Besonders spannend an Phagen ist der Tunnel, durch den die Phagen ihre DNA in Bakterien einschleusen. Nun wurde die 3D-Struktur dieser entscheidenden Phagen-Komponente in atomarer Auflösung aufgeklärt.
Im Zuge der zunehmenden Antibiotikaresistenzen sind Phagen verstärkt in den Blick der Forschung geraten. Phagen sind natürlich vorkommende Viren, die eine sehr nützliche Eigenschaft besitzen: Sie schleusen ihre DNA in Bakterien ein und vermehren sich dort, bis die bakterielle Zelle schließlich vernichtet wird. Deswegen spricht man auch von Bakteriophagen, zu deutsch „Bakterienfresser“. Dass sich mit diesem Ansatz multiresistente Keime bekämpfen lassen, wurde bereits gezeigt. Schlagzeilen machte im vergangenen Jahr der Fall eines Mädchens aus England, das mit genetisch modifizierten Phagen von einer schweren, mit Antibiotika nicht mehr therapierbaren Infektion geheilt werden konnte.
Doch von einer breiten Anwendung ist die Phagentherapie noch weit entfernt. Viele Grundlagen sind noch nicht verstanden, die wichtig für die weitere Therapieentwicklung wären. So war bislang unklar, wie die genaue Architektur jenes Tunnels aussieht, über den die Phagen ihre DNA in die Bakterien einschleusen. Nun haben Wissenschaftler vom Leibniz-Forschungsinstitut für Molekulare Pharmakologie (FMP) in Berlin gemeinsam mit Kollegen des Forschungszentrums Jülich und des Universitätsklinikums Jena die 3D-Struktur dieser entscheidenden Phagen-Komponente in atomarer Auflösung aufklären können.
„Der DNA-Tunnel, der sich an das ikosaeder-förmige Kapsid anschließt, erinnert in seinem Aufbau und seiner Flexibilität ein wenig an eine Wirbelsäule“, beschreibt Prof. Adam Lange vom FMP, eine der neuen Einsichten. „Er scheint perfekt für den Transport von DNA designt zu sein.“
Struktur von Phagen-DNA-Tunnel in atomarer Auflösung aufgeklärt – methodischer Meilenstein gelungen, Quelle: Barth van Rossum
Die faszinierenden Einblicke in die Struktur und Operationsweise dieses raffinierten DNA-Transportwegs – in diesem Fall von einer Variante des Phagens SPP1 – konnten die Forscher gewinnen, weil sie auf eine innovative Weise die Festkörper-NMR und die Kryoelektronenmikroskopie (Kryo-EM) miteinander kombinierten. Die Kernspinresonanzspektroskopie (NMR) wurde von Langes Arbeitsgruppe speziell für diese Aufgabe im Rahmen eines ERC-Grants weiterentwickelt; die elektronenmikroskopischen Untersuchungen führte Kryo-EM-Experte Prof. Gunnar Schröder vom Forschungszentrum Jülich durch. Zusätzlich waren für die computergestützte Kombination beider Datensätze zur Strukturbestimmung neue Modellierungsalgorithmen notwendig, die von Prof. Michael Habeck vom Universitätsklinikum Jena entwickelt wurden. „Die Kombination der beiden Methoden war der Schlüssel zum Erfolg und ist ein methodischer Meilenstein“, betont Prof. Lange.
Während sich mit der Festkörper-NMR vor allem flexible Strukturen und winzigste Details gut darstellen lassen, erlaubt die Kryo-EM den Überblick über die Gesamtarchitektur. Das sich daraus ergebende Bild zeigt, dass sich sechs gp17.1-Proteine ringförmig organisieren, diese Ringe übereinander sitzen und so einen hohlen Tunnel formen. Hierbei sind die Ringe über flexible Linker miteinander verbunden, wodurch der Tunnel sehr biegsam wird. „Wir können nun verstehen, wie sich die negativ geladene DNA an der ebenfalls negativ geladenen Innenwand des flexiblen Tunnels abstößt und da reibungslos durchgleitet“, erläutert Maximilian Zinke vom FMP, Erstautor der jetzt in Nature Communications erschienen Studie. „Über diesen Weg werden die Bakterien letztendlich zerstört.“
Nach Ansicht von Arbeitsgruppenleiter Adam Lange hat die Arbeit nicht nur die Phagenforschung einen guten Schritt vorangebracht, sondern auch die „integrierte Strukturbiologie“, wie die Kombination der beiden sich ergänzenden Methoden bezeichnet wird.
Dieser Text basiert auf einer Pressemitteilung des Leibniz-Forschungsinstitut für Molekulare Pharmakologie (FMP).
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