In der Slowakei wird mit Antigen-Tests fast die gesamte Bevölkerung auf das Coronavirus untersucht. Es soll gezeigt werden, dass es auch ohne Lockdown geht.
Die Slowakei geht während der zweiten Welle der Corona-Pandemie einen Sonderweg: Fast die gesamte Bevölkerung wird mit kostenlosen Massentests auf SARS-CoV-2 getestet. Eine Option, die wahrscheinlich nur für kleinere Länder in Frage kommt. Die etwa 5,4 Millionen Einwohner zählende Slowakei ist damit das erste Land dieser Größe, das seine Bevölkerung flächendeckend testet. Die Regierung verteidigt das Projekt als Alternative zu einem harten Lockdown. Das Vorgehen erntet deweil massive Kritik.
Zu Beginn der ersten Test-Runde am letzten Wochenende war der Andrang an den knapp 5.000 Abnahmestellen groß. In der Hauptstadt Bratislava musste mit einer Wartezeit von bis zu drei Stunden gerechnet werden. Die zweite Runde soll es am kommenden Wochenende geben. Etwa 45.000 medizinische Fachkräfte, Soldaten und Polizisten stehen bereit, um das logistische Megaprojekt zu realisieren.
Der slowakischen Regierung zufolge wurden schon am ersten Tag rund zweieinhalb Millionen Menschen getestet – knapp die Hälfte der gesamten Bevölkerung. Das Ergebnis fiel bei 25.850 Personen positiv aus. Das entspricht einem Anteil von etwa einem Prozent: ein Ergebnis, das niedriger war als erwartet. Der ARD-TV-Korrespondent für die Slowakei Danko Handrick hat Bilder der Massentestung auf seinem Twitter-Profil veröffentlicht:
Die Vorgehensweise der slowakischen Regierung ist umstritten, auch weil Antigen-Tests verwendet wurden. Sie liefern zwar schnell und unkompliziert ein Ergebnis innerhalb von 15 Minuten. Generell sind Antigen-Tests aber weniger sensitiv als der PCR-Test, es ist also eine größere Virusmenge notwendig, damit ein Antigen-Test ein positives Ergebnis zeigt. Das bedeutet, dass ein negatives Antigen-Testergebnis die Möglichkeit einer Infektion mit SARS-CoV-2 nicht ausschließt. Das Ergebnis sollte also mit Vorsicht betrachtet werden.
„Wir haben die große Chance, Europa und der Welt zu zeigen, dass es auch anders geht, ohne Schließung der Wirtschaft und Millionen Arbeitsloser“, sagte der seit März regierende konservative Premierminister Igor Matovic. Er sprach von einem Experiment, das von anderen Ländern aufmerksam beobachtet werde. Alle Bürger im Alter zwischen zehn und 65 Jahren sollen an der Aktion teilnehmen, so sein Appell.
Diesem Appell werden wohl die meisten folgen. Denn wer sich nicht testen lässt, hat Nachteile. Die Teilnahme ist zwar offiziell freiwillig. Doch nur wer ein negatives Ergebnis vorweisen kann, wird von Ausgangsbeschränkungen ausgenommen. Ansonsten drohen bei einer Polizeikontrolle hohe Geldstrafen. Schon im Vorfeld kritisierte die liberale Präsidentin Zuzana Caputova, man dürfe die Bürger nicht in solche mit einem „Passierschein für die Freiheit“ und solche ohne einteilen.
Die Ärztekammer der Slowakei sprach Medienberichten zufolge von Erpressung und hält das Prozedere für Ressourcenverschwendung. Die DocCheck-Redaktion hat Infektiologin Dr. Nazifa Qurishi nach ihrer Einschätzung gefragt. Was hält sie vom Vorgehen in der Slowakei? Ist es eine Alternative zu einem Lockdown?
„Massentestung finde ich übertrieben und unpraktisch. Menschen würden wie in der Slowakei stundenlang an langen Warteschlangen stehen. Ich sehe da absolut keinen Benefit“, sagt sie. In ihren Augen könnte ein Antigen-Schnelltest für zu Hause die Situation deutlich entspannen. „Dafür sind aber die Antigen-Tests noch sehr teuer.“ Zu einem erschwinglicheren Preis könnte sich Quirishi ein Heimtest-Modell vorstellen: „Unser Gesundheitssystem könnte diese Antigen-Tests für alle für fünf Euro in der Apotheke anbieten.“ Das wäre ihrer Meinung nach eine effektive Investition, mit der sich regelmäßig ausgerufene Lockdowns vermeiden ließen. Negativ Geteste könnten sich dann frei bewegen. Und wer positiv ist, könnte zum Arzt gehen und einen PCR-Test machen, so Qurishi. „Durch einen Lockdown senken wir vielleicht die Zahlen ein wenig nach unten, um dann wieder nach oben zu gehen.“ Sie sieht eher einen wirtschaftlichen Schaden als einen Nutzen für die langfristige Entwicklung der Pandemie.
Die Selbsttestung zu Hause setzt auf die Freiwilligkeit und Eigenverantwortung der Bürger. Es bleibt allerdings offen, wie sehr man sich in dieser Situation darauf verlassen kann Die letzten Monate haben gezeigt, dass es wohl offizielle Vorgaben braucht, um die Infektionszahlen niedrig zu halten.
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