Fehlfunktionen der Erregbarkeit von Nervenzellen können Erkrankungen wie Epilepsie und Migräne auslösen. Die Erforschung von Ionenkanälen könnte nun neue Erkenntnisse zu Therapieoptionen bringen.
Die Grundvoraussetzung für Denken und Bewegung ist die elektrische Erregbarkeit von Nerven- und Muskelzellen. Fehlfunktionen dieser Erregbarkeit können zu Migräne, Epilepsien, Verkrampfungen oder Lähmungen der Muskulatur sowie Koordinations- und Bewegungsstörungen führen. Verantwortlich dafür sind Genmutationen in kleinsten Teilen der Zelle, den Membran-Ionenkanälen.
Ionenkanäle sitzen in der Zellmembran und lassen bestimmte Ionen wie Natrium, Kalium, Kalzium oder Chlorid durch. Sie bilden dadurch die Grundlage für die Erregbarkeit von Nerven- und Muskelzellen und somit für die Weiterleitung von Informationen im Körper. „Diese physiologischen Vorgänge sind eine Grundvoraussetzung für unser Denken und Handeln, für die Steuerung von Bewegungen und Koordination, aber auch für die Weiterleitung von unangenehmen Reizen wie etwa Schmerzen“, erklärt Prof. Holger Lerche, Ärztlicher Direktor der Abteilung Neurologie mit Schwerpunkt Epileptologie, Hertie-Institut für klinische Hirnforschung, Universitätsklinikum in Tübingen.
Fehlfunktionen der Ionenkanäle können unterschiedliche Störungen hervorrufen: Sie können beispielsweise Migräneattacken mit schweren Funktionsstörungen bis hin zu einer halbseitigen Lähmung auslösen. Zu den typischen Erkrankungen infolge von Kanalstörungen zählen aber auch verschiedene Typen von epileptischen Anfällen sowie Koordinationsstörungen, die das Laufen behindern und zu unwillkürlichen Bewegungen führen. „Bei Befall der Skelettmuskulatur kann es zu unwillkürlichen Muskelzuckungen oder Lähmungserscheinungen kommen“, so Lerche.
Die Erforschung der Ionenkanäle liefert Medizinern immer genauere Kenntnis der unterschiedlichen Fehlfunktionen. Es sei zum Beispiel entscheidend, ob eine Genveränderung eine Über- oder Unterfunktion des Kanals hervorruft, so Lerche. „Wir können die Ionenkanäle als ideale Zielstrukturen für Medikamente nutzen – müssen aber wissen, welche Auswirkungen eine Genmutation auf den entsprechenden Ionenkanal hat, um die Medikamente personalisiert und präzisiert einzusetzen.“ Wirken etwa Ionenkanal-blockierende Medikamente bei einer Überfunktion hervorragend – etwa bei Epilepsien, neuropathischen Schmerzen, episodischen Schmerzsyndromen oder erblichen Formen von Migräne – würden sie bei einer Unterfunktion die Krankheitssymptome verstärken und dürfen deshalb auf keinen Fall eingesetzt werden.
„Mit unserer Erforschung der Ionenkanäle entdecken wir immer mehr neue Krankheitsmechanismen und Therapiemöglichkeiten mit zum Teil bereits vorhandenen und zugelassenen Medikamenten“, so Lerche. Es gebe Patienten mit Muskelerkrankungen, die durch einen Ausgleich des Ionen-Ungleichgewichts nach Jahren im Rollstuhl wieder laufen können. Auf diese Weise sei es auch gelungen, Patienten mit schweren Entwicklungsstörungen und epileptischen Anfällen, die mit herkömmlichen Medikamenten nicht therapiert werden konnten, zu behandeln.
Diese Therapieptionen sollen auch auf der 64. Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Klinische Neurologie und Funktionelle Bildgebung (DGKN) thematisiert werden. Sie findet – coronabedingt rein virtuell – vom 10. – 14. November statt. Alle Infos dazu findet ihr hier.
Zur Pressemitteilung der Arbeitsgemeinschaft der Wissenschaftlichen Medizinischen Fachgesellschaften geht es hier.
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