Lesezeit: ca. 4 min.Die große Mehrheit der Patienten entwickelt nach der Infektion mit SARS-CoV-2-Virus keine Symptome. Sie fungieren somit eher als versteckter Träger für diese verheerende Krankheit. Einige COVID-19-Patienten entwickeln jedoch schwere Komplikationen, ein sog. akutes Atemnotsyndrom (Acute Respiratory Distress Syndrome ; ARDS), welches mit einer hohen Mortalität verbunden ist. Obwohl zuvor oft vernachlässigt, erhielt das Lungenmikrobiom aufgrund seiner Assoziation mit verschiedenen Atemwegserkrankungen und der Immunabwehr in letzter Zeit großes Interesse. Denn das Mikrobiom der Lunge könnte für das Risiko und den Verlauf der COVID-19-Krankheit mit verantwortlich sein, indem es eine angeborene und adaptive Immunantwort aktiviert [1].Die Rolle des Lungen-Mikrobioms in der Immunabwehr
Neben dem Darm steht die Lunge an vorderster Front der Immunabwehr. Sie ist ebenfalls ständig einer Vielzahl von eindringenden fremden Substanzen ausgesetzt. Das Mikrobiom spielt daher auch in der Lunge eine wichtige Rolle, u.a. bei der Entwicklung der Lungenimmunität: eine gesunde Lunge weist daher eine hohe mikrobielle Diversität auf.
Die Aktivierung von Lungenimmunzellen, die eine angeborene oder adaptive Immunität auslösen, erfordert die Exposition von Mikroben. Die Mikrobiota stärkt so die angeborene und adaptive Immunität, setzt Faktoren frei, die die Atmungsfunktionen unterstützen und verhindert das Eindringen von Krankheitserregern in die Lunge [2]. Eine ausgeglichene Mikrobiota hemmt also das Wachstum schädlicher Krankheitserreger, die in die Lunge gelangen können. Diese Wachstumsbeschränkung kann durch verschiedene Mechanismen erfolgen, z.B. durch Einschränkung des Nährstoffzugangs und Sekretion von Wachstumsinhibitoren [3].
Modifiziert nach Khatiwadaa & Subedic [1].
Obwohl es noch keine direkten Nachweise gibt, dass das Lungenmikrobiom potenzielle SARS-CoV-2-Infektionen und den Verlauf der Erkrankung modifizieren kann, gibt es mehrere Hinweise, dass Bakterien in der Lunge eine wichtige Rolle bei dieser Krankheit spielen könnten.
Bei Mäusen verursachte eine Influenzavirus-Infektion der Lunge eine Verschiebung der Zusammensetzung und Vielfalt der mikrobiellen Gemeinschaft. Dagegen erhöhte die künstliche nasale Induktion einer gesunden Atemwegs-Mikrobiota die antivirale TLR3-Reaktion gegen das respiratorisches Synzytial-Virus (RSV) und erhöhte die Produktion von TNFα, IL-6, IFNγ und IFNβ.[v] In einer anderen in vivo-Studie schütze die Lungen-Mikrobiota gegen Influenza-induzierte Lungenschäden [6].Lungen-Mikrobiom bei COVID-19-Krankheit
Bisher haben nur zwei Studien das Lungenmikrobiom von COVID-19-Patienten analysiert [7, 8]. Zum einen wurde bronchoalveoläre Lavageflüssigkeit von COVID-19-Patienten (n = 8), ambulant erworbenen Lungenentzündungspatienten (n = 25) und von gesunden Kontrollpersonen (n = 20) untersucht. Dabei wurde ein signifikanter Unterschied in der Zusammensetzung der Mikrobiota beobachtet. Sowohl COVID-19- als auch ambulant erworbene Lungenentzündungspatienten wiesen eine Anreicherung von pathogenen und Kommensalbakterien auf, was auf eine mikrobielle Dysbiose in den erkrankten Zuständen hinweist.
In der anderen Studie wurden Post-Mortem-Lungen-Biopsien von 20 verstorbenen COVID-19-Patienten zur Untersuchung des Lungenmikrobioms verwendet. Bei diesen Patienten wurde eine komplexe Mischung aus Bakterien- und Pilzinfektionen beobachtet (u.a. Acinetobacter baumannii, Klebsiella spp, Cryptococcus, Aspergillus und Candida). Daher fordern die Autoren, dass die Mikrobiota in den unteren Atemwegen seriell zu überwachen ist, um eine rechtzeitige personalisierte Behandlung zu ermöglichen.Hat das Lungen-Mikrobiom nun Einfluss auf den Verlauf von COVID-19?
