Günstiger, passgenauer und schneller: Immer häufiger setzt der Arzt in den Körper seines Patienten Teile ein, die aus dem 3D-Drucker stammen. Die Kombination von lebenden Zellen und biokompatiblen Gerüsten dürfte nicht nur die regenerative Medizin revolutionieren.
Entwickler von Arzneimitteln reden schon lange über die Verbindung von individueller Diagnostik und daran angepasster Wirkstoffgabe – die personalisierte Medizin der Zukunft. Aber kann so etwas auch in der Medizintechnik funktionieren? Ist es möglich, Hüftgelenke, Stents oder Gewebeersatz ohne Schleifen, Bohren oder langwierige Zellkultur für den einzelnen Patienten so maßzuschneidern, dass diese sofort passen? Die Antwort darauf gibt eine Methode, die jenseits der Medizin schon seit längerem Modell-Prototypen vor Beginn der Serienproduktion liefert, der 3D-Druck.
Besonders dort, wo es nicht auf die engmaschige Versorgung durch ein verzweigtes Gefäßsystem ankommt, können gedruckte Gewebe ihre Vorteile ausspielen. Im April dieses Jahres veröffentlichte eine internationale Arbeitsgruppe – unter anderem mit Forschern von der TU München – die Konstruktionspläne für ein neuartiges Knorpelgewebe. In seinen physikalischen Eigenschaften, also Elastizität und Widerstand gegen mechanische Belastungen, kommt es dem natürlichen Vorbild im Knie sehr nahe. Das Gerüst bietet zudem noch Chondrozyten ein neues Zuhause. Mittels „Melt Electrospinning Writing“ werden dabei sehr dünne Fasern in ein Hydrogel geflochten. Je nach Anforderung verleihen diese Fasern aus PCL (poly-ε-caprolacton) dem Gewebe mehr oder weniger Festigkeit mit Spitzenwerten, die bisher noch kaum erreicht wurden. Gleichzeitig ist es jedoch elastisch und behält seine Form auch nach intensiver mechanischer Beanspruchung. Erste Studien mit implantierten Chondrozyten zeigten, dass die Zellen nicht nur ihre Morphologie, sondern auch ihre Funktion behalten und auf Druckbelastung mit einer veränderten Genexpression reagieren. Nach einigen Jahren hat der Körper das künstliche Geflecht vollständig abgebaut und im Idealfall durch eine Eigenproduktion ersetzt. Untersuchungen in der Klinik sollen in Kürze beginnen. Nicht nur Orthopäden könnten einen solchen Gewebeersatz gut gebrauchen, sondern auch Chirurgen anderer Fachrichtungen. Mitautor Dietmar Hutmacher forscht zur Zeit in München und kann sich auch Anwendungen bei der Rekonstruktion der weiblichen Brust oder der Reparatur von Herzgewebe vorstellen. „Wir müssen das Gerüst unter den Muskel implantieren“, so Hutmacher, und das faserververstärkte Gewebe könne die „Regeneration sowohl von großen Mengen an Brustgewebe als auch von biodynamisch stark belasteten Herzklappen“ anstoßen.
Eine andere Anwendung solcher 3D-Matrices veröffentlichten Forscher von der Ann Arbor University in Michigan im Mai dieses Jahres in „Science Translational Medicine“. Sie zeigten, dass der Druck von Implantaten nicht nur Erwachsenen hilft, sondern auch Kindern, bei denen das Hilfsmittel mitwachsen muss. Bei kleinen Patienten mit Tracheobronchomalazie ist das Bindegewebe der großen Atemwege so schwach, dass es beim Atmen immer wieder kollabiert. Bisher war ein Luftröhrenschnitt mit mechanischer Beatmung die Methode die Wahl für diese Kinder, allerdings verbunden mit einer hohen Komplikationsrate. Atemstillstände und die Folgen für Herz und Kreislauf führen dabei häufig zu Wachstumsbeeinträchtigungen oder gar zum Tod. An drei Patienten im Alter zwischen drei und sechzehn Monaten bewährte sich nun ein Stützgerüst, das außen die Hauptbronchien umhüllt und an ihnen festgenäht wird. Dank seiner offenen zylindrischen Form wächst es mit der Vergrößerung der Atemwege mit. Auch hier löst sich das Material (PCL) nach einigen Jahren auf, wenn das Bindegewebe stark genug ist, um den Druckbelastungen selber stand zu halten. Entsprechend den genauen Daten vorheriger CT-Aufnahmen sorgte dabei ein 3D-Drucker für ein individuell angepasstes Design der Atemwegsstützen.
