Vektor-Impfstoffe mit dem Adenovirus 5 haben in früheren Studien das HIV-Risiko bei Männern erhöht. Auch gegen SARS-CoV-2 werden solche Impfstoffe erprobt. Geht davon eine Gefahr aus?
Bei der Entwicklung von Impfstoffen gegen SARS-CoV-2 arbeiten Forscher mit unterschiedlichen Strategien. Sie setzen nicht nur auf Totimpfstoffe mit Virusproteinen. Auch RNA-Impfstoffe und Vektorviren-Impfstoffe, jeweils mit einem SARS-CoV-2-Gen, werden untersucht. Speziell bei dem Adenovirus-Typ-5-Vektor (Ad5) könnte sich das Risiko von HIV-Infektionen aber erhöhen, schreiben Forscher um Susan P. Buchbinder in The Lancet.
Zum Hintergrund: Seit HI-Viren entdeckt und genetisch charakterisiert worden sind, versuchen etliche Firmen weltweit, Impfstoffe gegen sie zu entwickeln. Eine der Strategien sah vor, rekombinante, replikationsunfähige Typ-5-Adenoviren zu verwenden. Diese trugen genetische Informationen für einige in HI-Viren relativ hoch konservierte Proteine. Per Proteinbiosynthese sollten daraus Eiweiße entstehen und die Bildung neutralisierender Antikörper induzieren. Soweit die Theorie.
So ein HIV-Impfstoff wurde 2008 in der Studie „Step“ untersucht, an der 3.000 HIV-negative Probandinnen und Probanden im Alter zwischen 18 und 45 Jahren aus Nord- und Südamerika, der Karibik und Australien teilnahmen. Bei einer Zwischenauswertung zeigte sich: Nicht nur konnte die Impfung keinen Schutz vor einer HIV-Infektion bieten, das Risiko, sich zu infizieren, war bei Männern sogar leicht erhöht (Hazard Ratio 1,2; 95%-KI 0,6-2,2).
Zu ähnlichen Erkenntnissen kamen Forscher bei der Phambili-Studie. Von 695 potenziellen Probandinnen und Probanden erhielten 230 einen Ad5-Impfstoff und weitere 235 Placebo. Nur bei Männern fanden die Autoren im Verum-Arm ein signifikant höheres Risiko für HIV-Infektionen (Hazard Ratio 2,75; 95%-KI 1,49-5,06).
Die Hazard Ratio über 1,0 zeigt, dass die HIV-Impfungen zu einem höheren (!) Risiko, sich zu infizieren, geführt haben. Generell war das Risiko bei unbeschnittenen Männern, bei Männern, die seropositiv hinsichtlich der Adenoviren waren oder die ungeschützten Analsex hatten, besonders hoch. Das betraf sowohl MSM als auch heterosexuelle Männer.
Buchbinder und ihren Koautoren zufolge sei unklar, wie es zu dem Phänomen komme. Sie führen mehrere denkbare Hypothesen an. Ausgangspunkt ist, dass besonders Probanden mit natürlich erworbenen Antikörpern gegen Ad5 betroffen waren. Die Viren sind weltweit in vielen Gebieten endemisch. Antigen-Antikörper-Komplexe wiederum könnten dendritische Zellen aktivieren und die Replikation von HIV in CD4+-T-Lymphozyten verstärken. Darüber hinaus könnten Ad5-spezifische CD4+-T-Lymphozyten eine erhöhte Anfälligkeit für eine HIV-Infektion haben. Vieles davon ist spekulativ.
Solche Hinweise sollten dennoch ernst genommen werden. Die Step- und die Phambili-Studie schlossen recht wenige Menschen ein, hatten jedoch aufgrund der Randomisierung und der Placebokontrolle ein hochwertiges Design.
„Auf der Grundlage dieser Ergebnisse befürchten wir, dass die Verwendung eines Ad5-Vektors zur Immunisierung gegen SARS-CoV-2 […] das Risiko einer HIV-1-Akquisition bei Männern, die den Impfstoff erhalten, ebenfalls erhöhen könnte“, so Buchbinder und Kollegen.
Hier handelt es sich um keine Spitzfindigkeit, denn Ad5-Virusvektoren werden momentan in einigen Studien für den Einsatz gegen Corona untersucht. Besonders weit ist ein Kandidat des CanSino Biologics, China, entwickelt; hier läuft eine Phase-3-Studie. Insgesamt sollen 40.000 Menschen mit eingeschlossen werden.
Das Gamaleya-Forschungszentrum für Epidemiologie und Mikrobiologie, Russland, hat einen Kandidaten, der aus Ad5- und Ad26-Vektoren besteht; auch hier läuft eine Phase-3-Studie. Details sind nicht bekannt – Informationen gibt es nur zu der abgeschlossenen Phase-1/2-Studie. Und ImmunityBio, USA, hat Mitte Oktober von der FDA grünes Licht für eine Phase-1-Studie bekommen. Auch ihr Kandidat basiert auf Ad5.
Einige Forscher sehen den Einsatz von Ad5-Vektor-Impfstoffen generell kritisch. Die Virologin Angela Rasmussen fragt sich auf Twitter, warum die Wissenschaftler der Step-Studie nicht schon früher auf die Risiken aufmerksam gemacht haben. Generell sei Ad5 kein guter Vektor für Impfstoffe. „Aber auch die Auswirkungen auf das erhöhte HIV-Übertragungsrisiko sind ernst und besorgniserregend.“
Lawrence Corey vom Fred Hutchinson Cancer Research Center in Seattle, Washington sagt gegenüber Sciencemag: „Ich verstehe nicht, warum ich einen Ad5-Vektor [Impfstoff] wählen würde, wenn es viele andere alternative Möglichkeiten gibt.“
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