„Die Leute müssen verzichten lernen“, sagt Nazifa Qurishi angesichts steigender Infektionszahlen. Uns erzählt die Infektiologin, wer aus ihrer Sicht vorrangig auf Corona getestet werden sollte und warum ein erneuter Lockdown nicht in Frage kommt.
Anke Hörster: Frau Qurishi, Sie sind Infektiologin und arbeiten im Risikogebiet Köln. Wie hat sich Ihr Arbeitsalltag während der Pandemie verändert?
Nazifa Qurishi: Wir haben extrem viel zu tun. Neben den regulären Patienten müssen wir uns um die Corona-Verdachtsfälle kümmern und die werden bei uns gesondert behandelt. Das heißt jeder Patient, der sich mit Husten und Schnupfen anmeldet, kommt in der Mittagszeit zu uns, um sich testen zu lassen und kein Patient aus dem Normalbetrieb.
Das ist eine echte logistische Herausforderung, aber wir versuchen so, die möglicherweise Infizierten von den anderen Patienten fern zu halten. Bis jetzt klappt die Patientenversorgung dadurch auch sehr gut, allerdings verzichten wir dafür auch auf unsere Mittagspause.
Dr. Nazifa Qurishi ist niedergelassene Fachärztin für Innere Medizin mit Zusatzqualifikation Infektiologie und Suchtmedizin
Ist die jetzige Situation vergleichbar mit der im Frühling?
Die Situation in unserer Praxis ist eine andere als im Frühjahr als die Pandemie losging. Da mussten wir die nicht dringenden Termine verschieben und uns auf Corona konzentrieren. Wir wussten ja nicht, was uns erwartet. Wir haben viel mehr telefonisch und über die Videosprechstunde abgewickelt, dadurch war die Lage recht entspannt.
Jetzt kommen allerdings die Stammpatienten, die wegen der Pandemie schon länger nicht mehr bei uns waren und gleichzeitig die Corona-Verdachtsfälle. Das beides zu stemmen, ist schon eine Herausforderung, aber wie gesagt, es klappt bei uns glücklicherweise gut. Kleine Praxen haben sicherlich mehr Probleme.
In den letzten Tagen hatten wir täglich 2 bis 3 Patienten, die wir positiv auf Corona getestet haben. Heute hatten wir schon 4. Und oft sind das die jungen Leute, die nur ganz leichte Symptome haben. Mal ein bisschen Fieber oder Husten, wenn überhaupt. Und genau die sind es, die für die steigenden Zahlen verantwortlich sind.
Man kann ganz klar sagen, dass private Feiern der Grund dafür sind. Im Sommer konnte man sich noch gut draußen treffen, inzwischen verlagert sich wieder alles nach drinnen. Jetzt werden die Partys nachgeholt, auf die man im Frühjahr verzichten musste, also Hochzeiten, Geburtstage und so weiter.
Testen, testen, testen. So viel wie möglich, besonders die jungen Leute mit leichten Erkältungssymtpomen. Nur so kann man Infizierte identifizieren, isolieren und dadurch Infektionsketten durchbrechen. Und man sollte an die Vernunft appellieren. Die Menschen müssen jetzt eben lernen, auf die eine oder andere Feier zu verzichten. Nur so verhindern wir die Überlastung der Kliniken.
Nein, ein allgemeiner Lockdown wird das Problem nur in die nächste Saison verschieben und das ist in meinen Augen nicht die Lösung des Problems. Wir haben es ja gesehen, ein Lockdown ruiniert die Wirtschaft. Ich habe einige Patienten, die depressiv wurden, weil sie ihren Job verloren haben.
Die Infektionszahlen werden auch mit einem Lockdown nicht auf Null sinken. Wir können das Virus so nicht einfach wegzaubern, sondern müssen versuchen, mit ihm weiterzuleben. Das heißt aber eben nicht, dass wir deswegen jetzt wieder große Feiern veranstalten sollten. Wenn die Leute sich an die Maßnahmen halten würden, Maske tragen, sich nur mit wenigen Leuten treffen, dann können wir das auch ohne Lockdown hinkriegen.
Im Prinzip schon, allerdings wird es erst einmal nicht für jeden eine Impfstoff-Dosis geben. Wir müssen also priorisieren und das könnte schwierig werden. Wir sehen es ja aktuell bei der Grippeimpfung. Die Politik sagt: „Lasst Euch impfen!“, vernachlässigt aber, dass man genügend Dosen für die Risikogruppen zurückhalten sollte.
Aktuell haben wir das Problem, dass wir lediglich 26 Millionen Impfstoffdosen für ganz Deutschland zur Verfügung haben. Und viele junge Menschen sind einfach schneller und lassen sich impfen. Was ja im Prinzip nicht schlecht ist. Aber was soll ich meinem Risikopatienten sagen, der erst in ein paar Wochen zu mir kommt und geimpft werden will? Dann habe ich aber keinen mehr. Schon hier müssten wir viel mehr priorisieren. Und so sollte es dann auch beim Corona-Impfstoff sein.
Ein weiteres Problem ist, dass wir die Menschen davon überzeugen müssen, dass sie sich überhaupt impfen lassen. Die Impfstoffentwicklung geht ja rasant vorwärts. Wofür man normalerweise 8 oder 10 Jahre braucht – das schaffen wir jetzt in 1,5 Jahren. Das besorgt einige Patienten verständlicherweise. Wir müssen da als Ärzte aufklären.
Ja, das sind zwar zum Glück Einzelfälle, aber das habe ich schon in unserer Praxis erlebt. Ein Patient wollte sich nicht an unsere Maskenpflicht halten, also haben wir ihn gebeten, sich einen neuen Arzt zu suchen. Unsere Aufgabe als Ärzte ist es auf jeden Fall auch da im Gespräch aufzuklären. Das versuche ich soweit es mir möglich ist, wenn ich einen Patienten vor mir habe, der dem ganzen Corona-Thema eher kritisch gegenübersteht.
Mir ist aufgefallen, dass meine Patienten bewusster mit ihrer Gesundheit umgehen. Die Leute wollen auf keinen Fall Corona bekommen, weil sie zum Beispiel lesen, dass Übergewicht oder eine vorgeschädigte Lunge durchs Rauchen die Krankheit verschlimmern kann. Ich werde deswegen öfter von meinen Patienten gefragt, wie sie ihr Leben gesünder gestalten können. Das könnte man also schon positiv sehen.
Vielen Dank für das Gespräch.
Bildquelle: Eliott Reyna, unsplash