Über Jahrzehnte galt die Hypothese, dass die Konzentration eines bestimmten Signalmoleküls die Herzfrequenz beeinflusst. Eine Studie der Medizinischen Hochschule Hannover widerlegt diese Annahme nun.
Unser Herz ist ein Hochleistungsmotor. Ohne Pause pumpt der Hohlmuskel Blut durch den Körper und sorgt dafür, dass alle Zellen mit Sauerstoff versorgt werden. Bei einem gesunden Erwachsenen geschieht das in jeder Minute etwa 60 bis 80 Mal, im Laufe eines Lebens sind das etwa drei Milliarden Herzschläge.
Sogar außerhalb des Organismus kann das Herz seine Arbeit mit konstanter Frequenz leisten. Denn der Herzschlag entsteht im Herzen selbst. Spezialisierte Herzmuskelzellen im rechten Vorhof bilden als Schrittmacherzellen den Sinusknoten.
Ob unser Herz bei Anstrengung schneller oder im Ruhezustand langsamer schlägt, reguliert das vegetative Nervensystem. Eine Forschergruppe um Prof. Christian Wahl-Schott, Leiter des Instituts für Neurophysiologie der Medizinischen Hochschule Hannover (MHH), hat nun genauer untersucht, wie dieser Mechanismus funktioniert und dabei eine gängige Lehrmeinung widerlegt. Die Studie ist jetzt in der Fachzeitschrift Nature Communications veröffentlicht worden.
Schrittmacherzellen sind elektrisch aktiv. Spezielle Ionenkanäle leiten positiv geladene Teilchen durch die Zellmembranen im Sinusknoten. Diese HNC-Kanäle (hyperpolarisation-activated cyclic nucleotid-gated cation channels) werden durch ein bestimmtes Signalmolekül moduliert, das cAMP (zyklisches Adenosinmonophosphat).
„Jahrzehntelang galt die Hypothese, dass eine höhere cAMP-Konzentration die Herzfrequenz erhöht, eine niedrigere den Herzschlag verlangsamt“, erklärt Wahl-Schott. Doch widersprüchliche Beobachtungen aus der Praxis zogen die Theorie zunehmend in Zweifel. Um die alte Annahme nun molekularbiologisch zu überprüfen, hat das Forscherteam bei Mäusen die Bindungsstelle für cAMP in den HNC-Kanälen im Herzen genetisch verändert und verhindert, dass der Botenstoff die Kanäle anschaltet. „Die Mäuse haben dadurch zwar einen unregelmäßigen Herzschlag entwickelt“, sagt der Mediziner. „Entgegen der bislang geltenden Vermutung ließ sich der Herzrhythmus aber weiterhin regulieren.“
Da die Bindungsstelle zwischen Botenstoff und Ionenkanal bei Maus und Mensch sehr ähnlich sind, lassen sich die Ergebnisse der Studie vom Tiermodell auf den Menschen übertragen. Sie zeigen, dass vor allem die Ionenkanäle der Untereinheit HNC4 den Herzrhythmus stabilisieren und überschießende Reaktionen des autonomen Nervensystems verhindern. Einzelne Schrittmacherzellen pausieren sogar minutenlang und feuern gar keine elektrischen Signale an die Herzmuskelzellen, wodurch sie die Herzfrequenz direkt regulieren.
„Die Erkenntnisse sind wichtig, um etwa die Mechanismen von Herzerkrankungen wie Rhythmusstörungen oder das Sick-Sinus-Syndrom künftig besser zu verstehen“, betont Wahl-Schott. Die neuen Beobachtungen über den Taktgeber des Herzschlags könnten sich aber auch auf die Behandlung von Herzerkrankungen auswirken – etwa bei der Verwendung von Medikamenten, die die HCN-Kanäle gezielt beeinflussen.
Zur ganzen Pressemitteilung der Medizinischen Hochschule Hannover geht es hier. Die Studie findet ihr hier und im Text verlinkt.
Bildquelle: Kimberly Farmer, Unsplash