Nach einem vergleichsweise entspannten Sommer steht nun der Corona-Herbst vor den Praxistüren. Wir sprechen mit vier Fachärzten zum Stand der Dinge und wie sie sich vorbereiten.
Mit Herbst und Winter kommen in der Corona-Pandemie neue Herausforderungen auf niedergelassene Ärzte in Deutschland zu. Bisher hilfreiche Maßnahmen wie durchgehendes Lüften oder Patientengespräche im Außenpavillon werden sich bei sinkenden Temperaturen und miesem Wetter nur sehr schwer beibehalten lassen. Und auch an der Organisation scheint es, selbst nach Monaten Erfahrung mit Corona, an einigen Stellen noch zu hapern.
DocCheck sprach mit Betroffenen aus verschiedenen Fachrichtungen zum Thema, wie die jahreszeitlich angepassten Corona-Strategien in Praxen aussehen und wie sie die momentane Situation erleben. Da das Thema Corona-Schutzmaßnahmen auch unter Kollegen nach wie vor für Kontroversen sorgt, wollen einige der befragten Ärzte anonym bleiben; sie sind der Redaktion aber bekannt.
Erster in der Runde ist Hausarzt Dr. Tim Knoop. Er leitet eine hausärztliche internistische Praxis in Köln mit 24 Angestellten, davon 9 angestellte Ärzte. Seit April fragen er und sein Team sich: „Steigen die Zahlen auch bei uns, was soll man machen, Schutzkleidung tragen, bei welchen Patienten, umbauen, zumachen, vernetzen, vertreten, Heime besuchen oder nicht?“ Getan hat sich bisher wenig: Weder das Gesundheitsamt, noch die Kassenärztliche Vereinigung (KV) habe ausreichend informiert. Zwar kamen von der KV mehrere Schreiben zu Abrechnung, Ziffern und Scheinen – doch eine Erleichterung bedeutete das nicht. „Schlimme Bürokratie“ nennt Knoop das. Und führt aus: „Die KV ist nicht präsent als Führungsspieler in der Ärzteschaft. Im Gegenteil, kürzlich glaubte der ‚Kassenarztchef’ in einem Provinzblatt öffentlich das Robert-Koch-Institut diskreditieren und ein ‚Aufhören mit den absurden Regeln’ fordern zu müssen. Das ist keine Führungsarbeit, das ist peinlich. Und behindert uns in der täglichen Arbeit.“
Auch von der Lokalpolitik ist Knoop enttäuscht: „Ein Krisenstab tagt irgendwo, von dem hörte man bis auf die Pressekonferenzen für die Laienpresse nichts. Soweit ich weiß, soll jemand von der KV drin sitzen, aber kein Hausarzt, der von der Lage an der Basis berichten könnte. Wie will man da die Lage beurteilen? […] Eine Hausarztstimme wäre unbedingt notwendig!“ Das Gesundheitsamt mache auch keine gute Figur. So dauere es manchmal Tage, bis ein Patient über seinen positiven Befund informiert werde, berichtet Knoop. Die Infos zu Quarantäne, Kontaktpersonen und weiterem Verhalten geben er und seine Kollegen selbst an Patienten weiter – und müssen sich dabei allein an öffentlichen Informationen und eigenen Erfahrungswerten orientieren.
„Schlimm ist, dass man hier und da zwischen den Zeilen hört, dass die Ämter mit der Arbeit der Hausärzte nicht zufrieden wären. Es heißt, dass die Praxen im Frühjahr zugemacht hätten und alles zum Amt geschickt hätten“, zeigt sich Knoop enttäuscht. Was allerdings gut funktioniere, sei die Anbindung zum größten Labor der Stadt, was derzeit alle Testzentren betreibt. Und auch das RKI und der Podcast von Virologe Christian Drosten seien ihm nach wie vor wertvolle Orientierungshilfen, so Knoop.
