Morbus Crohn ist mit hohem Leidensdruck verbunden. Etablierte Therapiekonzepte schlagen nur teilweise an. Eine klinische Phase-II-Studie hat nun ein Medikament mit einem neuen Wirkmechanismus getestet – mit nachhaltigem Erfolg. Wie belastbar sind die Daten?
Krampfartige Bauchschmerzen und ständige Durchfälle sind die typischen Symptome des Morbus Crohn. Rund 150.000 Menschen in Deutschland leiden an dieser chronischen Entzündung des Darms. Ihr Immunsystem reagiert zu stark auf bestimmte Bakterien im Darm und sorgt so für eine dauerhafte Entzündungsreaktion, die sich bis in die tieferen Schichten der Darmwand ausbreitet und diese nach und nach verdickt. Bisher ist nur unzureichend geklärt, wie die Krankheit entsteht und welche Faktoren den Ausbruch der Erkrankung verursachen. „Wahrscheinlich bedingt eine Kombination aus genetischen Veränderungen und Umweltfaktoren eine Störung der Darmbarriere, sodass Bakterien die Darmwand durchdringen und das Immunsystem Alarm schlägt“, erklärt Markus Neurath, Direktor der Medizinischen Klinik 1 des Universitätsklinikums Erlangen. Da die Krankheit bislang nicht heilbar ist, zielen alle Therapiemaßnahmen darauf ab, die Beschwerden zu verringern und den Entzündungsprozess zu stoppen. Glukokortikoide sind dabei die wichtigsten Medikamente. Wenn sie nicht ausreichen, um das Befinden der Patienten spürbar zu verbessern, werden Immunsuppressiva oder TNF-alpha-Blocker verabreicht. Für den Fall, dass alle diese Therapien versagen, haben Ärzte seit einem Jahr zusätzlich die Möglichkeit, den Antikörper Vedolizumab zu verordnen. „Aber selbst von den bisher potentesten Medikamenten wie den TNF-alpha-Blockern oder Vedolizumab profitiert nur rund eine Hälfte der Erkrankten“, berichtet Neurath. „Darum besteht nach wie vor ein hoher Bedarf an neuen Medikamenten.“
Vielleicht können Morbus-Crohn-Patienten schon bald auf eine weitere Behandlungsoption hoffen: Wie ein Forscherteam im „New England Journal of Medicine“ kürzlich berichtete, führte der Wirkstoff Mongersen bei überraschend vielen Patienten zu einem raschen Rückgang der Beschwerden. Die Wissenschaftler um Giovanni Monteleone und Markus Neurath testeten die neue Substanz im Rahmen einer klinischen Studie an 160 Personen. Die multizentrische Phase II-Studie wurde von der Firma Nogra Pharma finanziert, die im vergangenen Jahr für 710 Millionen US-Dollar die Rechte an Mongersen an den US-Konzern Celgene verkauft hat. Sollte das Medikament die Marktreife erlangen, sind laut Celgene weitere Zahlungen in mehrstelliger Millionenhöhe an Nogra Pharma zu leisten. Alle Teilnehmer der Studie waren von einer mittelschweren bis schweren Form der Darmerkrankung betroffen und hatten im Zeitraum von drei Monaten vor Eintritt in die Studie keine TNF-alpha-Blocker oder andere Biologika eingenommen. Sie wurden nach dem Zufallsprinzip in vier Gruppen eingeteilt und bekamen über zwei Wochen täglich unterschiedlich hohe Dosierungen des Studienmedikaments Mongersen (10, 40, oder 160 Milligramm) oder ein Placebo verabreicht. Weder Patienten noch Ärzte wussten, wer zu welcher Gruppe gehörte.
