Künstliche Intelligenz hat ein 50 Jahre altes Rätsel der Biologie gelöst. Laut Experten könnte das die Medizin verändern.
Das KI-Unternehmen DeepMind war bislang dafür bekannt, mithilfe ihrer Künstlichen Intelligenz die weltbesten Schach- und Go-Spieler zu schlagen. Jetzt hat es offenbar ein Rätsel geknackt, dass Biologen seit 50 Jahren umtreibt: Kann man anhand der Abfolge der Aminosäuren die endgültige Gestalt eines Proteins vorhersagen? Künstliche Intelligenz kann es.
Die Corona-Pandemie hat gezeigt, wie wichtig es ist, sich dieser Frage zu widmen. So besitzt SARS-CoV-2 ein Spike-Protein auf seiner Oberfläche, das wie jedes andere Protein eine charakteristische Form aufweist. Erst die Entschlüsselung der Struktur dieses Proteins ermöglichte es, Gegenmittel zu entwickeln.
Die einzigartige Form von Proteinen kommt dadurch zustande, dass sich nach Bauanleitung des genetischen Codes Aminosäure an Aminosäure reiht. Die entstehende Kette faltet sich dabei schon selbstständig zu einem einzigartigen Knäuel zusammen. Aber die DNA enthält nur Informationen über die Sequenz der Aminosäuren – nicht, wie sie sich in Form falten. Das ist das Proteinfaltungsproblem. Doch wie Proteine sich falten ist wichtig, denn: Die Form eines Proteins bestimmt über seine Funktion – oder auch darüber, welche Krankheiten es auslöst.
Neben DeepMind beschäftigen sich auch andere Unternehmen und Wissenschaftler mit dem Thema. Seit 1994 wird deshalb der Wettbewerb Critical Assessment of Protein Structure Prediction abgehalten. Darin werden den Teilnehmern jeweils 100 Aminosäuresequenzen vorgelegt, aus denen sie die dreidimensionale Struktur der Proteine vorhersagen sollen. Offenbar hat AlphaFold, das KI-Programm von DeepMind, so gut wie kein anderes Programm zuvor abgeschnitten. Von den 100 Sequenzen konnte es die 3D-Struktur von 70 Proteinen so genau vorhersagen, wie man es normalerweise nur durch experimentelle Strukturbestimmungen erreicht.
Solche Strukturbestimmungen werden üblicherweise mittels Röntgenkristallographie oder Kryo-Elektronen-Tomografie durchgeführt – ein sehr aufwändiges Unterfangen. Computer-Vorhersagen, die auf Deep Learning basieren, wären da eine schnelle und kostengünstige Alternative. Im medizinischen Bereich könnte das Programm vor allem beim Design von Medikamenten zum Einsatz kommen. Aber auch zum Verständnis von neurodegenerativen Erkankungen, bei denen fehlgefaltete Proteine eine Rolle spielen, könnte es beitragen.
AlphaFold hat mit 100.000 bekannten Aminosäuresequenzen trainiert und funktioniert unter anderem mithilfe eines aufmerksamkeitsbasierten Ansatzes. Dies beschreibt die Fähigkeit, aus einer Fülle an Informationen in kurzer Zeit jene zu wählen, die für eine aktuelle Entscheidung besonders relevant sind und Unwichtiges nicht zu beachten.
Die Ergebnisse von AlphaFold sollen Wissenschaftlern jetzt beim Lösen des Proteinfaltungsproblems helfen. Damit wollen sie herausfinden, wie genau die Abfolge der Aminosäuren die endgültige Gestalt eines Proteins bestimmt. Denn wie AlphaFold die korrekte Faltung vorraussagen konnte, weiß man noch nicht.
Andrei Lupas, Evolutionsbiologe am Max-Planck-Institut für Entwicklungsbiologie in Tübingen, ist begeistert von der Technologie. AlphaFold habe seinem Team bereits geholfen, die Struktur eines Proteins aufzuklären, das sein Labor ein Jahrzehnt lang nicht entschlüsseln konnte. In Nature sagt er: „Das wird die Medizin verändern. Es wird die Forschung verändern. Es wird das Bioengineering verändern. Es wird alles verändern“.
Bildquelle: Ethan Lackner, unsplash