Hypertonie bei gleichzeitiger Bradykardie sind häufige kardiovaskuläre Komplikationen während einer Wildtiernarkose. Ein neuer Wirkstoff soll sowohl den Blutdruck der Tiere als auch den der Anästhesisten auf Normalniveau halten.
Hypertonie und Bradykardie sind häufig auftretende Komplikationen während einer Wildtiernarkose und stellen ein großes perianästhetisches Problem in diesem speziellen Bereich der Veterinärmedizin dar. Beide Komplikationen können als Nebenwirkungen den in der Anästhesie häufig eingesetzten Alpha-2-Agonisten zugeschrieben werden. Alpha-2-Agonisten aktivieren sowohl zentrale (Nucleus tractus solitarii) als auch periphere Rezeptoren (Vasokonstriktion). Es kommt zu einem deutlichen Anstieg des Blutdrucks, der wiederum reflektorisch über die Barorezeptoren die Herzfrequenz drosselt (Bradykardie).
Ein internationales Forscherteam, bestehend aus Wissenschaftlern der Veterinärmedizinischen Universität Wien und der Universität Helsinki untersuchten jetzt die Effekte des Wirkstoffs Vatinoxan (MK-467) auf das kardiovaskuläre System bei Hirschen (Cervus elaphus). Die an der Universität Helsinki entwickelte Substanz soll die unerwünschten Wirkungen der Alpha-2-Agonisten abfangen – und so eine Stabilisierung der Kreislaufsituation während der Allgemeinanästhesie gewährleisten.
Um die Wirkung von Vatinoxan (peripherer α2-Adrenozeptor-Antagonist) zu überprüfen, wurden zehn gesunde sieben Monate alte Hirsche (durchschnittlich 69,9 kg schwer) narkotisiert und randomisiert in zwei Gruppen gegliedert. Die intramuskuläre Sedierung erfolgte bei allen Tieren mit Medetomidin-HCl (α2-Agonist) in Kombination mit Tiletamin-Zolazepam (Tiletamin ist ein dissoziatives Anästhetikum, Zolazepam ein Benzodiazepin). Anschließend wurden 35 Minuten nach der Prämedikation entweder 0,1 mg/kgKG Vatinoxan-HCl oder eine equivalente Menge an NaCl-Lösung den bereits sedierten Hirschen intravenös appliziert. Alle Tiere wurden intubiert und mit 100 % Sauerstoff insuffliert.
Noch vor der Verabreichung von Vatinoxan bzw. NaCl-Lösung wurden die Herzfrequenz, Atemfrequenz, der CO2-Gehalt der Atemluft, die arterielle Sauerstoffsättigung, die Rektaltemperatur, der mittlere systolische- (SAP) sowie diastolische Blutdruck (DAP) und die Narkosetiefe (mittels Lid- und Perinealreflex) bestimmt. Zusätzlich befanden sich alle Tiere unter EKG-Kontrolle. Alle Parameter wurden in 5-Minuten-Intervallen erhoben und dokumentiert.
Die Tiere der Testgruppe (unter Einfluss von Vatinoxan) zeigten deutlich niedrigere Blutdruckwerte bei gleichzeitig höheren Herzfrequenzraten. Im Gegensatz dazu wies die Kontrollgruppe (Injektion von NaCl-Lösung) nahezu gleich hohe Blutdruckwerte über die gesamte Anästhesiedauer auf (konstant über 115 mmHg). Der mittlere arterielle Blutdruck sank nach der Verabreichung von Vatinoxan auf einen Tiefstwert von annähernd 80 mmHg und pendelte sich dann im Laufe der Narkose zwischen 90 und 100 mmHg ein. Die Herzfrequenz lag bei der Kontrollgruppe bei etwa 40 Schlängen pro Minute, während die Hirsche der Vatinoxan-Gruppe etwa 70 bis 80 Schläge pro Minute aufwiesen. Es konnten jedoch in keiner der Gruppen signifikante Unterschiede bei der arteriellen Sauerstoffsättigung, beim CO2-Gehalt der Atemluft sowie der Narkosetiefe festgestellt werden.
Die Rektaltemperatur sank – erwartungsgemäß – bei allen Hirschen nach Einleitung der Anästhesie. Der Abfall der Körpertemperatur erfolgte bei der Vatinoxan-Gruppe jedoch etwas schneller als bei der Kontrollgruppe.
Alle Tiere erhielten mit Narkoseende den Alpha-2-Rezeptor-Antagonisten Atipamezol, um die Wirkung der Alpha-2-Agonisten zu antagonisieren. Die Aufwachphase verlief bei allen Tieren gleichermaßen ruhig und komplikationslos.
Die Wildtieranästhesie stellt ein Spezialgebiet der Veterinäranästhesie dar und bedarf viel Erfahrung im Umgang mit den Medikamenten und den jeweiligen Tierarten. Aufgrund des Temperaments, der unterschiedlichen Verstoffwechselung der Medikamente und den Gegebenheiten (freie Wildbahn) sind sowohl die Anästhesieeinleitung als auch die -erhaltung oftmals mit hohen Dosen injizierbarer Anästhetika verbunden. All diese Faktoren beeinflussen die Vitalparameter während einer Narkose stark, sodass eine balancierte Anästhesie mit vermeidbaren kardiovaskulären Komplikationen sowohl die Sicherheit für die Tiere gewährleistet – als auch die Anästhesisten gelassener stimmt.
Das neu entwickelte Vatinoxan konnte in dieser Studie die während der Narkose entstehenden Nebenwirkungen wie Hypertonie und Bradykardie deutlich reduzieren und dadurch die allgemeine Sicherheit für die Tiere erhöhen.
Die ganze Studie könnt ihr hier nachlesen.
Bildquelle: Razvan Mirel, unsplash