Das magenwirksame Prokinetikum Iberogast® stand in den letzten Jahren in der Kritik. Ein zweites Präparat soll nun die Vormachtstellung halten. So sieht die Studienlage aus.
Die Selbstmedikation und vor allem pflanzliche Arzneimittel liegen, trotz Coronakrise, immer mehr im Trend. Darauf weist eine repräsentative Aposcope-Umfrage mit mehr als 300 befragten Apothekern und PTA hin. Über 80 Prozent der Teilnehmer gaben an, dass die Relevanz dieser Produktgruppe in den vergangenen fünf Jahren gestiegen sei, und ihrer Einschätzung zufolge auch weiterhin steigen wird.
Es existieren nur wenige Phytopharmaka mit einem Alleinstellungsmerkmal und einem Block-Buster-Status. Das magenwirksame Prokinetikum Iberogast® mit Schleifenblume und anderen Inhaltsstoffen ist eines davon. Wegen Schöllkraut, Leberschäden und einem möglichen Todesfall ist das Produkt in die Kritik geraten. Der Hersteller Bayer hat die Warnungen lange Zeit ignoriert, und Ende letzten Jahres doch eine Rolle rückwärts gemacht.
Die Prävalenz des Reizdarmsyndroms (RDS) wird weltweit mit ca. 11 Prozent und in Europa mit 5–10 Prozent angegeben. Die Erkrankung ist eine der häufigsten gastrointestinalen Funktionsstörungen und ist für bis zu 50 Prozent der Besuche beim Hausarzt verantwortlich. Auch Medikamente wie Kalziumantagonisten, Bisphosphonate, Eisenpräparate, Kortikosteroide, Östrogene, Antibiotika und Gerinnungshemmer können dyspetische Beschwerden hervorrufen.
Die Rom-IV-Kriterien definieren zwei Typen der funktionellen Dyspepsie. Das Epigastric Pain Syndrome (EPS), bei dem unabhängig von den Mahlzeiten Schmerzen und Brennen im Oberbauch auftreten, und das postprandial Distress Syndrome (PDS), bei dem es nach dem Essen zu Völlegefühl, Übelkeit und frühzeitigem Sättigungsgefühl kommt.
Das schöllkrauthaltige Arzneimittel Iberogast® ist eines der meistverkauften rezeptfreien Arzneimittel. 8,8 Millionen verkaufte Packungen im Jahr beruhen möglicherweise auf der Annahme, dass pflanzliche Arzneimittel grundsätzlich sanft und sicher sind. Iberogast® steht jedoch seit längerem in der Kritik, weil das darin enthaltene Schöllkraut im Verdacht steht, leberschädigende Wirkungen zu haben. Lange hatte sich der Hersteller, trotz der Kritik, einer schöllkrautfreien Variante verschlossen. Nun brachte Bayer im letzten Jahr mit Iberogast® Advance doch eine solche auf den Markt. Der Hersteller betont aber, dass er unverändert zu dem positiven Nutzen-Risiko-Verhältnis von Iberogast® in den zugelassenen Indikationen stehe.
In einer tierexperimentellen Studie von Schemann et al. wurden das bisherige und das neue Präparat getestet und für gleichwertig befunden. Zwei der Autoren geben jedoch Interessenkonflikte an und sind Mitarbeiter der Herstellerfirma.
Iberogast® enthält die Heilpflanzen bittere Schleifenblume, Angelikawurzel, Kamillenblüten, Kümmelfrüchte, Mariendistelfrüchte, Melissenblätter, Pfefferminzblätter, Schöllkraut und Süßholzwurzel. Der Klassiker wirkt überwiegend motilitätsregulierend. Schöllkraut wirkt u. a. spasmolytisch.
Vom herkömmlichen Iberogast® profitieren Personen, die akute Beschwerden behandeln möchten, wie es zum Beispiel nach einem üppigen Essen oder auf Reisen vorkommen kann. Die enthaltenen Extrakte der Heilpflanzen wirken besonders regulierend, motilitätsfördernd auf die Magen- und Darm- Muskulatur.