Bis heute ist zwar noch nicht nachgewiesen, ob das Lungen-Mikrobiom das Risiko schwerer Atemkomplikationen (ARDS) durch eine SARS-CoV-2-Infektion modifizieren kann. Die vorherrschende Dysbiose des Lungenmikrobioms könnte aber zu schweren Komplikationen beitragen und so eine Schlüsselrolle bekommen. Denn es ist erwiesen, dass mikrobielle Dysbiosen eine dysregulierte Immunantwort hervorrufen, die zu Entzündungen führt [9, 10, 11].
Erst 2019 wurde gezeigt, dass das veränderte Lungen-Mikrobiom mit Entzündungen und Mortalität bei (nicht COVID-19-)ARDS-Patienten assoziiert ist. Die Veränderung der Mikrobiota-Population war signifikant mit dem Serumzytokin IL-6 assoziiert [12]. Das Lungenmikrobiom scheint bei Intensiv-Patienten eine entscheidende Rolle zu spielen. Denn eine andere kürzlich durchgeführte Studie ergab erstaunlicherweise, dass die Lungenmikrobiota den klinischen Verlauf und den Tod dieser schwer kranken Patienten vorhersagen können [13].
In Zukunft müssten Studien herausfinden, ob das Vorhandensein einer bestimmten Bakterienpopulation mit einem geringen Risiko für eine SARS-CoV-2-Infektion und der Entwicklung von ARDS verbunden ist.Fazit
Insgesamt gibt es leider noch sehr wenige Informationen über die Zusammensetzung des Lungenmikrobioms bei COVID-19-Patienten. Zukünftige Studien sind dringend erforderlich, um die komplexe Beziehung zwischen Lungenimmunität, Lungenmikrobiom und SARS-CoV-2-Infektion assoziiert mit schweren Komplikationen zu lösen. Dafür müssten in Zukunft vermehrt bronchoalveoläre Proben von COVID-19-infizierten Patienten für 16S-rRNA-Gensequenzierung gesammelt werden.
Aufgrund des therapeutischen Nutzens von ausgewählten Bakterienstämmen als Probiotika sollten sich zukünftige Studien auch auf den potenziellen Nutzen und die Anwendbarkeit der Mikrobiom-Modulation für die COVID-19-Erkankung konzentrieren.
Referenzen:
[1] Khatiwadaa & Subedic. Lung microbiome and coronavirus disease 2019 (COVID-19): Possible link and implications. Hum Microb J. 2020 Aug; 17: 100073. https://www.sciencedirect.com/science/article/pii/S245223172030004X
[2] Ramírez-Labrada et al. The Influence of Lung Microbiota on Lung Carcinogenesis, Immunity, and Immunotherapy. Trends Cancer, 6 (2) (2020), pp. 86-97
[3] Frevert. Innate immunity in the lungs. Proc Am Thorac Soc, 2 (5) (2005), pp. 403-411
[4] Bradley et al. Microbiota-driven tonic interferon signals in lung stromal cells protect from influenza virus infection. Cell Rep 2019;28(1):245–56.e4.
[5] Kanmani et al. Respiratory commensal bacteria corynebacterium pseudodiphtheriticum improves resistance of infant mice to respiratory syncytial virus and streptococcus pneumoniae superinfection. Front Microbiol, 8 (2017), p. 1613
[6] Wang et al. Bacterial colonization dampens influenza-mediated acute lung injury via induction of M2 alveolar macrophages. Nat Commun, 4 (2013), p. 2106
[7] Fan et al. The lung tissue microbiota features of 20 deceased patients with COVID-19. J Infect, S0163–4453 (20) (2020), pp. 30429-30431
[8] Shen et al. Genomic Diversity of Severe Acute Respiratory Syndrome-Coronavirus 2 in Patients With Coronavirus Disease 2019. Clin Infect Dis (2020)
[9] Dickson et al. The role of the microbiome in exacerbations of chronic lung diseases. Lancet, 384 (9944) (2014), pp. 691-702
[10] Coperchini et al. The Cytokine storm in COVID-19: An overview of the involvement of the chemokine/chemokine-receptor system. Cytokine Growth Factor Rev (2020)
[11] Yang et al. The impact of lung microbiota dysbiosis on inflammation. Immunology, 159 (2) (2020), pp. 156-166
[12] Kyo et al. Unique patterns of lower respiratory tract microbiota are associated with inflammation and hospital mortality in acute respiratory distress syndrome. Respir Res, 20 (1) (2019), p. 246
[13] Dickson et al. Lung microbiota predict clinical outcomes in critically ill patients. Am J Respir Crit Care Med, 201 (5) (2020), pp. 555-563
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