Im Wartezimmer einer Arztpraxis liegen Flyer einer Versandapotheke aus. Klingt harmlos, findet ihr? Für den Arzt könnte das aber juristische Folgen haben.
Mit gutem Marketing lässt sich der Umsatz steigern. Das gilt selbstverständlich auch für Apotheken. Die Bandbreite der genutzten Kanäle ist dabei groß: von Werbung auf Social Media, im Supermarkt-Radio bis hin zum Warentrenner. So weit, so gewöhnlich. Doch was ist, wenn Werbeflyer einer Apotheke im Wartezimmer einer Arztpraxis ausgelegt werden? Ist das überhaupt gesetzlich erlaubt? Ich habe mich auf die Suche nach Antworten gemacht – klar, als Apothekerin bin ich etwas parteiisch. Aber die rechtlichen Hintergründe der Werbung im Wartezimmer sind auch so sehr eindeutig.
Im aktuellen Fall geht es um Werbeflyer der niederländischen Versandapotheke Shop Apotheke. Sie lagen kürzlich in einer Arztpraxis aus. „Bestellen Sie Ihre Medikamente online mit vielen Vorteilen“ steht auf der Titelseite; die letzten vier Wörter sind dabei fettgedruckt.
Einer der ausgelegten Flyer. Bildquelle: Eigenes Foto
Zusätzlich für Aufmerksamkeit sorgt ein roter Störer mit dem Text „Jetzt 10 % sparen! Gutschein auf der Rückseite!“. Im weiteren Verlauf heißt es unter anderem „Sparen Sie sich Zeit und Geld und senden Sie uns einfach Ihr Rezept vom Arzt“.
„Solche Fälle zeigen uns immer wieder, dass Versandapotheken nichts unversucht lassen, an die Quelle der Rezepte zu gelangen“, kommentiert Rechtsanwalt Dr. Morton Douglas im Auftrag der zuständigen Apothekerkammer das Vorgehen.
Zudem ist im Flyer – ganz serviceorientiert – ein Freiumschlag enthalten, den der Patient zum Einschicken der Verordnung nutzen kann. Ob der Patient hier, wie versprochen, wirklich Zeit spart, ist fraglich. Die Alltagserfahrung zeigt uns, dass durch den Postweg und die anschließende Bearbeitung der Rezepte mindestens zwei bis drei Tage vergehen. Wenn ein Rezept hingegen in einer Vor-Ort-Apotheke eingelöst wird, können die Arzneimittel und/oder Medizinprodukte bereits innerhalb weniger Stunden ausgeliefert werden. Mit welcher Apotheke der Patient Zeit spart, dürfte selbsterklärend sein.
Die Shop Apotheke wirbt außerdem mit einem Rezept-Bonus: Wenn das rezeptpflichtige Arzneimittel unter 70 Euro kostet, kann der Patient einen Bonus in Höhe von 2,50 Euro erwarten. Zwischen 70 und 300 Euro sind es fünf Euro, bei mehr als 300 Euro sogar zehn Euro. Zusätzlich würde der Kunde zehn Euro für sein erstes Rezept erhalten.
Der sogenannte Rezept-Bonus. Bildquelle: Eigenes Foto
Diese Marketingstrategie ist in der Branche bekannt und vielen Kollegen ein Dorn im Auge. Denn derartige Rabatte dürfen die Apotheken hierzulande gemäß Arzneimittelpreisverordnung (AMPreisV) nicht gewähren, ausländische Versender hingegen schon.
