Notaufnahmen und Intensivstationen sind am Anschlag. Aber auch in Schweinebetrieben herrscht Ausnahmezustand. Ein Tierarzt berichtet von den Zuständen.
Auf deutschen Schlachthöfen können wegen der pandemiebedingten Hygienekonzepte sehr viel weniger Tiere geschlachtet und zerlegt werden. Für zusätzliche Schichten fehlt Personal. In den letzten Wochen hört man immer wieder von einem „Rückstau“ in der Produktion von Schweinefleisch, der auf die aktuelle Lage zurückzuführen ist. Wie brenzlig die Lage für die Landwirte und auch für die vielen Schweine ist, bespricht DocCheck im Interview mit Frederik Veltmann, Schweine-Tierarzt des Praxisverbunds Vetxperts.
Zusammen mit einem spezialisierten Team betreut er Ferkelerzeuger, Mäster und andere Schweine-Zuchtbetriebe. Zu seinem Kundenkreis gehören sowohl konventionelle als auch ökologisch wirtschaftende Betriebe.
Frederik Veltmann betreut als Tierarzt zusammen mit seinen Kollegen ca. 75.000 Sauen und 550.000 Mastschweine
Lea Wask: Wie ist die Situation in den Ställen momentan? Was genau ist das Problem?
Frederik Veltmann: Durch die Corona-Pandemie kam es seit dem Frühjahr immer wieder zu Schließungen von Schlachthöfen und Zerlegebetrieben. Bis heute laufen die Werke aufgrund von COVID-19-Hygienemaßnahmen nur auf Teilauslastung. Wegen der hohen Auflagen sind viele ausländische Schlachthofmitarbeiter nicht mehr aus ihrer Heimat zurückgekehrt, sodass die Schlachtunternehmen zudem unter akutem Mitarbeitermangel leiden.
Die Landwirtschaft ist jedoch auf eine kontinuierliche Abnahme von Tieren angewiesen. Schweine sind ja keine Maschinen, die man einfach abstellen kann. Der Ferkelerzeuger muss seine Tiere zum Ende der Aufzucht an den Mäster verkaufen, dieser wiederum kann nur Tiere abnehmen, wenn er sie am Ende der Mast auch an den Schlachthof verkaufen kann. Findet die Abnahme der Schweine zum Ende der Mast nicht oder nur schleppend statt, führt dies zu einem Rückstau im gesamten System.
Hinweise einiger Vertreter in der Öffentlichkeit, die Tiere weniger zu füttern oder weniger Tiere zu züchten, sind überhaupt nicht hilfreich. Der so genannte Produktionsrhythmus von der Besamung bis zum Ende der Mast dauert über 10 Monate. Die Sauenhalter reduzieren schon seit längerer Zeit kontinuierlich die Anzahl der Sauen, aber dieser Effekt wird sich erst in Monaten bemerkbar machen.
Aktuell ist die Rede von fast 500.000 Mastschweinen, die seit Wochen nicht der Schlachtung zugeführt werden können. Wöchentlich kommen 80.000 weitere Tiere hinzu. Wenn die Politik keine Lösung findet, sind wir bald nicht mehr sehr weit von Nottötungen und einer Entsorgung der Mastschweine im ganz großen Stil entfernt.
Können die schlachtreifen Schweine denn einfach zu einem späteren Zeitpunkt geschlachtet werden? Inwieweit leidet dann zum einen die Qualität des Fleisches und zum anderen ihre Lebensqualität im Betrieb?
Die Tiere können nur bedingt zu einem späteren Zeitpunkt geschlachtet werden und diesen Punkt haben wir bereits seit Wochen überschritten. Es kommen aktuell täglich neue Tiere hinzu, ohne dass die Älteren den Stall verlassen können. Für das einzelne Tier bleibt so immer weniger Platz. Die Folge: steigender Stress, steigender Krankheitsdruck und letztendlich steigende Verluste. Darüber hinaus wird der Landwirt für zu schwere Tiere viel geringer bezahlt, weil sich die Qualität des Fleisches verschlechtert. Das kann für den einzelnen Landwirt sehr schnell ruinös werden.
Die niedersächsische Landwirtschaftsministein Barbara Otte-Kinast hat angesichts der Lage schon im Landtag geweint. Bundeslandwirtschaftsministerin Julia Klöckner sagte, die Bauern trügen eine Mitschuld, sie hätten aufhören sollen, zu besamen als Corona losging. Hätten die Landwirte und die betreuenden Tierärzte aus heutiger Sicht irgendetwas anders machen können?
Bei einem 10-monatigen Produktionrhythmus hätte die Entscheidung zur Reduzierung der Sauenherde bereits im Januar getroffen werden müssen, denn die Tiere, die im Januar besamt wurden, werden heute vermarktet. Da COVID-19 im Januar noch gar kein Thema in Deutschland war, konnte man die heutige Situation nicht voraussehen. Das Coronavirus hat ja nicht nur die Landwirtschaft, sondern auch viele andere Bereiche überrascht. Es gab außerdem von offizieller Seite keinerlei Anweisungen.
