Patienten erzählen uns Ärzten bei Weitem nicht alles, auch wenn die Informationen wichtig sind. Um bestmöglich zu behandeln, sollten Ärzte sich verbünden. Mit wem, erkläre ich hier.
Ich habe als Ärztin ja nicht nur mit ärztlichen Kollegen zu tun, sondern auch viel mit medizinischen, aber nicht-ärztlichen Berufen wie Medizinischen Fachangestellten, Physiotherapeuten, Pflegepersonal, Logopäden, Ergotherapeuten – man möge mir bitte verzeihen, wenn ich eine Gruppe vergessen habe.
Für mich sind diese Gespräche aus verschiedenen Gründen extrem wichtig:
Wir Ärzte erfahren aus unterschiedlichen Gründen nicht immer alles von unseren Patienten. Ich habe es oft erlebt, dass mir ein Patient im Krankenhaus gesagt hat, er habe keine Schmerzen. Die Pflege berichtete aber von massiven Schmerzen beim Verbandswechsel, was der Patient auf Nachfrage auch bestätigt. Wenn ich aber von einem Problem nichts weiß, kann ich nicht versuchen es zu lösen. Deswegen war ich immer froh, wenn eine Pflegekraft direkt auf Visite mitkam, damit man so etwas direkt zeitnah wusste oder mir zumindest vorher eine kurze Übergabe machen konnte, damit ich Bescheid weiß.
Auch jetzt in der Praxis bekomme ich oft wertvolle Hintergrundinformationen von unseren medizinischen Fachangestellten, weil die Patienten z.B. beim EKG oder bei der Blutabnahme noch etwas erzählt haben, was sie im Kontakt mit mir vergessen (oder manchmal auch verschwiegen hatten, weil es ihnen peinlich war).
Gerade als Jung-Arzt war der Erfahrungsschatz des Pflegepersonals genau das: Ein Schatz! Ich habe damals als Ärztin mit Pflegekräften gearbeitet, die schon länger in der Klinik tätig waren, als ich überhaupt auf der Welt war. Und obwohl ich natürlich formal weisungsbefugt war, war ich sehr dankbar für die Tipps, die ich bekommen habe, wenn ich selbst das erste Mal mit einer Situation konfrontiert wurde.
Und auch wenn mein eigener Erfahrungsschatz über die Jahre gewachsen ist, gibt es immer noch Situationen, in denen ich wertvollen Input von Pflegekräften oder eben unseren MFAs bekomme, weil sie Dinge schon mal gesehen haben, die ich noch nicht kenne. Gerade im praktischen Bereich.
Last, but not least: Jede Fachgruppe hat ihre eigene Kompetenz, die ich brauche, wenn ich meinen Patienten optimal versorgen will. Vom Personal bekomme ich häufiger gespiegelt, dass es zwischen Ärzten und Nicht-Ärzten Probleme gibt. Ich finde das unheimlich schade: Natürlich hat ein Physiotherapeut, der den ganzen Tag den Bewegungsapparat von Patienten untersucht, mehr praktische Expertise als ich.
Warum soll ich (und vor allem der Patient) nicht von seinem Können und Wissen profitieren? Natürlich übernehme ich nicht blind jede Meinung – aber das mache ich bei meinen ärztlichen Kollegen ja auch nicht. Aber ich finde den Austausch (soweit er möglich ist im allgemeinen Arzt-Alltag) sehr wichtig. Gerade bei Patienten, deren Krankheitsbilder komplexer sind und die, meiner Erfahrung nach, von guter Zusammenarbeit profitieren.
Ein praktisches Beispiel: Manchmal sagen Patienten, dass der Physiotherapeut bei dem wöchentlichen Termin immer wieder „von vorne anfängt“, weil sich alles wieder total verhärtet und verkürzt hat. Ich habe dann bei einigen dieser Patienten nach Rücksprache mit dem Physiotherapeuten vor oder nach der Physiotherapie mit Lokalanästhetika gequaddelt, um quasi eine verlängerte Wirkung zu erzielen. Bislang immer mit Erfolg – insgesamt kam man damit schneller (und somit mit einer insgesamt kürzeren Physiotherapiedauer) voran.
Leider wird allein durch die fiskalischen Vorgaben der Krankenkassen viel Zwietracht gesät: Unser Budget ist begrenzt und natürlich kommt es da zu Spannungen, wenn wir zwar sehen, dass z.B. die Physiotherapie oder Ergotherapie Erfolg bringt, aber gleichzeitig wissen, dass wir ggf. im wörtlichen Sinne die Rechnung dafür bekommen. Aber im Sinne des Patienten sollten wir uns da nicht auseinanderdividieren lassen. Denn, wie am Beispiel mit dem Quaddeln zu sehen ist, kann man oft mit einer wirklichen Zusammenarbeit schneller mehr erreichen.
Auch nicht zu vergessen ist die verbale Wertschätzung: Wenn ich meinen Patienten klar mache, dass es nicht „nur Physiotherapie“ ist, sondern ein „wichtiger Bestandteil der Rückenschmerz-Therapie“, kommt das ganz anders rüber. Und sorgt meiner Erfahrung nach für eine bessere Mitarbeit und damit ein besseres Ergebnis.
Wenn ich mich mit Kollegen über dieses Thema unterhalte, kommt manchmal die Besorgnis darüber zum Ausdruck, dass eine solche Wertschätzung meine eigene Position gegenüber dem Patienten oder dem nicht-ärztlichen Therapeuten untergraben könnte. Diese Erfahrung habe ich überhaupt nicht gemacht. Die Expertise anderer anerkennen können ist kein Zeichen von Schwäche – eher von Souveränität. Ich weiß, was ich weiß und wo meine Grenzen sind. Und für diese Grenzen suche ich mir gute Leute, die meine eigene Expertise ergänzen. Ob das jetzt Ärzte sind oder nicht, sollte eigentlich egal sein. Hauptsache, sie verstehen ihr Fach.
Deswegen ist mein Fazit: Wir sind alle Profis – auf unseren jeweiligen Gebieten. Und so sollten wir auch zusammenarbeiten. Als Profis, die die Kompetenz der anderen anerkennen können. Für unsere Patienten.Bildquelle: Ben White, Unsplash