Immer mehr Studien zeigen, dass es keinen Zusammenhang zwischen dem Konsum psychedelischer Drogen wie LSD und dem Auftreten psychischer Erkrankungen gibt. Im Gegenteil: Diese Substanzen könnten sogar als therapeutische Intervention genutzt werden.
Gleich zwei neue Studien belegen, dass psychedelische Drogen keine negativen Auswirkungen auf die geistige Gesundheit haben: Im März 2015 veröffentlichte die Fachzeitschrift „Journal of Psychopharmacology“ eine Studie norwegischer Forscher, die nach einem Zusammenhang zwischen dem Konsum von LSD, Psilocybin oder Mescalin und dem Auftreten psychischer Probleme suchten. Dazu untersuchten sie die im Rahmen der jährlichen National Survey on Drug Use and Health (NSDUH) erhobenen Daten von 135.000 US-Amerikanern aus den Jahren 2008 bis 2011. Die Autoren stellten fest, dass keine signifikante Assoziation zwischen dem Lebenszeitkonsum von Psychedelika und einer erhöhten Wahrscheinlichkeit für schwerwiegende psychische Belastung, psychotherapeutische Behandlung, Suizidgedanken, Suizidpläne und Suizidversuche sowie Depressionen und Angstgefühle im vergangenen Jahr bestand. Der Konsum psychedelischer Drogen scheint daher kein unabhängiger Risikofaktor für psychische Erkrankungen zu sein. „Die Forschung legt nahe, dass Psychiater keine Vorurteile gegenüber psychedelischen Drogen haben sollten“, erklärt Teri Suzanne Krebs, Hauptautorin der Studie. „Und wenn sie Patienten haben, die diese Substanzen konsumieren, ist dies nicht zwangsläufig schlecht.“ Eine in derselben Zeitschrift publizierte Studie US-amerikanischer Forscher geht sogar noch einen Schritt weiter: Ihre Auswertung der NSDUH-Daten von ca. 190.000 US-Amerikanern (2008–2012) ergab, dass der Lebenszeitkonsum psychedelischer Drogen mit einer signifikant verminderten Wahrscheinlichkeit für psychische Belastung, Suizidgedanken, Suizidpläne und Suizidversuche assoziiert ist. Im Gegensatz dazu ging der Konsum anderer illegaler Drogen überwiegend mit einer erhöhten Wahrscheinlichkeit für diese psychologischen Indikatoren einher.
Die Sorge, dass psychedelische Drogen der geistigen Gesundheit grundsätzlich mehr schaden als nützen könnten, scheint angesichts dieser und zahlreicher anderer Studien unbegründet zu sein. „Wir behaupten nicht, dass noch nie jemand durch Psychedelika zu Schaden gekommen ist“, meint auch Studienautor Dr. Matthew Johnson von der Johns Hopkins University in Baltimore. „Anekdoten über LSD-Todesfälle können sehr wirkungsvoll sein – aber diese Fälle sind selten.“ Auf Populationsebene legten die Daten dagegen nahe, dass die schädliche Wirkung von Psychedelika bislang übertrieben worden sei. Mit dieser Meinung stehen die Studienautoren nicht alleine da. Tatsächlich scheinen Substanzen wie LSD deutlich sicherer zu sein als bislang angenommen. Einem 2010 in „The Lancet“ veröffentlichten Ranking zufolge sind LSD und psychoaktive Pilze mit einem Overall Harm Score (OHS; Summe aus Selbst- und Fremdschädigung) von 7 bzw. 6 vergleichsweise unschädlich, auf den vorderen Plätzen rangieren dagegen Alkohol (OHS 72), Heroin (OHS 55) und Crack (OHS 54). Auch Tabak ist mit einem OHS von 26 deutlich schädlicher als psychedelische Drogen. Zudem führt LSD selbst bei mehrmaliger Einnahme nicht zu einer physischen Abhängigkeit, und Organschäden sind bisher nicht beobachtet worden [Paywall]. Kontraindiziert sind Psychedelika jedoch zum Beispiel bei Patienten mit einer Prädisposition zu Schizophrenie, da sich durch den Konsum eine Psychose entwickeln kann. Außerdem gibt es Hinweise darauf, dass LSD in Kombination mit Lithium oder trizyklischen Antidepressiva zu schweren Nebenwirkungen wie Krampfanfällen führen kann. Wie hoch das Risiko für eine fortbestehende Wahrnehmungsstörung nach dem Halluzinogen-Gebrauch (hallucinogen persisting perception disorder, „Flashback“) ist, bleibt umstritten. Auch zum Auftreten von sogenannten Horror-Trips in einem kontrollierten therapeutischen Setting gibt es bisher nur wenige Daten.
