Wenn einzelne Ärzte unverschämtes Verhalten an den Tag legen, macht das schnell die Runde und bringt nicht selten den ganzen Berufsstand in Misskredit. So wie im Falle eines amerikanischen Patienten, der während seiner Narkose verspottet wurde.
Im Arztberuf ist nicht nur medizinisches Können gefragt. Auch eine funktionierende Arzt-Patienten-Beziehung ist Grundlage für alle Arten von Behandlungen. Wichtige Faktoren dafür sind, dass Patient und Arzt einander Vertrauen schenken, der Patient kompetente fachliche Beratung erhält, bestmögliche Behandlung erfährt und – und das vor allem – mit der Behandlung zufrieden ist. Das verlangt vom Arzt sowohl medizinische als auch psychosoziale Kompetenz. Jedoch pflegen nicht alle Ärzte einen respektvollen, höflichen Umgang mit ihren Patienten. Besonders schlimm ist es, wenn ein Patient hinter seinem Rücken beleidigt oder verspottet wird. So geschehen im US-Bundesstaat Virginia. Ob die behandelnde Anästhesistin so bald wieder das Vertrauen eines Patienten für sich gewinnen kann, darf bezweifelt werden. Sie leistete sich während einer Darmspiegelung üble Entgleisungen ihrem Patienten gegenüber, als dieser in der Narkose lag. Der Patient schaltete jedoch vor der OP sein Smartphone ein. Das Mobilgerät lag in seiner Hosentasche und diese wurde während der Darmspiegelung unter dem OP-Tisch deponiert. Somit zeichnete das Telefon die kompletten Beschimpfungen auf. „Während unseres OP-Vorgesprächs wollte ich dir nach fünf Minuten ins Gesicht schlagen und dich ein bisschen aufmischen“, lästerte die Anästhesistin demnach über den narkotisierten Mann. Als eine Assistentin einen Hautausschlag bei dem Patienten feststellte, warnte die Narkoseärztin sie davor, diesen zu berühren, sonst könne sie „eine Syphilis oder so etwas an ihrem Arm bekommen“. Dann fügte die Ärztin hinzu: „Es ist wahrscheinlich Tuberkulose am Penis, also wird Dir nichts passieren.“ Selbst der Gastroenterologe ließ es sich nicht nehmen, einen Kommentar zum schlafenden Mann abzugeben. „Solange es nicht Ebola ist, ist es okay.“ Die Assistentin befeuerte das Gespräch weiter. Der Mann habe zuvor gesagt, ihm würde mulmig werden, wenn er zusehen müsste, wie eine Nadel in seinen Arm gestochen würde. Die Anästhesistin beschimpfte darauf den narkotisierten Patienten mit den Worten: „Warum guckst du dann überhaupt, Vollidiot?“ Zudem sprachen die Mediziner darüber, wie sie dem Patienten nach der OP möglichst aus dem Weg gehen könnten. Sie wollten dafür eine Krankenschwester anweisen, ihn zu belügen. Auch sorgte die Anästhesistin dafür, dass im Patientenbefund „Hämorrhoiden“ vermerkt wurden, obwohl keine gefunden wurden.
Der Patient staunte nicht schlecht, als er diese Kommentare anschließend zu hören bekam und litt nach der OP angeblich unter Schlaflosigkeit und psychischen Qualen. Er zog schließlich mit dem Beweismaterial vor Gericht, wo ihm eine Entschädigung von 500.000 Dollar zugesprochen wurde. Je 50.000 Dollar für den Syphilis- und Tuberkulose-Kommentar wegen Diffamierung, 200.000 Dollar wegen ärztlicher Behandlungsfehler und 200.000 Dollar zusätzlicher Schadenersatz. „Da war nicht viel Gegenwehr, schließlich war alles auf Band“, zitiert die „Washington Post“ einen Richter. Obwohl der Anwalt des Patienten ursprünglich sogar 1,75 Millionen Dollar forderte, einigten sie sich schließlich auf einen Kompromiss. „Wir kamen schließlich zu dem Schluss, dass wir ihm etwas geben müssen. Einfach, um sicherzustellen, dass so etwas nicht wieder passiert“, so die Geschworenen. Man darf allerdings nicht vergessen, dass das Mitschneiden von Arztgesprächen hierzulande, ohne vorherige Einverständnis der Beteiligten, rechtlich wohl kaum standhalten würde und sicherlich nicht die feine Art ist. Ob das Krankenhaus Schritte gegen das beteiligte Personal unternommen hat, ist nicht bekannt. Die Anästhesistin soll jedoch nicht mehr dort beschäftigt sein. Einen Teil des Mitschnitts hat die „Washington Post“ sogar online veröffentlicht.
