Über vierzig Prozent der Patienten mit chronischer Migräne leiden außerdem an Medikamentenübergebrauch-Kopfschmerzen. Eine Anti-CGRP-Antikörpertherapie könnte diesen Patienten jetzt helfen.
Medikamente gegen Kopfschmerzen können, wenn sie zu häufig eingesetzt werden, Kopfschmerzen auslösen oder verschlechtern. Auch spezielle Migränemedikamente, sogenannte Triptane, können bei mehr als 10 Einnahmetagen/Monat zu Kopfschmerzen führen. Das kann bei Patientinnen und Patienten mit starker Migräne und häufigen Attacken zum Problem werden. Es ist dann schwer, unter 10 Einnahmetagen zu bleiben, doch bei mehr Einnahmetagen kann es durch die Schmerz- und Migränemittel zu einem Medikamentenübergebrauch-Kopfschmerz kommen – und ein Teufelskreis entsteht.
„Im klinischen Alltag sehen wir das häufig, dass Patientinnen und Patienten mit Migräne an deutlich mehr als 10 Tagen Kopfschmerzmedikamente einnehmen bzw. einnehmen müssen, weil sie die Schmerzen sonst nicht aushalten, und infolge des Medikamentenübergebrauchs die Frequenz der Kopfschmerztage steigt“, erklärt Prof. Dr. Hans-Christoph Diener, Essen, Pressesprecher der Deutschen Gesellschaft für Neurologie (DGN). „Bislang hatten wir nur die Möglichkeit, die Medikamente maßgeblich zu reduzieren, um den Teufelskreis zu durchbrechen, mussten damit den Betroffenen aber viel abverlangen.“
Gemäß den Leitlinien von 2019 sollten Migränepatientinnen und -patienten, wenn Medikamentenübergebrauch-Kopfschmerzen diagnostiziert wurden, die Medikation von akuten Kopfschmerzattacken reduzieren. Die Empfehlung lautete, die Medikamente über 2–4 Wochen ganz wegzulassen oder zumindest die Behandlungstage auf 2 pro Woche zu beschränken.
Eine weitere Option war, die Patienten von Triptanen auf nichtsteroidale Antirheumatika (NSAR), frei verkäufliche Schmerzmittel, umzustellen. „Für die Betroffenen waren alle drei Optionen in der Regel schwierig, denn wer schwere Kopfschmerzen erlebt hat, weiß, was es bedeutet, sie ohne wirksame Schmerzmedikamente aushalten zu müssen. Auch die Option der Umstellung auf NSAR ist wenig zielführend, da diese Substanzgruppe bei schwerer Migräne meistens nicht hilft“, so der Migräneexperte und verweist auf neue Daten, denen zufolge die Betroffenen ohne Therapiepause und Schmerzmittelentwöhnung auf eine Anti-CGRP („Calcitonin Gene-Related Peptide“)-Antikörpertherapie eingestellt werden können.
Post-hoc-Analysen von zwei großen, randomisierten Studien mit humanisierten monoklonalen Antikörpern, die gegen CGRP gerichtet sind, werteten nur die Patientinnen und Patienten aus, bei denen ein Medikamentenübergebrauch-Kopfschmerz vorlag (definiert als Einnahme von Triptanen oder Ergot-Derivaten an mehr als 10 Tagen pro Monat oder Einnahme von anderen Schmerzmitteln an mehr als 15 Tagen pro Monat). Die Subgruppenanalyse der HALO-Studie zeigte, dass bei Patientinnen und Patienten mit chronischer Migräne und Medikationsübergebrauch zum Zeitpunkt des Studieneinschlusses Fremanezumab die Zahl der Kopfschmerztage signifikant reduzierte, und zwar sowohl bei vierteljährlicher als auch bei monatlicher Gabe.
Die Zahl der Studienteilnehmerinnen und -teilnehmer, bei denen durch die Antikörpertherapie kein Medikamentenübergebrauch mehr erfolgte, halbierte sich in der Gruppe, die vierteljährlich die „Migräne-Spritze“ erhielt (Abnahme um 55,2%), und sank bei monatlicher Gabe sogar noch weiter ab (Abnahme um 60,6 %).
Als ebenfalls sehr erfolgreich in der Senkung der Migränetage bei Patientinnen und Patienten mit chronischer Migräne und Schmerzmittelübergebrauch erwies sich Eptinezumab, ein neuer humanisierter monoklonaler Antikörper gegen CGRP, der bislang allerdings noch nicht in der EU zugelassen ist. Die Auswertung der PROMISE-2-Studie ergab, dass die Patientinnen und Patienten, die zum Studieneinschluss einen Medikamentenübergebrauch aufwiesen, im Durchschnitt 16,7 Migränetage hatten und dass diese Anzahl sich 24 Wochen nach Therapiebeginn in beiden Therapiedosierungen (100 mg vs. 300 mg) auf 8 Tage reduzierte, was ebenfalls eine Halbierung bedeutet.
Eine weitere Option, die Migränetage zu senken, ist die Therapie mit Botulinumtoxin Typ A („Botox“). Die PREEMPT-Studie zeigte, dass auch diese Behandlung ausreichend wirksam sein kann. „Bei vielen Patientinnen und Patienten kann die Therapie mit Botulinumtoxin die Anzahl der Schmerztage ebenfalls halbieren. Nur bei Patientinnen und Patienten, bei denen die Therapie versagt oder nicht ausreichend wirkt, ist die deutlich kostenintensivere Antikörpertherapie indiziert und wird auch von den gesetzlichen Krankenkassen übernommen“, erklärt Prof. Diener.
Für besonders aufschlussreich hält der Experte übrigens einen Nebenbefund der PROMISE-2-Studie: Sie zeigte, dass allein 40,2 % der Patientinnen und Patienten mit chronischer Migräne einen Schmerzmittel-übergebrauch zu Studienbeginn aufwiesen. „Das macht deutlich, wie groß das Problem ist: Fast die Hälfte der Menschen mit chronischer Migräne nehmen zu viele Schmerzmittel ein und riskieren damit, dass dieser Übergebrauch neue Kopfschmerzattacken auslöst. Diese Patientinnen und Patienten sind oft in einer verzweifelten Lage, ein ‚kalter Entzug‘ ist ihnen einfach nicht möglich, obwohl sie wissen, dass die kurzfristige Lösung für das Problem, das sie haben, auch die Ursache des Problems sein könnte, die Schmerzmittel also Kopfschmerzen auslösen können. Endlich haben wir für diese Patientinnen und Patienten nun weitere Therapieoptionen: die Umstellung auf Botulinumtoxin A und – bei Nichtansprechen – die Antikörpertherapie; dies reduziert die Krankheitslast und kann sie so von der Schmerzmittelabhängigkeit befreien!“
Dieser Text basiert auf einer Pressemitteilung der Deutschen Gesellschaft für Neurologie.
Bildquelle: Aron Van de Pol, unsplash