Alkoholmissbrauch hat nicht immer die Schuld bei chronischer Pankreatitis. Ein Fusionsgen aus einem Verdauungsenzym und einem Pseudogen führt zur Bildung einer gestörten Lipasen-Chimäre. Diese bleibt im Pankreas stecken, was letztlich zu chronischen Entzündungen führt.
Die DNA ist in hohem Maße variabel. Diese Variabilität ist unbedingt erforderlich, damit zum Beispiel Schäden der Erbsubstanz schnell repariert werden können. Bei der Reparatur oder Vererbung können jedoch Fehler und daraus erbliche Krankheiten entstehen. Sehr viel seltener können Erbanlagen oder Gene auch miteinander verschmelzen. Diese Art von Fusion wurde in der Vergangenheit schon bei Krebszellen beobachtet. Genau wie DNA-Mutationen können auch Gen-Fusionen das Programm von Zellen stören, mit zum Teil schwerwiegenden Folgen für davon betroffene Menschen. Wissenschaftler aus Bergen in Norwegen und aus der Klinik für Innere Medizin A der Universitätsmedizin Greifswald haben jetzt eine solche Fusion von zwei Genen bei Patienten mit chronischer Pankreatitis entdeckt. Hierbei entsteht ein Fusionsgen aus dem Verdauungsenzym Carboxylester Lipase (CEL) mit einem benachbarten Pseudogen (CELP). Diese Genverschmelzung führt zur Produktion einer neuen Chimäre von Lipasen mit veränderter Struktur und gestörter Funktion. „Statt in den Dünndarm transportiert zu werden, wo die Lipase normalerweise eine wichtige Aufgabe bei der Fettverdauung erfüllt, bleibt das gebildete Eiweiß in den Zellen der Bauchspeicheldrüse stecken und kann nicht ausgeschieden werden. Das führt zur chronischen Entzündung des Pankreas“, erläuterte Prof. Markus Lerch.
Auslöser einer chronischen Pankreatitis ist nicht selten ein langjähriger Alkoholmissbrauch. Deshalb werden Patienten mit Pankreatitis häufig mit dem Generalverdacht des Alkoholismus konfrontiert. „Bei mindestens 30 Prozent der Patienten mit chronischer Pankreatitis finden Ärzte jedoch keine Erklärung für die Erkrankung und in diesen Fällen spielen oft erbliche Risikofaktoren die entscheidende Rolle“, so Lerch. „Hierzu gehört jetzt auch das neu identifizierte CEL-Fusionsgen. Erstmals wurde dabei eine erbliche Veränderung entdeckt, die nicht ein eiweißverdauendes, sondern ein Fettstoffwechselenzym betrifft.“
Der diagnostische Nachweis des CEL-Fusionsgens ist schwierig, weil automatisierte Verfahren, die auf den Nachweis von Gen-Mutationen abgestimmt sind, eine Genfusionsvariante oft nicht vom gesunden Gen unterscheiden können. „Mit den üblichen wissenschaftlichen Suchstrategien zur Erforschung neuer Erbfaktoren von Krankheiten wie der genomweiten Analyse oder dem Next Generation Sequencing hätte man diese wichtige Entdeckung nicht machen können“, erklärte Laborleiter Dr. Ulrich Weiss von der Greifswalder Forschergruppe. Im Rahmen der internationalen Zusammenarbeit von Zentren in Deutschland, Norwegen und Frankreich wurden rund 2.000 Pankreatitis-Patienten mit einer dafür speziell entwickelten molekulargenetischen Methode untersucht. „Menschen mit dem Fusionsgen müssen nicht automatisch erkranken, tragen aber ein etwa sechsfach erhöhtes Risiko für die Entwicklung einer chronischen Entzündung der Bauchspeicheldrüse in sich. Die Identifizierung des Gens befreit nicht nur Betroffene vom Stigma des übermäßigen Alkoholkonsums, sondert erlaubt auch ein viel besseres Verständnis der zellulären Grundlagen der Erkrankung und kann vielleicht zur Entwicklung neuer, maßgeschneiderter Therapien beitragen“, betonte Weiss. In deutschen Krankenhäusern werden jährlich mehr als 72.000 Patienten mit einer akuten oder chronischen Entzündung der Bauchspeicheldrüse behandelt. Mehr als 1.600 versterben daran. Originalpublikation: A recombined allele of the lipase gene CEL and its pseudogene CELP confers susceptibility to chronic pancreatitis Markus Lerch et al.; Nature Genetics, doi: 10.1038/ng.3249; 2015