Natürlich sind solche Vorfälle und deren „Enttarnung“ durch den Patienten höchst selten. Was aber bestimmt jeder Patient bereits erlebt hat, sind schlecht gelaunte Mediziner, die ihren Frust ab und zu mal rauslassen (müssen). Dennoch gehört es natürlich zum Medizinerberuf dazu, professionell zu sein – auch im Umgang mit den Patienten. Solche Arztbesuche, wie Spiegelkolumnist Frederik Jötten sie kürzlich geschildert hat, sind in jedem Fall ein No-Go. Jötten suchte eine Orthopädin aufgrund seiner Rückenschmerzen auf. Zuvor bekam er von einem anderen Arzt die Diagnose, dass seine „Rückenmuskulatur [...] quasi nicht vorhanden [sei]“, sodass er mit einem Muskelaufbautraining und Joggen begann. Die Orthopädin allerdings reagierte nicht gerade einfühlsam auf seine Probleme: „Stehen Sie immer so da?“ „Äh ja, ich glaube schon…“, erwiderte er. Sie diktierte der Sprechstundenhilfe: „O-Beine, Spreiz-Senkfuß… Herr Jötten, es ist kein Wunder, dass Sie Rückenschmerzen haben. Die hatte ich zu diesem Zeitpunkt schon vergessen.“ Jötten fühlt sich innerhalb von zehn Sekunden quasi als Wrack eingeordnet. Gewünscht hätte er sich, neben den ganzen harten Diagnosen auch etwas Positives von der Ärztin zu hören. Auch an seiner Hausärztin kann Jötten kein gutes Haar lassen. „Neulich bei meiner Hausärztin. Ich erzählte ihr von schlaflosen Nächten. ‚Ich war schweißgebadet aufgewacht, mein Herz…‘ Da klingelte ihr Handy. Sie entschuldigte sich nicht, dass sie es nicht ausgeschaltet hatte, nein, und sie drückte den Anrufer auch nicht weg. Sie ging ran - und verschwand plaudernd im Nebenraum. Als ich gerade von meinem Herzrasen erzählen wollte.“ Eigentlich lernt man als Medizinstudent in seinen ganzen Arzt-Patienten-Kommunikations-Seminaren, wie man mit solchen Situationen richtig umgeht. Es kann sein, dass ein dringendes Telefonat nicht abgewendet werden kann, dann sollte man sich aber spätestens danach beim Patienten entschuldigen und ihm nie das Gefühl geben, man hätte kein Interesse an ihm. Dass es im Alltag natürlich nicht immer perfekt abläuft, ist klar. Aber man kann daraus mitnehmen, sich mehr um Höflichkeit zu bemühen. Denn man vergisst in der Routine schnell, wie sich Patienten fühlen, wenn sie denken, nur abgefertigt zu werden.
