Jeder darf eine Meinung zur bevorstehenden Corona-Impfung haben – natürlich auch wir Mediziner. Eines möchte ich als Gefäßchirurg aber klarstellen: Die meisten von uns sind keine Impfstoff-Experten.
Wie steht man als Arzt zu Kollegen, die sich gegen die Corona-Impfung aussprechen? Diese Frage wurde mir letztens gestellt. Klar, wir sind in einem freien Land. Jeder darf seine eigene Meinung dazu haben. Was aber klargestellt werden muss: Nicht jeder Arzt ist ein Impfstoff-Experte, auch kein Experte für Medikamente generell. Ich habe zum Beispiel zuletzt etwas über Medikamente, Biochemie und Pharmakologie gelernt, als ich an der Uni war. Wie Medikamente im Körper funktionieren, wie Impfstoffe im Detail funktionieren – all das weiß ich oberflächlich, aber wie genau, wissen Ärzte in der Regel nicht.
Es sind normalerweise spezialisierte Leute, die sich mit der Wirkung von Impfstoffen und Medikamenten beschäftigen. Deswegen ist die Meinung von vielen Ärzten zu Impfstoffen aus meiner Sicht nicht so ausschlaggebend. Ich spreche hier von „normalen“ Ärzten, nicht von Virologen oder Experten, die sich jahrelang mit der Thematik beschäftigt haben. Ganz normale Ärzte, so wie ich, so wie Chirurgen oder Internisten oder auch Allgemeinmediziner dürfen natürlich auch eine Meinung haben. Doch auf die kann man nicht so viel geben wie auf die eines Experten, der jahrelang mit dem Gebiet zu tun hatte.
Ich kenne Impfgegner in der Kollegenschaft persönlich. Ganz am Anfang war ich selbst auch skeptisch, weil ich mich nicht so gut informiert und Nachrichten aufgeschnappt hatte, in denen es hieß, der Impfstoff sei noch nicht so gut getestet und nicht ausreichend überprüft. Das ist die vorschnelle Meinung, mit der viele in erste Diskussionen zu dem Thema gingen. Wer nur oberflächlich über Corona-Impfstoffe informiert ist, kann schnell zu dem Schluss kommen: An mir lasse ich das nicht testen.
Es herrscht kein Impfzwang an Kliniken, somit ist man auch nicht gezwungen, sich sorgfältig über die Thematik zu informieren, sofern man selbst keine Patienten impft. In den Krankenhäusern, in denen ich gearbeitet habe, hat man die Mitarbeiter immer zur Grippeimpfung animiert, darum gebeten, an die Vernunft appelliert. Chefärzte haben darauf hingewiesen, aber es gab keinen Druck. In den letzten beiden Kliniken hat man dann immer eine kleine Belohnung bekommen, keine großartige Sache, einen Smoothie zum Beispiel. Aber ein Smoothie konnte jenen Leuten, die sich vorher nicht impfen lassen wollten, natürlich nicht großartig umstimmen.
Ich habe den Eindruck, es ist bei Corona so ähnlich wie zum Beispiel bei den US-Wahlen vor vier Jahren. Viele haben sich damals nicht so gründlich informiert, sondern einfach Facebook aufgemacht und dann wirkt da eine Aussage von jemandem sehr überzeugend und man denkt “Oh, der hat Recht”. Beim Thema Corona und Impfung beobachte ich oft ähnliche Szenarien. Dass Ärzte oder Medizinstudenten sich ein paar Artikel schnappen und sich sehr schnell eine Meinung bilden und die dann in der Welt verbreiten. Häufig lässt sich an diesen Meinungen nicht mehr viel ändern, weil die Überzeugung hier so stark ist, dass sich nicht mehr diskutieren lässt.
Ich habe zwar meine letzten 15 Jahren mit medizinischen Büchern verbracht, aber die handelten nicht von Impfstoffe. Wenn man mich zu Gefäßerkrankungen befragt, dann weiß ich das Wichtigste. Nicht 100 Prozent natürlich, ich bin kein Experte, aber ich kann sagen, dass ich mich auf dem Gebiet gut auskenne, weil ich die letzten fünf Jahre damit zu tun hatte. Aber Impfstoffe? Vor acht Jahren hatte ich mal ein paar Vorlesungen, hier und da habe ich mit Kollegen darüber geredet, aber wie gesagt: Ich bin kein Experte. Ich höre auf die Leute, die wirklich das Fachwissen, die Expertise und die Erfahrung in diesem Bereich haben. Das tue ich in meinem eigenen Bereich, der Gefäßchirurgie, und auch in anderen Bereichen, wie der Virologie oder der Impfstoffentwicklung.
Natürlich darf jeder Arzt ein Medikament oder eine Impfung empfehlen oder nicht empfehlen. Das ist ja das Mindeste. Wenn mein Patient mich fragt, wie ich zu einem Thema stehe, dann sage ich was ich denke. Aber es bleibt meine persönliche Meinung. Die entspricht nicht gleich einer Leitlinie oder der Auffassung einer Gruppe von Experten.
Wir Ärzte sollten aber unsere Meinung auf den Empfehlungen der Experten aufbauen, also zum Beispiel dem RKI. Dort sitzen viele Leute, deren Spezialgebiet das ist. Sie machen die Leitlinien. Ich vertraue schließlich auch auf die Experten der Gesellschaft für Gefäßchirurgie. Ob die dann letztendlich richtig liegen, das weiß man natürlich nie wirklich. Aber ich denke, die Meinung von zehn Leuten, die sich ihre ganze berufliche Laufbahn mit diesem Thema beschäftigt haben, ist definitiv viel besser als meine persönliche, nachdem ich mich zwei Stunden oder auch zwei Jahre mit einem Thema beschäftigt habe. So sehe ich das.
Bildquelle: Daniel Schludi, unsplash