Bereits in den 50er und 60er Jahren stellten Forscher fest, dass eine hohe Psychedelika-Dosis zu einem mystischen Erlebnis führt, bei dem der Patient ekstatische Freude und eine umfassende Verbundenheit mit der Welt bis zur Auflösung des Selbst erlebt – ähnlich wie bei einem spirituellen oder religiösen Erlebnis. Ein solches Erlebnis dient bei der sogenannten psychedelischen Therapie als Ansatzpunkt für eine Neustrukturierung und Gesundung der Persönlichkeit. Bei der psycholytischen Therapie werden dagegen geringere Dosen an Psychedelika eingesetzt, um den psychotherapeutischen Prozess zu vertiefen und seine Effizienz zu steigern. Zwei 2014 veröffentlichte Studien deuten darauf hin, dass erhöhte Suggestibilität und empathogene Stimmungseffekte eine wesentliche Rolle beim therapeutischen Einsatz von LSD zu spielen scheint. Die zurzeit wohl am besten untersuchte Indikation für psychedelische Drogen ist die Behandlung von Suchtmittelabhängigkeiten. Zwar gibt es berechtigte Kritik an der Methodologie und Aussagekraft der frühen Studien; eine 2012 veröffentlichte Metaanalyse von sechs randomisierten, kontrollierten Studien kommt jedoch zu dem Ergebnis, dass im Rahmen von Programmen zur Alkoholismusbehandlung eine einzelne LSD-Dosis mit einer deutlichen Verringerung des Alkoholmissbrauchs assoziiert war. Die Effektivität der einmaligen LDS-Intervention war dabei vergleichbar mit der Effektivität einer täglichen Naltrexon-, Acamprosat- oder Disulfiram-Gabe. Und auch Rauchern scheint mit Psychedelika geholfen werden zu können: In einer 2014 veröffentlichten Pilot-Studie lag die Tabak-Abstinenzrate dank einer Psilocybin-Behandlung im Rahmen einer kognitiven Verhaltenstherapie bei 80 % – mehr als doppelt so hoch wie bei konventionellen Tabakabhängigkeits-Interventionen.
Die Behandlung von Angstzuständen und Depressionen bei terminal kranken Patienten mittels Psychedelika scheint ebenfalls vielversprechend. Eine 2011 publizierte US-amerikanische Studie konnte zeigen, dass die einmalige Gabe von Psilocybin einen langanhaltenden positiven Effekt auf Stimmung und Angstgefühle bei Patienten mit Krebs in fortgeschrittenem Stadium hatte. Die Autoren der Studie kommen zu dem Schluss, dass die Psilocybin-Behandlung zu einem veränderten Bewusstseinszustand geführt hatte, bei dem die Patienten eine Transzendenz der physischen Existenz erfahren und so die Angst vor dem Tod verloren hatten. Die Patienten berichteten zudem davon, dass die Psilocybin-Erfahrung ein starkes Gefühl von empathischem Rapport induziert und die Beziehung zu engen Verwandten und Freunden verbessert hatte. Von ähnlichen Erfahrungen berichten einer 2014 veröffentlichten Schweizer Studie zufolge auch Patienten mit einer lebensbedrohlichen Krankheit, die sich einer dreimonatigen LSD-unterstützen Psychotherapie unterzogen hatten. Eine 2015 publizierte Nachfolgeuntersuchung ergab, dass die positiven Effekte bis zu 12 Monate lang anhielten. Psychedelische Substanzen könnten auch bei einer Vielzahl anderer Erkrankungen wie Zwangsstörungen und Depressionen die Therapie unterschützen, doch die Datenlage sieht hier bisher sehr dünn aus. Erschwerend kommt hinzu, dass der Wirkmechanismus von Psychedelika bisher unklar ist: Zwar weiß man, dass die psychedelische Wirkung von LSD und Co. hauptsächlich über 5-HT2A-Rezeptoren vermittelt wird. Wie aus der Aktivierung der Serotoninrezeptoren allerdings ein bewusstseinsverändernder Trip wird, bleibt weiterhin ungeklärt – ebenso wie die Frage, wie hoch der tatsächliche Anteil der pharmakologischen Effekte im Vergleich zu den psychologischen Effekten bei einer erfolgreichen Therapie liegt. Mehr randomisierte, kontrollierte Studien sind nötig, um den potenziellen Nutzen psychedelischer Drogen, aber auch die damit verbundenen Risiken korrekt einschätzen zu können. Jegliche Forschung in dieser Richtung aus ideologischen Gründen abzulehnen, dient dagegen nicht dem Patientenwohl.