Den Kosten für eventuell nötige Anschaffungen sieht er pessimistisch entgegen. Sollten Paxen für Herbst und Winter zum Beispiel Luftreinigungsgeräte anschaffen müssen, die derzeit als probates Mittel gegen SARS-CoV-2 in der Raumluft gelten, werden sie wahrscheinlich auf den Kosten sitzenbleiben. „Nicht nur, dass wir ein Minus an Umsatz und Gewinn bei deutlich mehr Arbeit in den vergangenen Monaten gemacht haben. Aber auch die Investitionen für Umbau und Equipment werden nicht von den Kassen ersetzt“, so Knoop. Er empfindet das als große Ungerechtigkeit. „Soweit ich das verstanden habe, sollte der erhöhte Aufwand durch einen Erhöhung des Orientierungspunktwertes 2021 verhandelt werden. Mit einem erreichten Anstieg von 1,25 % kann man die Kosten sicherlich nicht ersetzen.“
Auch mit einer Fachärztin für Gynäkologie und Geburtshilfe haben wir gesprochen. Sie hat eine Praxis in einem medizinschen Versorgungszentrum und fühlt sich vom Corona-Herbst an die erste Welle im Corona-Frühling erinnert. Sie hofft darauf, dass die Maßnahmen nun strukturierter und besser vorbereitet anlaufen. „Die Versorgung mit Schutzausrüstungen hatte im Frühjahr erst nach Anlaufschwierigkeiten funktioniert. Das betraf nahezu alle gynäkologischen Praxen im Umkreis, die über eine WhatsApp-Gruppe mehrmals täglich in Verbindung standen. Viele haben sich übergangsweise auf privatem Weg einen Mund-Nasen-Schutz organisiert, da es von Seiten der örtlichen KV Lieferengpässe gab.“
An Infos sei von der KBV nur der Hinweis gekommen, den Arzt-Patienten-Kontakt zu reduzieren, was während der ersten Hochphase auch gelungen sei. „Es gab aber auch im näheren Umfeld Kollegen, die dies weniger konsequent umsetzten, was gerade im MVZ-Bereich zu Diskussionen gegenüber der nicht ärztlichen Verwaltung führte. Praxen, die durch die Vorsichtsmaßnahmen weniger Umsatz machten, standen schlechter da, obwohl sie die Empfehlungen der KBV einhielten und nach ihrem ärztlichen Verständnis handelten.“ Das könne nun erneut Thema werden. Der Praxisablauf sei momentan aber weitgehend normal: „Die damals abgesagten Routineuntersuchungen sind während der Sommermonate aufgearbeitet worden.“
Die inzwischen üblichen Sicherheitsmaßnahmen finden sich auch in der Praxis der Gynäkologin. Am Eingang hängen zum Beispiel Schilder, die darauf hinweisen, bei COVID-19-Symptomen nicht einzutreten und zunächst den Hausarzt zu konsultieren. Aber: „Unserer Erfahrung nach werden diese Hinweise nicht immer beachtet, deshalb haben wir Fragebögen eingeführt. Jede Patientin füllt am Eingang der Praxis einen Fragebogen aus, der Symptome einer COVID-19-Erkrankung oder Risikokontakte ermittelt. Im Zweifelsfall wird die Patientin an ihren Hausarzt verwiesen.“
Begleitpersonen seien derzeit nur in Ausnahmefällen gestattet. Nach Betreten der Praxisräume erfolgt das wohlbekannte Händewaschen, Hände desinfizieren, MNS kontrollieren. „Patientinnen kommen mit eigenem MNS, ist dieser qualitativ nicht ausreichend, bekommen sie einen Einmal-MNS ausgehändigt. Es befinden sich Informationen im Wartebereich, die die korrekte Verwendung des MNSs veranschaulichen.“ Auch die Mitarbeiter werden durch Plexiglasscheiben an der Anmeldung, Masken, Abstand und Lüften geschützt – der neue Corona-Alltag eben. Schwangere platzieren die Mitarbeiter nach Möglichkeit einzeln im Wartebereich.
Obwohl die aktuelle Phase an den Anfang der Pandmie erinnert, glaubt die Gynäkologin nicht daran, dass es auch im medizinischen Bereich wieder strengere Auflagen geben wird. „Ob der Corona-Herbst bei steigenden Zahlen einen ähnlichen ‚Praxis-Lockdown’ wie im Frühjahr hervorrufen wird, bezweifle ich. Dafür gibt sich der Vorstandsvorsitzende der KBV, Dr. Andreas Gassen, in Interviews zu beschwichtigend, was das Pandemiegeschehen betrifft. Im Zweifelsfall entscheidet jeder selbst, was er ärztlich vertreten kann und was nicht, wobei ich persönlich einheitliche und dem Pandemieverlauf angepasste Empfehlungen schon befürworten würde.“
Die Info-Schreiben der KBV zum Stand der Dinge und zur Abrechnung seien hilfreich, aber besonders Bezirksvorsitzende des Berufsverbands der Frauenärzte habe für einen guten Informationsfluss gesorgt, so die Gynäkologin. Sie habe auch die WhatsApp-Gruppe gegründet, die besonders in der Anfangsphase der Pandemie geholfen habe. „Außer zu Beginn, als Schutzausrüstungen fehlten, fühlte ich mich während der bisherigen Pandemiephase ausreichend informiert. Auf den bevorstehenden Herbst bin ich gespannt und sehe dem Ganzen mit gemischten Gefühlen entgegen“, resümiert die Fachärztin.
Unsere dritte Gesprächspartnerin ist Internistin und Allgemeinmedizinerin in einer hausärztlich-internistischen Gemeinschaftspraxis. Sie erinnert sich noch gut daran, als es in einer KVB-Pressemitteilung hieß, Deutschlands Ärzte seien gut auf die Pandemie vorbereitet und hätten das im Griff. „Allgemeiner Lachanfall unter den Kollegen, sag ich mal – weil es null Vorgaben und Unterstützung gibt.“
Zwar gibt es inzwischen einen Hygieneplan für den Herbst (wir berichteten), doch der sei ein typisches Beispiel für „zu wenig, zu spät“, so die Internistin. „Ich brauche von der KBV jetzt kein Praxisschild oder Hinweise für den sicheren Aufenthalt im Wartezimmer mehr. Das kommt etwa sieben Monate zu spät.“ Auch die Ergänzung des Hygieneplans biete wenig Neues oder Konkretes. Das Praxisteam sei inzwischen eingespielt und habe schon zu Beginn der Pandemie Strategien und Checklisten erarbeitet, die nun angepasst werden könnten. „In Eigenregie, wohlgemerkt. Auf die Unterstützung der KBV konnten und können wir uns nicht verlassen“, so die Internistin.
