Todesstoß für Tresiba®: In Kürze wird das Präparat vom deutschen Markt verschwinden – nach einer negativen Einschätzung durch das G-BA. Einmal mehr fragen sich Experten deshalb, ob die Nutzenbewertung wirklich funktioniert.
Typ-1- und Typ-2-Diabetiker schätzen Insulin degludec (Tresiba®) als Insulin-Analogon mit sehr langer Wirkdauer und stabiler Pharmakokinetik. Nach der Injektion entstehen im subkutanen Wirkstoffdepot Hexamere, die kontinuierlich Insulin freisetzen. Insulin degludec reduziert das Risiko von Unterzuckerungen, vor allem nachts. Eine Metaanalyse basierend auf Zulassungsstudien des Herstellers zeigte im Vergleich zum lang wirksamen Insulin Glargin, dass das Risiko nächtlicher Hypoglykämien um 25 Prozent gesenkt werden konnte.
Mit diesen Zahlen allein ist noch nichts zu gewinnen. Im Zeitalter des AMNOG befasste sich der Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA) mit der Frage, welchen tatsächlichen Mehrwert Insulin degludec hat. Als Vergleichstherapien wählten Experten Humaninsulin und Humaninsulin plus Metformin. Sowohl bei der Monotherapie, der Kombinationstherapie und der Kombinationstherapie mit Bolustherapie von Typ-2-Diabetes sei ein Zusatznutzen nicht belegt, schreibt das Gremium. Auch bei Typ-1-Diabetes sahen Forscher keinen Mehrwert – und ernteten viel Kritik. „Der G-BA ignoriert ein wesentliches Problem in der Diabetesbehandlung, nämlich nächtliche Hypoglykämien bei Menschen mit Typ-1-Diabetes“, so Professor Dr. Hans-Georg Joost von diabetesDE. „Viele Patienten mit Diabetes Typ 1 haben morgens immer wieder mit hohen Blutzuckerwerten im Rahmen des Dawn-Phänomens zu kämpfen. Um dies zu verhindern, ist eine stabile Basalinsulinversorgung über Nacht erforderlich.“
Davon ließ sich die Schiedsstelle nicht überzeugen. Blieb als Option, Listenpreise an der Therapie mit Humaninsulin zu orientieren. Für Novo Nordisk sei dies nicht tragbar, heißt es in einer Mitteilung. Um Tresiba® während des neuen Nutzenbewertungsverfahrens im deutschen Markt zu halten, hatte der Konzern reduzierte Listenpreise und weitere Rabatte angeboten. Davon wollte der GKV-Spitzenverband wiederum nichts hören. Grund genug für den Hersteller, Tresiba® ab Ende September 2015 in Deutschland nicht mehr zu vertreiben – und etwa 40.000 Patienten vor den Kopf zu stoßen. „Die Vertriebseinstellung erfolgt nicht aus medizinischen, sondern allein aus Kostengründen“, so Professor Dr. Baptist Gallwitz, Präsident der Deutschen Diabetes Gesellschaft (DDG). Das sehen nicht alle Akteure so. Ein Blick auf Krankenkassen: „Die Verantwortlichen bei Novo Nordisk kannten die gesetzlichen Rahmenbedingungen und sie wussten, dass ihr Präparat keinen Zusatznutzen hat. Umso unverständlicher ist es, dass sie erst mit Hilfe von Pharmaberatern und Marketing breit in den Markt gehen, viele Menschen auf das Präparat einstellen lassen und das Produkt nun wieder vom Markt nehmen“, moniert Dr. Jens Baas, Vorstandsvorsitzender der TK. „Patienten und Ärzte werden durch dieses verantwortungslose Verhalten stark verunsichert.“ Jenseits des Disputs erhalten Patienten Tresiba® bald nur noch über internationale Apotheken – ohne Anspruch auf reguläre Erstattung. Alternativ müssen sie auf ein anderes, langwirksames Insulin umgestellt werden. Die Kosten lassen sich momentan nicht quantifizieren.
Insulin degludec ist kein Einzelfall – Apotheker und Ärzte kritisierten in den letzten Monaten etliche Entscheidungen des G-BA. Häufig stören sie sich an vermeintlich oder tatsächlich ungeeigneten Vergleichstherapien. Gallwitz selbst will sich in seiner Amtsperiode als Präsident der DDG unter anderem für eine stärkere Positionierung medizinischer Fachgesellschaften bei AMNOG-Entscheidungen stark machen. „Das Anliegen des Gesetzes zur Neuordnung des Arzneimittelmarktes, einen fairen Arzneimittelwettbewerb zu schaffen, sollte keinesfalls zulasten der Therapiesicherheit unserer Patienten gehen“, sagt der DDG-Präsident. „Denn ohne die Erfahrungen der behandelnden Ärzte kann keine wissenschaftlich und therapeutisch sinnvolle Entscheidung getroffen werden, welche Medikamente erstattet werden und welche nicht.“ Eine Gratwanderung: Wissenschaftliche Expertise tut Not. Allerdings gelten nicht alle medizinischen Fachgesellschaften als neutral. Die DDG stellt hier keine Ausnahme dar. Bei einem Übersichtsartikel zur Therapie des Typ-2-Diabetes würden „von den Autoren subtil die Leitlinien verbogen (in Richtung der pharmafreundlichen DDG) und etablierte Medikamente, wie Metformin, mit denen sich kein Geld mehr verdienen lässt, madig gemacht“, schreibt Dr. Niklas Schurig von MEZIS in einem Kommentar. Mittlerweile geben die Autoren wissenschaftlicher Leitlinien ihre Interessenkonflikte zwar häufig an. Klare Regeln zum Umgang, wie schon heute in den USA üblich, fehlen aber nach wie vor. Apotheker stören sich daran kaum. Sie hadern seit Jahren mit der grundsätzlichen Frage, ob sich ihr Berufsstand beim G-BA beteiligen soll – oder nicht. Die unendliche Geschichte wird beim Deutschen Apothekertag 2015 mit Sicherheit um ein weiteres Kapitel bereichert.