Iberogast® Advance wird vom Hersteller bei funktionellen Magen-Darm-Erkrankungen wie Reizmagensyndrom (funktionelle Dyspepsie) und Reizdarmsyndrom (Colon irritabile) empfohlen.
Didaktisch reduziert: Das „alte“ Produkt“ für akute Beschwerden, das neue bei chronischen Erkrankungen.
Iberogast advance enthält Bittere Schleifenblume, Kamillenblüten, Kümmelfrüchte, Melissenblätter, Pfefferminzblätter und Süßholzwurzel.
Die Dosierung bei vier der sechs Heilpflanzenextrakte wurde im Vergleich zum Klassiker um jeweils 50 bis 100 Prozent erhöht. Es wurde also nicht nur Schöllkraut entfernt, sondern die Zusammensetzung insgesamt angepasst. Das Präparat enthält einen höheren Anteil an desensibilisierend, antientzündlich und schleimhautschützend wirkenden Extrakten. Beide Präparate bleiben parallel auf den Markt.
Auch ätherische Öle von Kamille, Pfefferminz und Kümmel werden zur Behandlung des Reizdarmsyndroms propagiert.
Khanna et al. berichten in einer Metaanalyse, dass Pfefferminzöl beim Reizdarm Placebo deutlich überlegen war. Es verbesserte sowohl den allgemeinen Symptomscore des Reizdarmsyndroms als auch die Unterkategorie Bauchschmerzen. Minzöl bzw. Menthol wirken als Calciumkanalhemmer an der glatten Muskulatur.
Über den Opioidrezeptor KOR entfaltet Menthol eine analgetische Wirkung und wirkt als Serotoninantagonist.
In einer Studie von Holtmann et al. wurde die Wirkung einer Kapselformulierung mit Pfefferminz- und Kümmelöl getestet. Völlegefühl, Schmerzen und die Lebensqualität haben sich gebessert. Von den 114 Patienten der 4-wöchigen Studie entschieden sich 54 für die 8-wöchige Fortsetzung der Studienteilnahme (34 Verum, 20 Placebo).
In einer Beobachtungsstudie von Storr und Schiefke wurden 2.148 Patienten mit dyspeptischen Beschwerden analysiert. Die Teilnehmer erhielten über 4 Wochen eine Zubereitung aus Pfefferminz- und Kümmelöl (Menthacarin).
Die Besserung der Schmerzintensität im Oberbauch, dyspeptische und darmassoziierte Symptome wurden durch den Patienten bewertet. Die Symptome besserten sich nach 4-wöchiger Einnahme deutlich bei den Probanden. Oberbauchschmerzen bestanden bei 53 Prozent vor und 7 nach der Therapie. Zum Therapiebeginn hatten 51 Prozent der Patienten Meteorismus, am Ende der Therapie nur noch 1,5%. 49 Prozent der Ärzte beurteilten die Wirksamkeit der Zubereitung mit „sehr gut“, 34 Prozent mit „gut“ und 10 Prozent mit „befriedigend“.
Auch weitere pflanzliche Präparate beanspruchen ähnliche Indikationsgebiete. Die Datenlage ist jedoch meist nicht immer evident. Hier ein paar Beispiele:
Es ist ungewöhnlich, dass Doccheck über ein Präparat von einem Hersteller berichtet. Bei Phythopharmaka existieren jedoch keine Generika. Die Auswahl der Pflanzen, des Extraktionsmittels, des Herstellungsverfahrens und vielen weiteren Faktoren machen das Produkt „einzigartig“.
Da der Dopaminantagonist Metoclopramid als Prokinetikum in die Kritik geraten ist, bleiben außerdem nicht viele Alternativen.
Disclaimer: Der Autor gibt an, von keinem der Hersteller der besprochenen Produkte Honorare für Seminar oder Artikel erhalten zu haben oder über Aktien der Firma zu verfügen.
Bildquelle: Sven Scheuermeier, unsplash