Wer hier einfach die Schuld auf die Landwirte abschiebt, macht es sich zu einfach. Der Familienbetrieb um die Ecke ist nun wirklich das schwächste Glied in der Kette und gänzlich abhängig vom Schlachtbetrieb, Lebensmitteleinzelhandel und natürlich auch von dem Verbraucher, der immer wieder günstige Produkte einfordert.
Welche Auswirkungen haben die Fälle von Afrikanischer Schweinepest (ASP) in Deutschland momentan noch zusätzlich?
Die ASP hat die Situation zusätzlich verschlechtert, hier wurden aber größtenteils bereits neue Absatzwege aufgetan. Die momentane Lage an den Schlachthöfen hat mit der ASP nur wenig zu tun. Der ruinöse Preis für Schweinefleisch aktuell ist jedoch unter anderem auf die ASP zurückzuführen.
Was wären Maßnahmen, die die Situation akut verbessern könnten?
Eine Lösung dieser Misere wäre machbar: Schlachtkapazitäten müssten wieder hochgefahren und das Schlachten an Sonn- und Feiertagen für eine Übergangszeit – natürlich unter Einhaltung des Arbeitszeitschutzgesetzes – erlaubt werden. Dies muss aber politisch gewollt sein und hier machen einige Verantwortliche aktuell in meinen Augen keine gute Figur.
Welche Rolle spielen die betreuenden Tierärzte im Moment? Können sie den Landwirten helfen? Haben sie vielleicht bereits Maßnahmen ergriffen?
Unsere Aufgabe als Tierärzte ist es, die Gesundheit der Bestände fortlaufend durch Impfprogramme und die Überprüfung des Managements (Futter und Wasserqualität, Lüftung, Biosicherheit) mit dem Landwirt zusammen zu optimieren. Wir können aktuell leider nur sehr wenig zur Entschärfung beitragen. Die einzige Möglichkeit ist hier wirklich, die Landwirte insoweit zu unterstützen, dass wir auf diesen Missstand öffentlich hinweisen. Das Ziel kann nur sein, dass mehr Tiere geschlachtet werden. Hier muss die Politik jetzt schnell handeln.
Was passiert, wenn sich die Lage nicht innerhalb der nächsten Wochen ändert?
Wir laufen Gefahr, ein sehr großes Tierschutzrelevantes und ethisches Problem zu bekommen. Die Situation der Schweine verschlechtert sich täglich und das ganze kann dazu führen, dass gesunde, schlachtreife Tiere getötet und entsorgt werden müssen. Für viele Familienbetriebe würde das letztendlich der finanzielle Ruin und der Ausstieg aus der Tierhaltung bedeuten.
Im Prinzip ist es ja das, was auch von manchen gefordert wird. Die Deutschen ernähren sich mehr und mehr vegetarisch oder vegan. Gleichzeitig ist Deutschland aber der drittgrößte Exporteur von Schweinefleisch und liegt auch im Verbrauch immer noch ganz weit vorn. Könnte es nicht auch gut sein, wenn wir nicht mehr so viel Schweinefleisch produzieren?
Wie schon angesprochen: Auch beim Pro-Kopf-Konsum liegen wir trotzdem noch sehr weit vorne. Deutschland würde dann immer mehr vom Import abhängig – ohne Einfluss auf die Tierschutzstandards im Ausland (Polen, Russland, USA, Brasilien) zu haben. Wer sich in Deutschland ernsthaft für Tierschutz engagiert, sollte in meinen Augen alles dafür tun, die Haltung von Nutztieren jeglicher Art auch in Deutschland zu erhalten und sie zu unterstützen.
Warum hast du dich entschieden, Tierarzt für Schweine zu werden?
Ich bin bei Vechta aufgewachsen, eine Region, die traditionell sehr viel mit Landwirtschaft zu tun hat. Da mein Vater auch Tierarzt ist, hatte ich schon sehr früh Kontakt zum Berufsbild des (Nutz-)Tierarztes. Dabei hat mich vor allem die ganzheitliche Betrachtung von Problemen in Nutztierbeständen von Anfang an gefesselt. Das Bild des Tierarztes, der einfach nur Medikamente verschreibt, ist nicht mehr gefragt. Heute sind wir gleichzeitig Mediziner, Epidemiologen, Lüftungs- und Futtermittelexperten und Detektive im diagnostischen Sinne. Wir sind dafür da, dass die Tiere gar nicht erst erkranken. Eine Situation wie diese ist auch für uns Tierärzte sehr belastend.
Bildquelle: Kameron Kincade, unsplash