Oder?
Führungskräfte werden ständig nach ihrer Meinung gefragt. Und wenn wir etwas gefragt werden, dann haben wir auch eine Antwort:
Ich gebe immer gerne meinen Senf dazu. In Sitzungen habe ich auch was zu sagen. Wie käme es an, wenn ich einfach nur zustimme!? Die Verbesserungen sind doch gut gemeint, sie bereichern die Arbeit der Kollegen, unterstützen sie!
Oft sind es ja nur Ratschläge, die ich gebe. Es sind Ideen, die mir beim Durchlesen oder Zuhören einfallen. Beim zweiten Nachdenken sind sie, wenn ich ehrlich bin, auch nicht ganz so gut. Aber fast immer greifen meine Kollegen die Vorschläge auf. Na dann müssen sie doch gut sein, oder?
So dachte ich zumindest, bis mich ein Buch von Marschall Goldsmith ins Grübeln brachte. Goldsmith beschreibt die Auswirkungen, die es hat, wenn Führungskräfte einen fatalen Fehler begehen: Sie versuchen ständig alles zu optimieren („adding too much value“). Goldsmith weist auf drei Probleme hin, die es zu bedenken gibt, wenn
Je höher wir auf der Führungskräfte-Leiter steigen, desto mehr müssen wir uns einer Tatsache bewusst machen: Unsere Vorschläge werden nicht als solche verstanden, sondern als Anordnungen. Der Chef möchte es so, also machen wir es eben so. Dagegen können wir wenig tun. Selbst wenn wir beteuern, es sei nur ein Vorschlag. Dann werden wir vielleicht als netter Chef wahrgenommen, der gerade ein mehrtägiges Führungskräfte-Seminar besucht hat und sich richtig Mühe gibt, alles umzusetzen. Aber das ändert nichts daran: Befehl ist Befehl.
Folgt man Goldsmith, dann geht es uns nicht immer um die Sache. Es geht ums Gewinnen. Wir sind die Chefs, also müssen wir auch etwas beisteuern. Oft wollen wir einfach zeigen, dass wir auch Sachverstand haben, wir wollen gewinnen. Aber tun wir nicht gut daran, Kollegen zu haben, die in Teilbereichen fachlich besser sind als wir? Dann müssen wir auch wohl dies so akzeptieren und sie die Arbeit machen lassen, die nicht von uns optimiert werden muss.
Um etwas zu realiseren sind zwei Dinge wesentlich:
Als Führungskräfte tun wir gut daran, beide Punkte im Blick zu haben, wenn wir Kollegen dafür gewinnen wollen, mit ganzer Energie und mit vollem Engagement bei der Sache zu sein.
Durch unsere Vorschläge können wir Projekte bestimmt um ca. 5 Prozent verbessern. Aber oft übersehen wir, was dabei mit der Motivation des Mitarbeiters passiert. War es bis vor kurzem noch „sein“ Projekt, sein „Baby“, auf das er stolz war, so ist es das jetzt nicht mehr. Durch unseren Beitrag der Verbesserung ist es jetzt unser Projekt, nicht mehr sein eigenes. Wir haben mit dem Vorschlag die Qualität um 5 Prozent gesteigert. Gleichzeitig haben wir das Engagement des Mitarbeiters um 50 Prozent gesenkt.
Da drängt sich die Frage auf:
Wenn durch unsere Ergänzungen ein schwerer Fehler vermieden wird natürlich ja!In allen anderen Fällen: eher nicht! Ich habe mir angewöhnt, auch hier das Pareto-Prinzip anzuwenden: Ist der Entwurf, Beitrag oder Vorschlag des Mitarbeiters zu 80% gut, dann halte ich einfach meine Klappe. Ich behalte die Ideen für mich und gebe Wertschätzung für die geleistete Arbeit.
Wenn mir das schwerfällt, hilft mir die Erkenntnis, dass ich mit meinen Vorschlägen mehr schade als nutze.
Wenn Sie das nächste Mal den Impuls verspüren, Rat zu geben oder Ergänzungen zu machen, halten Sie kurz inne.
Nein? Denn geben Sie stattdessen Wertschätzung und Anerkennung (statt zu loben) und gönnen Sie dem Kollegen den alleinigen Erfolg für das Gelingen.
Bildquelle: Cyclonebill, flickr