Vor der kalten Jahreszeit hab ich mir in fünf Punkten ausgemalt, was auf uns Hausärzte zukommt. Und alle fünf Szenarien sind eingetroffen.
Meine jüngste Tochter fragt immer nach, bevor wir aufbrechen: „Haben wir alles dabei, Papa?“ und quittiert die Aufzählung mit einem „Check“.
Schlüssel? Check. Masken? Check. Fahrradhelme? Check. Arbeitstasche vom Papa? Check. (Nur die Warnweste will sie keinesfalls tragen …)
Damit läuft die Fahrt zur Kita und dann weiter zur Arbeit reibungslos. Aber wie sieht es mit der Fahrt durch die Pandemie aus? Welche Erwartungen haben sich erfüllt? Mitten in der zweiten Welle eine vorsichtige Bestandsaufnahme aus der Hausarztpraxis:
Nach ruhigem Sommer verdoppelten sich seit Ende September die positiven Corona-Tests wöchentlich. Noch letzte Woche saßen bis zu täglich 10 Patienten mit COVID-19 in unserer Infektionssprechstunde. Seit Anfang Oktober waren es bisher 233 Patienten, fast alle auch wirklich krank, manche leichter, manche schwerer. Einige mussten ins Krankenhaus, zwei sind verstorben.
Die Hygiene-Maßnahmen für das Team haben wir nach und nach verschärft. Alle tragen durchgehend Masken, zumeist FFP2, Filter laufen in den Zimmern, es wird gelüftet, wir testen uns regelmäßig. Die Anspannung ist hoch. Aber wir fühlen uns, soweit es geht, sicher.
Es ging nicht anders. Und prompt stabilisieren sich nach zwei Wochen der Light- Version auch bei uns die COVID-19-Fälle. Noch schneller als die COVID-Zahlen verschwinden allerdings die banalen Erkältungen und anderen Leichtfälle aus dem Alltag.
Auch wenn eine allgemeine Erschöpfung nicht zu übersehen ist: Die Notwendigkeit der Hygienemaßnahmen wird akzeptiert und für gut befunden. Und wenn einige Schwurbler denken, unbedingt auf Facebook die Arbeit der Praxis kommentieren zu müssen – wir versuchen, das nicht persönlich zu nehmen.
Die große Vorbestellung der Praxis hat sich bewährt. Wir haben mehr als doppelt so viele Dosen wie sonst innerhalb von einem Monat verimpft (1.400 Stück bei 5 Kassensitzen). Wenn wir die Vorsorgetermine weiter einschränken, könnten wir das auch noch weiter steigern.
Mit Beginn der zweiten Welle erreicht uns die Abrechnung des 2. Quartals: minus 9 % Umsatz Kassenleistungen. Der Schutzschirm greift nicht. Aber gerade jetzt brauchen wir liquide Mittel für Personal und Räume und Schutzmaßnahmen. Das wird mit einem Kredit der Hausbank gestemmt. Die Praxis ist mit Trennung der Sprechstunden und Video- und Telefonsprechstunde auch unter Coronabedingungen halbwegs fit geworden für hohe Fallzahlen. Die müssen aber auch kommen.
Von Kollegen hört man momentan viel von Erschöpfung und Frustration. Und es stimmt, bei vielen Dingen haben sie recht: Katastrophale und respektlose Honorarvereinbarungen für die Niedergelassenen. Blamieren des ärztlichen Berufes durch die Öffentlichkeitsarbeit verschiedenster Standesvertreter (Gassen, Montgomery, Reinhardt, Streek). Dazu anscheinend Null Lobbyarbeit. Ärzte als Zielscheibe für die Coronaleugner. Und natürlich ist die Arbeit selber sehr anstrengend und intensiv.
Aber spielt das alles jetzt eine Rolle? Eigentlich nicht. Das meiste ist so gekommen, wie wir es erwarten konnten. Umso wichtiger ist jetzt, unsere Rolle im Kleinen vernünftig auszufüllen, weiter eine gute Versorgung zu gewährleisten und der Bevölkerung Sicherheit zu geben. Die allermeisten werden es uns danken.
Bildquelle: Drew Beamer, unsplash