Während der zweiten Welle halte ich es wie Doktorfisch Dorie aus dem Film „Findet Nemo“: Einfach schwimmen. Allerdings wünsche ich mir manchmal auch Dories legendär schlechtes Gedächtnis – um Angst und Ärger vergessen zu können.
Man erinnere sich an den Film „Findet Nemo“ – darin war ein Clownfischvater auf der Suche nach seinem verlorengegangenen Sohn. Unterstützung fand er dabei, mehr oder weniger, in einem blauen Doktorfisch (wie passend) namens Dorie. Und Dorie konnte sich partout nichts merken, oft waren selbst wichtige Infos nach Minuten aus ihrem Hirn verschwunden.
Momentan wünsche ich mir manchmal Dories Kurzzeitgedächtnis. Dann könnte ich gewisse Dinge auch einfach vergessen. Zum Beispiel, dass die zweite Welle hier in vollem Gang ist.
Dass jeder Zweite, den man fragt, für wen die Lutschtabletten oder die Schmerzmittel sind, antwortet, dass es für den COVID-positiven Verwandten oder Freund ist.
Dass wir Berichte von sehr kurzen Spitalbesuchen bekommen. „Blutige Entlassung“ trifft es schon nicht mehr. Momentan wird alles, was nicht gerade lebensbedrohlich ist, angeschaut und baldmöglichst wieder weggeschickt („Erbrechen bis zur Dehydration? Hier haben Sie Domperidon und ein Rezept. Trinken Sie mehr. Wiedersehen.“).
Dass wir Anrufe zum Beliefern ebendieser Rezepte bekommen („Und Vorsicht bei der Auslieferung. Ich bin COVID-positiv.“).
Dass wir von Kunden und Patienten immer mehr Berichte von kürzlich an COVID verstorbenen Verwandten und Bekannten hören.
Dass der Vater der Mitarbeiterin im Altersheim an COVID gestorben ist, nachdem er vor einer Woche positiv getestet wurde. Sie konnte ihn nicht mehr sehen.
Dass es, während wir das jetzt so direkt mitbekommen, rechts und links und gestern und heute immer noch Leute gibt, die da stehen und behaupten:
Dass die Leute nicht testen gehen, obwohl sie Erkältungssymptome haben. Man will ja nicht ausfallen bei der Arbeit. Und Quarantäne ist nervig, einsam und deprimierend … „und so schlimm habe ich es ja nicht.“
Dass die ganzen Einschränkungen (Öffnungszeiten und Mengenbeschränkung in den Restaurants, keine sportlichen und kulturelle Veranstaltungen über 15 Personen, Discos etc. geschlossen, Maskentragepflicht in den Innenräumen) zwar umgesetzt werden, aber man das Gefühl hat, dass viele den Grund nicht wirklich sehen, den Vorschriften vielleicht den Buchstaben nach folgen, aber nicht verstanden haben, um was es geht und darum nur das Minimum machen. Das sieht man schon daran, wie die Masken getragen und gehandhabt werden (über die Nase ziehen! Nicht vorne anfassen! Die Hände vor und nach dem Berühren waschen/desinfizieren!).
Dass sich immer noch zu viele privat treffen und dabei die ältere Generation anstecken.
Dass die Wirtschaft daneben wirklich leidet. Restaurants, Kulturschaffende, Sportveranstaltungen, Hotellerie. Nicht systemrelevant ist so ziemlich alles Schöne, Interessante, Angenehme – das fällt jetzt weg und macht sich an der allgemeinen gedrückten Stimmung bemerkbar. Sich etwas gönnen ist schwierig in diesen Zeiten. Und langsam hängt es jedem an.
Die Impfung ist ja eigentlich ein Lichtblick, aber immer noch zu weit weg. Immer noch zu viele Unsicherheiten. Und jetzt schon unmögliche und unnötige Diskussionen von wegen „Impfzwang“ und „Impfen ist gefährlich“.
Und was machen wir währenddessen? Weiterschwimmen … äh, weiterarbeiten.
Ich summe jetzt Dories „einfach schwimmen, schwimmen, schwimmen ….“ und mach weiter. Gibt ja nichts anderes.
Bildquelle: Richard R. Schünemann, unsplash