Medizinjournalist Dr. med. Werner Bartens regte sich über solche Kollegen derart auf, dass er ein Buch darüber verfasste. Das recht kontrovers betitelte „Ärztehasserbuch“ handelt von schonungslosen Medizinern und berichtet von Größenwahn, Pfusch und Ignoranz in Krankenhaus und Praxis. Bartens wettert damit nicht nur gegen seine eigenen Kollegen, sondern versucht auch auf die Missstände aufmerksam zu machen, die die Kommunikation mit den Patienten betrifft. „Wir sollten aufhören, nur über die Kosten des Gesundheitswesens zu reden, und uns endlich wieder auf das Wesentliche konzentrieren – auf die Bedürfnisse der Menschen, die Hilfe beim Arzt suchen“, so der Medizinjournalist. Bartens hat am eigenen Leib erfahren, wie schnell man als Klinikarzt in genau diese Verhaltensmuster verfällt, die er in seinem Buch beklagt. So schildert er, wie er als junger Assistenzarzt einer besorgten Patientin – auf ihre doch immerhin sehr ernsthafte Frage: „Herr Doktor, muss ich sterben?“ – nur beiläufig antwortete: „Sterben müssen wir alle mal.“ Immerhin bemerkte Bartens, wie unangemessen seine lakonisch hingeworfene Antwort war. Doch zutiefst erschrocken darüber, dass er ganz offenbar auf dem besten Wege war, gegenüber dem Leid Anderer abzustumpfen, Patienten zunehmend als Bedrohung zu empfinden und immer öfter auch „über die schlechten Witze zu lachen, die immer wieder von den Ärzten über die Kranken gemacht wurden“, hat er wenig später den Arztberuf aufgegeben. Auch schildert er in seinem Buch Situationen, in denen Ärzte Patienten bloßstellen oder nicht ernst nehmen. So zum Beispiel eine 75-jährige Patientin, die sich den Oberschenkelhals gebrochen hatte. Der Chefarzt entdeckte bei der Visite eine Banane unter der Bettdecke. Die Frau versank fast vor Scham, als sie zu hören bekam: „Tutti-Frutti brauchen wir nicht. Der vegetarische Zauberstab verschwindet bis zur nächsten Visite.“ Oder die ältere Dame, die zum Rheumatologen aufgrund von Schmerzen in den Händen ging. Er soll sie nach dem Ausziehen von oben bis unten gemustert und anschließend ausgerufen haben: „Mein Gott, Sie haben ja Stampfer!“ Bartens versucht in seinem Buch zu vermitteln, dass es den idealistischen Medizinstudenten später häufig nicht gelingt, zu den Ärzten zu werden, die sie zu Beginn ihres Studiums doch hatten werden wollen. Dennoch kann man nicht alle Ärzte über einen Kamm scheren, wie Bartens das tut. Man sollte bedenken, dass es in jedem Beruf schwarze Schafe gibt.
Janina Kümpers, die im achten Semester Medizin in München studiert, hat während ihres Studiums schon ähnliche Erfahrungen gemacht: „Während meiner Famulatur bin ich vielen Ärzten begegnet, die supernett im Umgang mit ihren Patienten waren. Da denkt man sich nur, dass man so einen Arzt auch mal haben will, falls man krank wird. Es gab aber natürlich auch andere. Mediziner, die immer mürrisch gegenüber den Patienten waren, waren auch zu uns Famulanten sehr unfreundlich. So möchte ich später nicht werden. Selbstverständlich kann man nicht immer freundlich, höflich und zuvorkommend sein und unter großem Druck und Leid wird man vermutlich irgendwann selber abstumpfen. Aber man sollte zumindest versuchen, respektvoll zu bleiben. Einen ahnungslosen Patienten aktiv zu beschimpfen – während er in der Narkose liegt – geht einfach gar nicht.“ Auch Julian Morr, der bereits im PJ ist, versteht die Kritik: „Ich habe selber schon einige Jahre als Nebenjob in verschiedenen Krankenhäusern gearbeitet und kann bestätigen, dass es einige Ärzte gibt, die etwas skrupellos sind. Aber die allermeisten Ärzte, die ich kennengelernt habe, waren Menschen, die zwar zum Teil vielleicht mal ein bisschen unhöflich oder arrogant waren, jedoch ihren Job sehr gut gemacht haben und das ist es, was ich als Patient erwarte. Meiner Meinung nach ist es eine Schande, dass leider immer wieder die schwarzen Schafe in einem Berufsstand – seien es Ärzte, Lehrer oder Immobilienmakler – durch solche Vorfälle hervorgehoben werden, als würden sie den Großteil ihrer Gruppe ausmachen. Auch Ärzte haben Belastungsgrenzen. Auch Ärzte können nichts Übermenschliches bewirken. Auch Ärzte können nicht Hellsehen oder Gedankenlesen. Man sollte eines nicht vergessen: Ärzte sind auch nur Menschen.“