Arbeiten bis zum Herzschrittmacher: Meine Tätigkeit als Klinikärztin hatte ernsthafte gesundheitliche Folgen für mich. Dem System bin ich mittlerweile entkommen, aber geändert hat sich dort nichts.
Es ist einige Zeit her, da schrieb ich einen Artikel über überlastete Mitarbeiter in Gesundheitsberufen. Der Artikel hieß: „Klinikärzte: Bis nix mehr geht“, und als jetzt von DocCheck die Anfrage kam, ob ich zu dem Thema „Mentale Gesundheit von Ärzten“ etwas schreiben möchte, dachte ich sofort an den Beitrag.
Das Erschreckende ist, dass sich seit damals nichts geändert hat. Im Gegenteil. Haben wir tatsächlich gedacht, wir seien am Limit? Ärzte und Mitarbeiter aus pflegerischen Berufen haben im Rahmen der Corona-Pandemie mal wieder bewiesen, wie belastbar sie sind und dass sie eher selbst am Stock gehen, als ihre eigenen Grenzen aufzuzeigen. Aber hey, es wurde geklatscht und damit konnte man sich schließlich einen schönen Urlaub an der Nordsee leisten und lecker Nordseekrabben beim Deichimbiss essen.
Ach ne, stimmt nicht. Klatschen füllt leider keine Urlaubskasse. Dabei geht es nicht alleine um das Geld, vielmehr geht es um die Wertschätzung. Aber immerhin gab es Lavendel. Der duftet so fein und hat eine beruhigende Wirkung, was allen Überlasteten sehr entgegen kommt. Und wenn man nur ausreichend Lavendelkapseln aus der Apotheke schluckt, kann man sogar lavendelduftend aufstoßen. Wirklich. Das ist eine bekannte Nebenwirkung.
Das System stößt allen schon lange auf (aber nicht lavendelartig), doch es ändert sich nichts. Manche Mitarbeiter erhalten einen Bonus, andere wieder nicht. Je nach Gusto der Krankenhausgesellschaft.
Ich bin glücklich, dass ich inzwischen in der Praxis als Landärztin arbeite und dem System entkommen konnte. Dafür habe ich aber auch den Schlag vor den Bug gebraucht. Meine belastende Situation endete damit, dass mir nach vielen Diensten in der Notaufnahme, Überstunden, fehlender Zeit für die Familie und unfassbar schlechter Ernährung, die auf Kaffee, Ibuprofen und Pantoprazol beruhte, ein Defibrillator eingebaut wurde. Weil mein Herz ziemlich aus dem Takt geraten war und es stolperte, Purzelbäume schlug, mir die Luft nahm. Hätte ich doch bloß mal am Lavendel geschnuppert. Natürlich bekommt nicht jeder Mensch mit Herzstolpern ein elektronisches Gerät implantiert. Aber mit einer angeborenen Herzrhythmusstörung musste man bei mir auf Nummer sicher gehen.
Drei Tage nach dem operativen Eingriff war ich wieder zu Hause, drei Wochen später wieder in der Klinik. Reha? Erholung? Pah. Wo denkt ihr hin? Ich bin Ärztin. Ich werde nicht krank. Der Defi beschützt nicht mich mit seinem Strom, sondern mein Körper versorgt ihn mit meiner Elektrizität.
Drei Monate später kehrte ich der Klinik dann doch den Rücken und siedelte mich im ambulanten Bereich an.
Auf meinen Blogartikel, in dem ich über überlastete und depressive Mitarbeiter gesprochen habe, bekam ich sehr viel Resonanz per E-Mail.
„Der Job hat mich kaputtgemacht.“
„Ich liebe und hasse meinen Beruf!“
„Ich kann nicht mehr.“
Aber warum tun wir uns so schwer, uns unsere Grenzen einzugestehen? Immer höher, schneller, weiter? Noch ein Patient mehr, noch eine Überstunde, nochmal schnell zum Kindergarten gerannt und das Kind mal wieder als letztes abgeholt.
Ist es der Drang, sich selbst zu kasteien, sich selbst zu beweisen, wie leidensfähig man ist? Ein angeborener Narzissmus, reiner Altruismus oder antrainierte Leidensfähigkeit? Es gibt Untersuchungen, die zeigen, dass schon Medizinstudenten zu Depression neigen und tatsächlich habe ich regelmäßig Kollegen mit Störungen der mentalen Gesundheit erlebt: Depression, Panikattacken, Angststörungen, Suchtneigung.
Man sollte ja meinen, dass wir als Ärzte total gesund leben: ausreichend Schlaf, gesunde Ernährung, Verzicht auf Alkohol und Nikotin und natürlich viel Sport im Leben. Weil wir ja eigentlich wissen sollten, wie es geht. Mal abgesehen davon, dass reine Askese noch nie jemandem Freude bereitet hat, klöppeln wir uns unsere Erklärungen zurecht: Keine Zeit für Schlaf, keine Zeit für gesunde Ernährung, keine Zeit für Sport. Die Ernährung basiert auf Cola und Zigaretten und zum abendlichen Abschalten wird das tägliche Glas Alkohol gebraucht. Das andere Extrem sind Ultramarathonsupersportveganer, die ihre Freizeit beinahe zwanghaft der Gesundheit widmen.
Ich überzeichne natürlich. Persönlich trinke ich wenig Alkohol und rauche nicht, so wie viele Kollegen auch. Inzwischen ernähre ich mich auch wieder sehr gesund und treibe Sport, weil mein Leben außerhalb der Klinik es zulässt. In den Fängen der Krankenhäuser wird das Leben teilweise zur reinen Arbeit destilliert und entschwindet flüchtig in den Bereitschaftszimmern und OP-Sälen. Wie Lavendelduft.
Ändern werden wir das System so schnell nicht, aber bessere Arbeitsbedingungen täten der mentalen Gesundheit von Klinikmitarbeitern gut. Eine Freundin berichtete mir von einer Klinik, in der Wertschätzung groß geschrieben wird: Es gibt Fachmessen für Bewerber, Weihnachtsgeschenke, Poolzahlungen, offene Kommunikation, Teaching. Und Eis. Ehrlich. Tage, an denen es Eis für die Mitarbeiter gibt.
Trotz hoher Arbeitsbelastung sind die Angestellten dort zufriedener als in anderen Kliniken, was der mentalen Gesundheit natürlich zuträglich ist. Daher müssen wir auf uns und auf unsere Kollegen achtgeben und auch mal nachfragen, wie es dem anderen geht. Zuhören. Wertschätzen. Und ab und an mal ein Eis essen.
Bildquelle: sheri silver, unsplash