Ärzte bieten etliche Leistungen fernab der evidenzbasierten Medizin an, darunter Colon-Hydro-Therapien und orthopädische Hyaluronsäure-Injektionen. Die meisten wollen helfen – doch können damit auch großen Schaden anrichten.
Wie wäre es mit einer Yin-Yang-Schwingungsneutralisation? Oder vielleicht hilft die Colon-Hydro-Therapie gegen unklare Verdauungsstörungen? Das Spektrum an Therapien jenseits aller Evidenz ist groß – nicht nur bei Heilpraktikern, sondern auch bei Ärzten. Und im Zeitalter mündiger Patienten kann niemand mehr behaupten, nichts darüber zu wissen.
Laiengerecht aufbereitete Informationen sind verfügbar, etwa über den IGeL-Monitor des MDS. Er teilt Selbstzahler-Leistungen je nach Studienlage in positiv, tendenziell positiv, unklar (meist aufgrund fehlender Daten), tendenziell negativ, negativ und ohne Bewertung ein.
Dass manche Leistungen aus eigener Tasche zu berappen sind, heißt nicht per se, dass sie keinen Nutzen bringen. Als tendenziell positiv wurden aufgrund von Studien die Akupunktur zur Migräneprophylaxe und die Lichttherapie bei saisonal abhängiger Depression eingestuft.
Dennoch fällt ein Großteil aller bislang analysierten IGeL durch, darunter auch sehr populäre Verfahren. Einige Negativ-Highlights:
Bleibt als Frage: Warum haben Ärzte solche Leistungen überhaupt im Portfolio?
„Viele Kollegen bieten IGeL an, weil sie hoffen, sich betriebswirtschaftlich besser zu stellen“, sagt ein Internist aus München, der DocCheck bekannt ist, aber ungenannt bleiben möchte. „Tatsächlich haben Selbstzahler-Leistungen wirtschaftlich ein großes Potenzial, aber nicht generell.“ Er selbst habe sich vor einigen Jahren verhoben; Grund dafür seien Investitionskosten für Geräte, aber auch hohe Personalkosten, gewesen. „Ich bezweifle, dass das alle Kollegen genau kalkulieren“, gibt er zu bedenken.
Jenseits betriebswirtschaftlicher Daten sieht der Internist jedoch einen generellen Vorteil. „IGeL lassen sich gut für das Marketing nutzen, und ich selbst hatte einige neue Privatpatienten dadurch gewonnen.“ Er gibt zu bedenken, dass der Impuls für bestimmte Verfahren nicht immer vom Arzt ausgehe. Denn so manche Patienten wünschten sich Leistungen, weil sie von Laienmedien getriggert würden.
Mediziner wiederum stecken in einer Zwickmühle. Für sie gilt bekanntlich die (Muster-) Berufsordnung. „Eine gewissenhafte Ausübung des Berufs erfordert insbesondere die notwendige fachliche Qualifikation und die Beachtung des anerkannten Standes der medizinischen Erkenntnisse“, heißt es in § 2. Dem steht die ärztliche Therapiefreiheit als hohes Gut gegenüber. Sie wird vor allem durch die ärztliche Sorgfaltspflicht, aber auch durch das Sozialrecht eingeschränkt. Gesetzliche Krankenkassen sind nicht verpflichtet, alle Therapien zu übernehmen. Leistungsansprüche definiert der Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA).
Wie schwierig es ist, Behandlungen juristisch zu verbieten, zeigt sich etwa bei der Frischzellentherapie. Sie war bis in die 1980er-Jahre weltweit verbreitet, wird von der evidenzbasierten Medizin aufgrund mangelnder Wirksamkeitsnachweise jedoch abgelehnt. Es kam zu mehr allergischen Reaktionen, bis hin zum anaphylaktischen Schock mit Todesfolge, und das Verfahren wurde vielerorts verboten – nur nicht in Deutschland.
1997 war das Gesundheitsministerium, damals stand Horst Seehofer an dessen Spitze, beim Versuch, ein Verbot durchzusetzen, gescheitert. Zuständig seien die Länder, urteilte das Bundesverfassungsgericht im Jahr 2000. Dann passierte lange Zeit nichts; der schwarze Peter lag bei den Bundesländern.
Mitte August 2020 trat das Gesetz für mehr Sicherheit in der Arzneimittelversorgung (GSAV) in Kraft. Bundesgesundheitsminister Jens Spahn hatte eine Grundlage, um die Herstellung und Anwendung von Frischzellen zu verbieten. Ein Referentenentwurf zur „Frischzellen-Verordnung“ wurde Anfang September veröffentlicht.
Auf Verbote brauchen wir also nicht zu hoffen. Wichtiger ist, dass Ärzte verantwortungsvoll beraten – und dass sich Patienten selbst informieren.
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