Die Antwort lautet Nein. Und zwar immer, wenn ich als Apotheker gefragt werde, ob ich bei der Rezeptpflicht eine Ausnahme machen kann. Können wir nicht. Warum, erkläre ich hier.
„Aber ich kaufe es doch immer bei Ihnen!“
„Ich bringe Ihnen das Rezept am Montag!“
„Mein Arzt ist im Urlaub!“
usw.
usf.
Jeder, der in der Apotheke im Handverkauf steht, kennt diese Sätze. Früher oder später kommt man in in die Situation, dass ein Kunde ein verschreibungspflichtiges Arzneimittel haben möchte, dafür aber kein Rezept hat.
Ganz ehrlich, ich verstehe, dass man einmal etwas Rezeptpflichtiges benötigt und kein Rezept dafür hat. Aber: Ich bin es leid, ständig darüber diskutieren zu müssen. Wenn ich sage, es geht nicht, weil das Arzneimittel rezeptpflichtig ist und ich mich damit strafbar machen würde, müsste die Diskussion eigentlich sofort beendet sein. Weit gefehlt. Man könnte den Apotheker ja doch noch umstimmen. Nein.
Hält man sich ans Gesetz, verliert man möglicherweise Kunden. Oft langjährige. Verstößt man gegen das Gesetz, verliert man möglicherweise Geld, Freiheit und seine Approbation. Keine schwierige Entscheidung, möchte man meinen.
Man unterscheidet in der Apotheke zwischen rezeptfreien und verschreibungspflichtigen Arzneimitteln.
Für die rezeptfreien (OTC-) Arzneimittel benötigt man — wie es der Name schon verrät — kein Rezept. Sie gelten als wirksam und sicher und dürfen bei bestimmungsgemäßem Gebrauch die Gesundheit des Anwenders nicht gefährden.
Manche Arzneimittel wie Paracetamol sind zwar rezeptfrei, können aber in höheren Dosen gefährlich sein, weshalb eine Packung nicht mehr als zehn Gramm Paracetamol enthalten darf. Dementsprechend beinhalten die Packungen mit 500 Milligramm Paracetamol je Tablette maximal zwanzig Tabletten und die Tabletten mit je 1.000 Milligramm Paracetamol gibt es nur in einer Zehnerpackung.
Seit dem 1. Januar 2004 können OTC-Präparate nicht mehr verordnet werden, da die GKV sie nicht mehr erstattet. Es sei denn, die rezeptfreien Arzneimittel gelten als Therapiestandard bei schwerwiegenden Erkrankungen (siehe Anlage 1 der Arzneimittelrichtlinie) oder sie werden für Kinder unter 12 Jahren oder für Jugendliche mit Entwicklungsstörungen verordnet.
Häufig wird zum Beispiel das rezeptfreie ASS 100 nach einem Herzinfarkt oder einem Schlaganfall zur Reinfarktprophylaxe aufgrund der thrombozytenaggregationshemmenden Wirkung verordnet. Sinnvoll ist die Verordnung auf Rezept allerdings nur, wenn der Patient von der Zuzahlung befreit ist, da er sie in dem Fall komplett umsonst bekommt.
Die Patienten, die allerdings nicht von der Zuzahlung befreit sind, müssen den vollen Preis bezahlen, da die Tabletten meist weniger kosten als die Zuzahlung von fünf Euro. Hinzu kommt, dass das Präparat auf Rezept sogar häufig teurer ist, als würde man es ohne kaufen, da so etwaige Rabatte wegfallen. Theoretisch müssten sogar noch die Rabattverträge eingehalten werden.
Demgegenüber stehen die verschreibungspflichtigen Arzneimittel, die vielleicht noch relativ neu auf dem Markt sind und deren unerwünschte Arzneimittelwirkungen noch nicht vollständig erfasst wurden, oder die aufgrund der Nebenwirkungen nur unter ärztlicher Überwachung eingenommen werden dürfen.
Einige Arzneimittel haben auch ein großes Missbrauchspotenzial, wie zum Beispiel Zolpidem, das als Schlafmittel verordnet wird und stark abhängig machen kann. Das sollte definitiv nicht ohne Überwachung des Arztes eingenommen werden.
Laut Arzneimittelgesetz §48 dürfen verschreibungspflichtige Arzneimittel „nur bei Vorliegen einer ärztlichen, zahnärztlichen oder tierärztlichen Verschreibung an Verbraucher abgegeben werden“.
Finde ich das in jedem Fall sinnvoll? Nicht unbedingt.
Halte ich mich ans Gesetzt? Unbedingt.
