Wie soll das gehen? Das habe ich mich anfangs gefragt, als es um Impfzentren und den freiwilligen Einsatz von Hausärzten ging. Dann habe ich meine Meinung drastisch geändert.
Ein normaler Arbeitstag im Pandemie-Winter, grauer Himmel, Regen, knapp über null Grad. Die COVID-Patienten in der Praxis pendeln zwischen 5 und 15 Personen pro Tag. Sonst ist nicht viel los, ein Blick in die Tagesliste zeigt: etwa 100 Patienten weniger als sonst bei uns an einem Montag.
In der Presse werden die Impfzentren rauf und runter beschrieben. Ich muss gestehen, ich habe bei der freiwilligen Meldung bei dem Punkt aufgegeben, ob man sich halbtags oder ganztags zur Verfügung stellen würde. Denn wie soll das auch gehen neben der Sprechstunde? Mal ein paar Stunden abends wären vorstellbar.
Letztens unterhielt ich mich mit einer Kollegin, die Ende des Jahres ihren Sitz mangels Nachfolger zurückgeben wird. Und sie meinte, da würde sie danach gerne mitarbeiten. Das fand ich toll. Jedenfalls überschlägt sich die KV mit Lobeshymnen, schon tausende Kollegen hätten sich zur Verfügung gestellt, die Besetzung der Zentren und der mobilen Teams sei gesichert. Hm. Ob diese Informationen nicht etwas zu früh kommen? Da muss jedenfalls noch einiges mehr kommen an Informationen dazu, wie wir das denn konkret machen sollen. Wir Hausärzte haben ja auch eine Verpflichtung für die Versorgung bis hin zur Stundenzahl, die wir in der Praxis sein müssen. Oder habe ich da etwas verpasst? Wie kommen die Kollegen dazu, in der Masse hier mitarbeiten zu wollen?
In der Laienpresse heißt es, es gäbe neue Empfehlungen der STIKO: Zuerst Bewohner von Senioren- und Altenpflegeheimen sowie allgemein Menschen über 80 Jahre, dann Krankenhauspersonal, dann medizinische Einrichtungen, in denen Patienten aus Risikogruppen behandelt werden, beispielsweise bei Blutkrebs, und in der Transplantationsmedizin. Dann Pflegepersonal in der ambulanten und stationären Altenpflege, dann 75- bis 80-Jährige und Menschen mit Demenz oder geistiger Behinderung. Dann Personal im öffentlichen Gesundheitsdienst, dann Lehrer, dann Landesregierung und Bundesregierung, dann der Rest.
Die Hausärzte wurden nicht erwähnt, fallen auch irgendwie nicht wirklich unter eine von den genannten Gruppen. Vielleicht fallen wir unter den Rest? Oder sind wir vergessen worden? Die STIKO habe auch eine Impfreihenfolge veröffentlicht, konnte man lesen. Das klingt interessant. Wo werden die Hausärzte da eingestuft? Zwar sind die Empfehlungen noch nicht endgültig veröffentlicht, doch es kursiert bereits eine Liste der vorrangig zu impfenden Gruppen. Erleichtert stelle ich fest, dass die Hausärzte doch noch in der Liste auftauchen: „Personal mit hohem Expositionsrisiko in medizinischen Einrichtungen“ fällt immerhin in die Kategorie „hohes Risiko“.
Was steht sonst noch so in den Zeitungen? Bei einer anscheinend gut informierten Quelle (Zeit online) lese ich die Headline „Der große Impfplan“: Kollegen, deren Sprechstunde leer sei, würden gerne in den Impfzentren arbeiten. „Diese (KVen) berichten von einer großen Resonanz auf ihre Aufrufe unter den aktiven Ärzten, also selbstständigen Ärzten mit eigenen Praxen. Viele dieser Praxen sind gegenwärtig nicht so belastet wie in den vergangenen Jahren, weil viele Patienten aus Sorgen vor Ansteckungen mit dem Coronavirus seltener zum Arzt gehen. Außerdem haben sich schon Ruheständler freiwillig gemeldet“. Aha.
Und zur Vergütung steht da etwas von 150,-/ Stunde, das seien Marktpreise. „Es gibt erste Ideen in den einzelnen Ländern, die Ärzte nach den jeweils üblichen Notdienstsätzen zu vergüten. Diese Sätze können sich etwa auf 120 bis 150 Euro pro Stunde belaufen.“ Hm, das klingt richtig, wenn ich an die Verhandlungen mit den Vertreterärzten im Notdienst denke. Und mal wieder traurig in der Diskrepanz zu den Vergütungen, die wir dann bei den Krankenkassen geltend machen können. Dafür arbeitet ein Arzt heutzutage nicht mehr.
In einer schlaflosen Nacht gehen die Gedanken dann doch weiter. Sollen wir uns nicht doch beteiligen? Wieviel Geld ist das denn eigentlich? Kann man die zeitgleichen Verluste der Abwesenheit aus der Praxis auffangen?
150,- Stunde, das würde bedeuten: Pro Arbeitswoche 6.000,- €. 25.800,- € pro Monat, 309.600,- € pro Jahr!!! Und das ist kein Umsatz, sondern reiner Gewinn! Das ist mal eine Ansage!
Ich bin schlagartig hellwach, denn es fällt mir wie Schuppen von den Augen: Das ist er, unser warmer Regen, endlich, die Anerkennung durch die Politik und Gesellschaft für gute Arbeit in den letzten Monaten! Ich hatte schon aufgehört, daran zu glauben, aber das war falsch. Es ist das erste Mal, dass wir in dieser Pandemie endlich auch mal etwas gewinnen können. Das ist er, der Pflegebonus der Hausärzte, das ist unsere Bettenfreihaltepauschale. Praxis runterfahren, im Zentrum arbeiten, abkassieren!
Das baut einen auf, und das kommt genau zu einer richtigen Zeit. Mittlerweile verstehe ich die Kollegen, die sich gemeldet haben. Ich habe mich ebenfalls dazu entschieden und werde mein gesamtes Team anmelden. Ab dem 15.12. fahren wir die Praxis auf Notbetrieb runter. Wir arbeiten im Zentrum und binnen kurzer Zeit werden wir unser Minus ausgeglichen haben.
Wir sehen uns. Im Impfzentrum.
Bildquelle: Andre Iv, unsplash