Pünktlich zum Corona-Lockdown starten fünf Krankenkassen ein bundesweites E-Rezept. Aber ziehen auch die Ärzte mit?
Marketing hilft, keine Frage. Techniker Krankenkasse, Barmer, DAK Gesundheit, Hanseatische Krankenkassen und Big direkt Gesund haben bekanntgegeben, dass sie ihr schon seit rund einem Jahr vorangetriebenes, elektronisches Rezept jetzt bundesweit zugänglich machen. Wird also pünktlich zum bundesweiten Corona-Lockdown die größte digitale Versorgungslücke im deutschen Gesundheitswesen geschlossen?
Den Eindruck könnte zumindest gewinnen, wer sich den Namen des neuen Angebots ansieht, das die Verantwortlichen forsch „eRezept Deutschland“ nennen, samt dazu passender Website gleichen Namens. Klingt wie Nationalmannschaft. Drunter macht man es nicht. Tatsächlich lohnt ein Blick in die Details des Projekts, zum einen, um festzustellen, dass es nicht ganz so imposant ist, wie es klingt, zum anderen aber auch, weil es trotz alledem eines der interessantesten und zukunftsgewandtesten Digitalprojekte im deutschen Gesundheitswesen ist.
Doch der Reihe nach: Das Bundesgesundheitsministerium hat das E-Rezept bekanntlich aus der Rösler-/Bahr-schen Moratoriumsversenkung zurückgeholt und qua Gesetz das Jahr 2022 als Startjahr für das verpflichtende elektronische Rezeptieren im GKV-Kontext ausgerufen. Die ursprüngliche Idee war, dass zunächst diverse Pilotprojekte ausprobieren, was digital in der Versorgung funktioniert und was nicht. Dieses Praxiswissen sollte dann in den Entwicklungsprozess bei der Gematik einfließen, die aufbauend auf den Praxiserfahrungen eine Spezifikation erstellt.
Das funktionierte aus mehreren Gründen nicht. So hatten sich etwa die Apotheker gegen eine reguläre Erstattbarkeit der elektronischen Rezepte erfolgreich gewehrt, sodass eRezept-Projekte Stand im Moment den mühsamen Weg über Selektivverträge gehen müssen. Zudem war der politische Zeitplan so ehrgeizig, dass die Gematik-Spezifikation mehr oder weniger schon fertig sein musste, bevor überhaupt in relevantem Umfang Praxiserfahrungen gesammelt werden konnten. Dann hatten die Apotheker auch noch durchgesetzt, dass die Rezept-App auf Seiten des Patienten einheitlich sein und von der Gematik entwickelt werden soll.
Das alles hat die bunte E-Rezept-Landschaft in Deutschland etwas umgepflügt. Die Gematik hat ihre eRezept-Spezifikation im Sommer fristgerecht vorgelegt. Technisch passt die nicht wirklich zu dem, was die meisten Pilotprojekte machen wollten. Einige Projekte, etwa das in Baden-Württemberg, wurden gecancelt. Die Krankenkassen um TK, DAK und Barmer mit ihren Partnerunternehmen, dem Technikdienstleister eHealthTec, einer Tochter des Zur Rose Konzerns, sowie den Praxis-IT-Herstellern medatixx und Medisoftware, machten weiter – und wagen sich jetzt aus der Deckung.
Versicherte der TK hatten bisher schon die Möglichkeit, in eng umschriebenen Situationen E-Rezepte zu nutzen. Das betraf in erster Linie den Telemedizin-Service TKDoc, den die Kasse im Zuge der ersten Corona-Welle aufgebaut hatte und seither über die TKDoc-App mit kooperierenden Ärzten anbietet. In diesem Kontext gab es auch bereits eine Zusammenarbeit mit zahlreichen Apotheken bundesweit, auf die jetzt aufgesetzt wird.
Die teilnehmenden Krankenkassen bieten ihren Versicherten im Rahmen unterschiedlicher Apps – bei der TK ist es TKDoc, bei DAK und Barmer heißt die App „eRezept App“ – ab sofort das elektronische Rezept zur Nutzung an. Teilnehmende Ärzte generieren einen QR-Code, den der Patient in der Praxis einliest. Das Rezept ist dann digital verfügbar und kann in einer von über 1.000 kooperierenden Apotheken, einschließlich Versandapotheken, eingelöst werden.
Die Apotheken sind also nicht das Problem. Bei den Ärzten sieht es etwas anders aus. Hier ist die Zahl der bisher teilnehmenden Kollegen doch noch sehr überschaubar. Die eRezept-Apps der Krankenkassen machen das mit ihrer Suchfunktion sehr schön transparent: In einem Radius von 100 km in und um Berlin sind derzeit zwei Arztpraxen an Bord, in München und Frankfurt/Main je vier und in einem 100 km-Kreis um Hamburg herum sieben.
Sind die Ärzte besonders zögerlich? Tatsächlich hat die ärztliche Zurückhaltung wahrscheinlich mehrere Gründe. Zum einen ist die Zahl der Arztpraxen, die teilnehmen können, übersichtlicher als es in den Presseverlautbarungen klingt. 22.000 Praxen in Deutschland nutzen medatixx und Medisoftware-Systeme. Nur ein Bruchteil davon ist im Moment anschlussfähig, denn längst nicht alle Systeme der beiden Hersteller haben das eRezept-Tool schon implementiert.
Erschwerend kommt die schon angesprochene Selektivvertrags-Thematik hinzu. Sie macht das „Onboarding“ für Ärzte gelinde gesagt mühsam. Eine Registrierung beim Technikdienstleister eHealthTec ist nötig, ein Vertrag zur digitalen Signatur mit in diesem Fall Swisscom. Beim Selektivvertrag selbst muss der Arzt auch noch einchecken. Erst dann können die Funktionen in der Praxis-IT auch wirklich freigeschaltet werden. Das dürfte manche abschrecken. Immerhin gibt es finanzielle Anreize für die Teilnehmer, und tatsächlich werden bereits eRezepte von den teilnehmenden Praxen ausgestellt und von den Patienten eingelöst. Vielleicht sorgt der Lockdown ja für Zulauf. Klar scheint in jedem Fall, dass die Mehrheit der Deutschen gegen Corona geimpft sein wird, bevor das „offizielle“ eRezept der Gematik startet.
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