Die Therapie mit Mongersen zeigte trotz des kurzen Behandlungszeitraums einen starken therapeutischen Effekt: Am Tag 15 nach Studienbeginn hatte sich die Krankheitsaktivität bei jeweils 55 und 65 Prozent der Patienten, die täglich 40 oder 160 Milligramm der Substanz eingenommen hatten, so weit reduziert, dass eine klinische Remission erreicht wurde. Hingegen verbesserte sich das Befinden in der Gruppe mit der geringsten Dosierung und in der Placebo-Gruppe nur jeweils bei 12 und 10 Prozent der Patienten auf die gleiche Weise. Remissionsraten von mehr als 40 Prozent sind in der Behandlung von Morbus Crohn beispiellos: In klinischen Studien wurden mit TNF-alpha-Blockern Raten in Höhe von 32,5 Prozent beziehungsweise 36 Prozent und mit Vedolizumab in Höhe von 14,5 Prozent erzielt. Der therapeutische Effekt von Mongersen scheint zudem länger anzuhalten: Am 84. Tag der Studie konnte bei jeweils 62 und 67 Prozent der Probanden, die 40 oder 160 Milligramm der Testsubstanz erhalten hatten, eine klinische Remission nachgewiesen werden. Mongersen wird oral als Tablette eingenommen, die sich aufgrund einer speziellen Verkapselung erst am Ende des Dünndarms auflöst. „Die lokale Anwendung führt nicht nur zu einer hohen Wirkstoffkonzentration am Ort des Entzündungsprozesses, sondern minimiert auch das Risiko von Nebenwirkungen, da nur geringe Mengen des Medikaments im Blut zirkulieren“, so Neurath.
Dass bei der Anwendung der neuen Substanz nicht mehr Nebenwirkungen als in der Placebo-Gruppe auftraten, könnte auch daran liegen, dass Mongersen auf eine völlig andere Art ins Krankheitsgeschehen eingreift als die bisherigen Medikamente. „Patienten mit Morbus Crohn weisen nicht nur große Mengen an entzündlichen, sondern auch antientzündlichen Botenstoffen auf, die eigentlich die Entzündung abbremsen müssten“, sagt Neurath. Diese paradoxe Situation hatte das Forschungsteam um Monteleone vor einigen Jahren auf die Idee gebracht, dass es bei den Patienten ein Molekül geben müsste, das verhindert, dass die antientzündlichen Botenstoffe ihre Wirkung entfalten. Schon wenig später entdeckten Monteleone und seine Mitarbeiter den Übeltäter: Bei Patienten mit Morbus Crohn ist das Protein SMAD7 besonders aktiv und blockiert das antientzündliche Molekül TGF-beta1, einen Botenstoff, der die Aktivität von Makrophagen und anderen Immunzellen hemmt. In der Folgezeit entwickelten die italienischen Wissenschaftler Mongersen – eine Substanz, die dafür sorgt, dass die von der Krankheit betroffenen Zellen kein SMAD7 mehr produzieren.
Neurath sieht trotz aller positiven Ergebnisse auch Schwachpunkte im Studiendesign: „Bei den Patienten wurde nur untersucht, ob die klinischen Symptome wie Bauchschmerzen und Durchfall abgeklungen, aber nicht, ob die Entzündungen im Darm tatsächlich abgeheilt waren.“ Andere Experten wie Andreas Stallmach, Direktor der Klinik für Innere Medizin IV des Universitätsklinikums Jena schließen sich dieser Kritik nur zum Teil an: Man hätte sicher vorher und nachher endoskopieren können, aber für den Patienten zählt letztlich, ob er von seinen Beschwerden befreit wird. Und in diesem Punkt ist Mongersen hoch effektiv und extrem schnell.“ Stallmach zeigt sich aber skeptisch, ob eine längere Therapie mit dem neuen Medikament wirklich arm an Nebenwirkungen ist: „Da TGF-beta1 auch eine Rolle beim Fibrose-Mechanismus spielt, könnte Mongersen auf längerer Sicht fibrotisch narbige Stenosen im Darm verursachen, die operativ entfernt werden müssten.“ Einen weiteren Schwachpunkt nennt Britta Siegmund, Direktorin der Medizinischen Klinik I der Berliner Charité: „Im Rahmen der Studie fand keine molekulare Analyse statt, da keine Konzentrationen der entzündlichen und antientzündlichen Botenstoffen im Darm gemessen wurden.“ Deswegen, so die Medizinerin, sei nicht klar, wie spezifisch die erzielten Effekte mit Mongersen seien. Sie und Stallmach wünschen sich daher, dass in einer Phase III-Studie die noch offenen Fragen beantwortet werden. Diese für die Zulassung relevante Studie mit einer größeren Anzahl an Patienten soll diesen Herbst beginnen, so dass wahrscheinlich übernächstes Jahr aussagekräftige Ergebnisse vorliegen. Originalpublikation: Mongersen, an oral SMAD7 antisense oligonucleotide, and Crohn's disease G. Monteleone et al.; N Engl J Med., doi: 10.1056/NEJMoa1407250; 2015