„Das, was die Shop Apotheke macht, ist für uns sehr ärgerlich und im Rahmen des Wettbewerbs nicht fair“, kommentiert ein Apothekeninhaber den Fall. „Der Patient, also ein Laie, wird in diesem Fall zu unserem Nachteil beeinflusst. Er vertraut den Erfahrungen des Arztes und hinterfragt diese Aktion vielleicht auch gar nicht.“
Der Apotheker findet, dass Ärzte unabhängig sein und Patienten die freie Apothekenwahl lassen sollten. Ein Werbeflyer im Wartezimmer schränke diese Unabhängigkeit ein. Sinngemäß spricht er das aus, was auch die ABDA zur AMPreisV auf ihrer Website schreibt:
„Der Grundgedanke dabei lautet, dass Patienten ein bestimmtes Arzneimittel in jeder Apotheke zu den gleichen Bedingungen bekommen sollen. Kranke Menschen sind […] zu einem Vergleich von Preisen oft kaum in der Lage. Ein Patient ist kein frei handelnder Nachfrager gemäß der Theorie einer freien Marktwirtschaft. In einem unregulierten System ließe sich nur schwer verhindern, dass Anbieter diese Notlage durch besonders hohe Preise ausnutzen. Bei einheitlichen Apothekenabgabepreisen muss sich dagegen niemand Sorgen machen, übervorteilt zu werden.“
Doch was ist mit solchen Apotheken, die aktuell noch übervorteilt werden? Noch, weil Versandapotheken mit dem Gesetz zur Stärkung der Vor-Ort-Apotheken (VOASG) gesetzlich Versicherten bald keine Rabatte mehr auf rezeptpflichtige Arzneimittel gewähren dürfen. Das Gesetz soll voraussichtlich im Dezember 2020 in Kraft treten. Dazu bloß die lapidare Reaktion eines Sprechers der Shop Apotheke auf Anfrage: „Bitte haben Sie Verständnis dafür, dass wir aus strategischen Gründen grundsätzlich keinen Kommentar zu unseren Werbeaktivitäten geben.“
Rechtsanwalt Douglas erklärt: „Vor rund zwei Wochen wurde das Apothekengesetz (ApoG) dahingehend geschärft, dass nun auch ausländische Versandapotheken ausdrücklich im Gesetzestext berücksichtigt werden. Der § 11 Abs. 1 wurde um den Satz 3 ergänzt.“ Im Wortlaut heißt es dort jetzt: „Die Sätze 1 und 2 gelten auch für Apotheken, die in einem anderen Mitgliedstaat der Europäischen Union oder in einem anderen Vertragsstaat des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum liegen, sowie deren Inhaber, Leiter oder Personal, soweit diese Apotheken Patienten in Deutschland mit Arzneimitteln versorgen.“
„Doch es geht nicht nur um das ApoG. Zudem geht es auch um die Berufsordnung der Ärzte”, stellt der Experte klar. So untersage § 31 Abs. 2 („Unerlaubte Zuweisung“) bereits eine Empfehlung von Apotheken an die Patienten. Ein Werbeflyer im Wartezimmer erfüllt seiner Ansicht nach bereits diesen Sachverhalt.
In der Berufsordnung liest man: „Sie dürfen Ihren Patientinnen und Patienten nicht ohne hinreichenden Grund bestimmte Ärztinnen oder Ärzte, Apotheken, Heil- und Hilfsmittelerbringer oder sonstige Anbieter gesundheitlicher Leistungen empfehlen oder an diese verweisen.” Es liegt somit der Verdacht nahe, dass auf diese Weise die Shop Apotheke den Arzt zum berufsrechtlichen Verstoß korrumpiere, so Douglas. „Im juristischen Sinne sprechen wir hier von einer Anstiftung.“
Werbung hat ihre Grenzen, insbesondere wenn es um Heilberufe geht. Das ApoG und auch die Berufsordnungen sind in der Hinsicht kontrollierende Instanzen. „Wartezimmer-Werbung ist ein Dauerbrenner“, sagt Douglas. „Aus der Vergangenheit sind uns regelmäßig Fälle von unzulässiger Wartezimmer-Werbung durch Apotheken bekannt. Dies ist immer wieder ein Streitthema zwischen den Kammern und ihren Mitgliedern.“
Doch damit gegen einzelne Verstöße rechtlich vorgegangen werden kann, müssten diese gemeldet werden. Das betont auch die Apothekerkammer Niederrhein: „Nur mit solchen Hinweisen können wir den Fall verfolgen und dagegen etwas unternehmen.“
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