Habe ich Verständnis für Menschen, die ihr Arzneimittel dringend brauchen und es nicht geschafft haben, sich ein Rezept zu besorgen? Mal ja, mal nein.
Wenn dringend die Pille zur Verhütung benötigt wird und man — überspitzt gesagt — es in sechs Monaten nicht geschafft hat, sich ein neues Rezept zu holen, dann ist das für die Dame und ihren Partner vielleicht nicht so toll, für mich aber kein Grund, gegen das Gesetz zu verstoßen und somit eine Strafe und eventuell sogar den Verlust meiner Approbation zu riskieren. Sorry.
Schauen wir uns in diesem Zusammenhang das Arzneimittelgesetz §48 Abs 1 im Detail an. Da steht:
Mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe wird bestraft, wer entgegen § 43 Abs. 1 Satz 2, Abs. 2 oder 3 Satz 1 mit Arzneimitteln, die nur auf Verschreibung an Verbraucher abgegeben werden dürfen, Handel treibt oder diese Arzneimittel abgibt.
Wir in den Apotheken haben fast immer die Möglichkeit, telefonisch Rücksprache mit dem behandelnden Arzt zu halten. Ist das nicht möglich, sollte ein Bereitschaftsarzt aufgesucht werden oder im Notfall ins Krankenhaus gegangen werden. Demgegenüber stehen die Paragraphen 34 und 323c des StGB.
Wer in einer gegenwärtigen, nicht anders abwendbaren Gefahr für Leben, Leib, Freiheit, Ehre, Eigentum oder ein anderes Rechtsgut eine Tat begeht, um die Gefahr von sich oder einem anderen abzuwenden, handelt nicht rechtswidrig, wenn bei Abwägung der widerstreitenden Interessen, namentlich der betroffenen Rechtsgüter und des Grades der ihnen drohenden Gefahren, das geschützte Interesse das beeinträchtigte wesentlich überwiegt. Dies gilt jedoch nur, soweit die Tat ein angemessenes Mittel ist, die Gefahr abzuwenden.
Wer bei Unglücksfällen oder gemeiner Gefahr oder Not nicht Hilfe leistet, obwohl dies erforderlich und ihm den Umständen nach zuzumuten, insbesondere ohne erhebliche eigene Gefahr und ohne Verletzung anderer wichtiger Pflichten möglich ist, wird mit Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr oder mit Geldstrafe bestraft.
Laut DAZ wurde ein Apotheker verurteilt, der einem Patienten mit akutem Asthmaanfall in der Apotheke sein Medikament aushändigte. Der Mann hatte aufgrund des Notfalls kein Rezept und hat sich in die Apotheke geschleppt. Der Apotheker hätte in diesem Fall einen Notarzt rufen müssen und kam nicht damit durch, dass es sich sonst um unterlassene Hilfeleistung gehandelt hatte.
Ich habe in einigen Apotheken gearbeitet, die das mit der Verschreibungspflicht nicht so eng sahen und das teilweise auch von mir erwartet hatten. Da kamen dann die Kunden extra in diese Apotheke, da sie nur hier für ihre Schlaftabletten (oder für was auch immer) kein Rezept benötigten. Dass ich nichts ohne Rezept abgeben wollte, wurde nicht gern gesehen, was für mich dann auch der Grund war, die Apotheke zu wechseln.
Aufpassen muss man auch, wenn der Heilpraktiker ein verschreibungspflichtiges Arzneimittel verordnet, denn dazu ist er natürlich nicht berechtigt. Als ich einen Kunden in der Apotheke stehen hatte, dem der Heilpraktiker rezeptpflichtige Vitamin-D-Kapseln verordnet hatte, rief ich ihn daraufhin an und wollte das mit ihm klären. Seine Reaktion war: „Nur, weil die jetzt rezeptpflichtig sind, geben Sie ihm die nicht?“ Ähm, ja. Nur deswegen.
Meine ehemalige Chefin erzählte mir damals davon, wie eine andere Apothekerin, mit der sie sogar zusammen studiert hatte, bei ihr in der Apotheke war und sie ausnahmsweise um ein rezeptpflichtiges Arzneimittel bat. Da sie sich kannten und sie ja ebenfalls Apothekerin war, dachte sich meine ehemalige Chefin nichts dabei und gab ihr das Arzneimittel.
Tja, die ehemalige Kommilitonin brauchte das Arzneimittel nicht wirklich und war nur unterwegs, um Testkäufe durchzuführen. Meine ehemalige Chefin fiel durch.
Ihre Approbation durfte sie offensichtlich behalten; wie hoch ihre Strafe war, habe ich nie erfahren.
Bildquelle: Ahmed Carter, unsplash