Gerade in Pädiatrie können gedruckte Teile ihre besonderen Vorteile gegenüber der Massenproduktion oder auch mühevoller Handarbeit ausspielen. Auf Basis der Vermessung durch bildgebende Techniken können sie innerhalb weniger Tage nach Maß aus dem Drucker produziert werden. Je nach Bedarf besteht das Produkt dabei aus unterschiedlichen Materialien. So berichteten etwa Wissenschaftler aus Oxford bereits 2013 von einem Mizellen-Gewebe, das sie mit Wassertröpfchen auf einem fetthaltigen Untergrund druckten. Zusammen mit Liposomen aus Zellen konnte das Gewebe Signale austauschen, sich kontrahieren und somit seine Form verändern. In der Zahnheilkunde publizierten Ärzte den Einsatz eines gedruckten Gerüsts und dem Einsatz von Wachstumsfaktoren bei einer Wurzelbehandlung nach einem großen Defekt. Nach einem Jahr war die Heilung gut verlaufen. Die Liste der Produkte aus dem Drucker für den medizinischen Einsatz wird also immer länger: von Knochenimplantaten über Brillengläser, anatomischen Organmodellen bis hin zur pharmazeutischen Technologie. Dort entsprechen Wirkstoffe inzwischen – in individueller Patienten-Darreichungsform gedruckt – den Bedürfnissen des Patienten besser als die Tablette in der Standardverpackung. Hörgeräte, deren Form auf die individuelle Anatomie ihres Benutzers abgestimmt ist, kommen heute schon zu fast 100 Prozent aus dem Drucker. Mit Stammzellen oder differenzierten Organzellen lassen sich auch kleine Modellgewebe schnell und günstig herstellen, die für sich gut für personalisierte pharmakologische Wirkstofftests eignen. Bei geeigneter Bauart beeinträchtigt der Druckkopf auch nicht die Lebensfähigkeit von Zellen. Das eröffnet in regenerativen Medizin Perspektiven bis hin zum gedruckten Organ.
Wenn es um nicht allzu dickes Bindegewebe wie etwa für Knorpel geht, haben Drucker inzwischen keine Probleme mehr, auch mehrlagige komplex aufgebaute Strukturen aufzubauen. Problematisch wird es bei Organen, die ab einer Dicke von 150 bis 200 µm ein Ver- und Entsorgungskanal-System benötigen. Ein solches Gefäßsystem in das Gewebe zu integrieren, galt bis vor kurzem noch als extrem hohe Hürde. Inzwischen vermeldeten jedoch Wissenschaftler aus Harvard, Stanford und Sidney, dass sie ein funktionierendes Kapillar-Netzwerk in das gedruckte Gewebe eingelagert hätten. Modelle aus dem Drucker haben in der Zwischenzeit Chirurgen geholfen, kleinste Metastasen aus der Leber zu entfernen, Schädelknochen nach einem Trauma zu ersetzen oder Kieferknochen aus Titanpulver innerhalb kurzer Zeit herzustellen. Alle diese Anwendungen sind bisher Einzelfälle. Bevor in der Klinik oder in der Arztpraxis ein Gewebedrucker seinen regelmäßigen Dienst tut, müssen Studien an einer größeren Anzahl von Patienten sowie Langzeitbeobachtungen zeigen, dass Methode und Materialien dauerhaft sicher und funktionsfähig sind.
Schließlich könnte es auch dazu kommen, dass sich bei finanzieller Not ein Do-it-yourself-Verfahren für benötigte humane Ersatzteile entwickelt. (DocCheck berichtete über e-NABLE). Inwieweit ein solcher Wettbewerb zur Qualitätsverbesserung zu einem bezahlbaren Preis beitragen kann, ist genauso wenig absehbar wie möglicher Missbrauch der Technik. Bisher flossen rund elf Millionen Dollar in die medizinische Entwicklung des 3D Drucks. Nach Expertenmeinung soll sich das in den kommenden 10 Jahren deutlich ändern. Rund zwei Milliarden Dollar an Investitionen für Klinik, Arztpraxis und Labor werden dann in die Drucktechnologie fließen. Möglicherweise entnehmen Ärzte dann dem Neugeborenen gleich nach der Entbindung Stammzellen, die im späteren Leben im Reparaturfall zu den benötigten Organzellen differenziert und mittels Drucktechnologie ins Kurzzeit-Synthese-Gewebe eingebettet werden. Der Drucker, der direkt im OP per Fernsteuerung am Hebelarm Reparaturen am beschädigten Gewebe vornimmt, ist vorerst noch eine Vision, vielleicht aber bald schon Realität.