Schutzkleidung sei nach wie vor schwierig zu beschaffen. „Wir mussten die Pakete im Internet bestellen und dann an einem festgelegten Tag in einem entfernten Nachbarort abholen. Zu den Abholzeiten braucht man mit dem Auto ungefähr anderthalb Stunden pro Strecke. Das Schönst war allerdings: Niemand konnte uns garantieren, dass in den georderten Paketen auch alles enthalten sein würde, was wir brauchen. Auf die Nachfrage, ob sicher genügend Masken und Munschutze vorrätig sein würden, hieß es nur, das sei noch nicht klar. Wir haben dann wieder mal Ausrüstung auf eigene Kosten bestellt.“
Ob die KBV bei der Beschaffung weiterer Schutzmaterialien helfe, sei unklar – und auch die Aussagen der Vereinigung selbst änderten sich immer wieder. „Vor etwa drei Wochen habe ich nochmal angerufen, weil es zuerst hieß, die KBV wolle uns Niedergelassene in der Richtung mehr unterstützen. Dann kam aber nichts mehr.“ Ähnlich sieht es bei den Kosten aus. Denn ob die Kassen die Arztpraxen hier unterstützen, scheint ebenfalls fraglich. „Bei meinem Anruf bei der für uns zuständigen KV Nordrhein hieß es nur, da sei noch nichts entschieden und man könne uns nichts sagen. Man empfehle uns aber, die Rechnungen aufzubewahren.“
In der Gemeinschaftspraxis verlasse man sich im Moment noch auf das Lüften. „Unsere Türen und Fenster sind geöffnet, egal, bei welchem Wetter. Die Patienten müssen mit Abstand warten und wenn das Wartezimmer voll ist, heißt das auch, dass einige draußen stehen müssen. Wenn dann Beschwerden kommen, zum Beispiel, dass es regnet, können wir derzeit leider nur eins sagen: Dem Virus ist das egal.“ Ideal sei das nicht, aber der Schutz gehe vor und lasse sich anders im Moment nicht ermöglichen, so die Internistin. Die üblichen Schutzmaßnahmen habe man in der Praxis aber natürlich ebenfalls ergriffen: Plexiglasscheiben an der Anmeldung, Desinfektion der Flächen und MNS bei Mitarbeitern, Kollegen und Patienten. Auf den korrekten Sitz der Maske müsse sie Patienten auch jetzt noch immer wieder hinweisen.
Abschließend befragten wir Diabetologe Dr. Dirk Hochlenert. Er arbeitet am Ambulanten Zentrum für Diabetologie, Endoskopie und Wundheilung in Köln. Mit Schutzausrüstung fühlen er und sein Team sich derzeit gut versorgt. Außerdem blickt das Team auf eine durchweg negative Corona-Bilanz: Trotz inzwischen hunderter vorgenommener Abstriche habe es bisher keinen einzigen positiven Test gegeben, berichtet der Diabetologe. „Das ist sicher ein großes Glück und soll so bleiben“, fasst er zusammen.
Das könnte sich mit Steigen der Prävalenz aber schnell ändern – und auch durch ein Verhalten, was nicht nur Hochlenert vermehrt beobachtet: „Ein Ärgernis sind Patienten, die von vermeintlich gutwilligen Kollegen Bescheinigungen erhalten haben, sie bräuchten keine Maske. Die Patienten sind typischerweise von der egozentrischen Sorte und übersehen dabei, dass ja die anderen Patienten vor ihnen geschützt werden sollen.“ Dagegen geht der Diabetologe streng, aber einfühlsam vor. „Wenn ich dann darauf bestehe, dass die Maske getragen wird – ‚Sonst kann ich Sie nicht behandeln!’ – geht es auf einmal. Ich bin dabei bestimmt, aber auch empatisch und musste noch keinen Patienten der Praxis verweisen.“ Sogenannte Shields oder Gesichtsvisiere akzeptiere er allerdings nicht.
Obwohl das Testen auf eine mögliche Infektion mit SARS-CoV-2 auch in der interdisziplinären Zusammenarbeit essenziell ist, belastet der zusätzliche Schritt den Arbeitsalltag von Hochlenert und seinem Team spürbar. „Im Moment sind wir dadurch gegängelt, dass wir als Praxis am Krankenhaus – mit intensiver Kooperation – jemanden nur im Krankenhaus behandeln können oder behandeln lassen können, wenn derjenige einen aktuellen, das heißt maximal fünf Tage alten, negativen Corona-Abstrich vorweisen kann. Das macht uns einen immensen Aufwand, den wir selbst bezahlen müssen.“
Bildquelle: Kristian Seedorff, Unsplash