Die Regulationsmechanismen der Körpertemperatur könnten sich als neuer Therapieansatz für Adipositas eignen. Eine neue Studie an Mäusen zeigt: Ein Protein, das für die Wahrnehmung der Umgebungstemperatur zuständig ist, reguliert auch das Essverhalten.
Energie aus Nahrungsmitteln ermöglicht es Säugetieren, ihre Körpertemperatur aufrechtzuerhalten und sich veränderten Umgebungstemperaturen anzupassen. Menschen benötigen einen großen Teil des Brennwerts ihrer Nahrung, damit sie knapp 37°C Körpertemperatur nicht unterschreiten. Biochemische Oxidationsvorgänge zur Energiehomöostase laufen nicht nur in der Leber, sondern auch im braunen Fettgewebe ab. Sie gelten bei Wissenschaftlern schon lange als Angriffspunkt, um pharmakologisch gegen Adipositas vorzugehen.
Rosa Señarís von der spanischen University of Santiago de Compostela hat jetzt den Ionenkanal TRPM8 näher untersucht. TRPM8 spielt bei der Thermozeption, also der Wahrnehmung der Umgebungstemperaturen, eine große Rolle. Der Ionenkanal ist auch für das Kälteempfinden, wie wir es von Menthol kennen, verantwortlich. Bei der Stimulation des Kanals gelangen Natrium- und Calcium-Ionen in Nervenzellen, was zur Depolarisation und zur Erzeugung eines Aktionspotentials führt. Für ihre Experimente arbeitete Señarís mit Knockout-Mäusen ohne TRPM8. Sie verloren bei kühleren Temperaturen mehr Körperwärme. Verglichen mit Wildtyp-Tieren lag die Kernkörpertemperatur um 0,7°C niedriger. Entzogen Forscher den Tieren ihre Nahrung, litten die Tiere unter Hypothermie; ihre Körpertemperatur sank unter 30°C. Señarís erklärt den Effekt mit größeren Wärmeverlusten über den Schwanz: TRPM8-sensorische Fasern innervieren Schwanzvenen. Der Ionenkanal spielt eine wichtige Rolle bei der Vasokonstriktion. Ohne ihn wird die Durchblutung bei wechselnden Umwelttemperaturen nicht verändert.
Ein weiterer Effekt bezog sich auf die Energieverwertung selbst. Im Vergleich zu Wildtyp-Tieren nahmen TRPM8-Knockout-Mäuse deutlich mehr Nahrung auf (Hyperphagie). Im Erwachsenenalter kam es zu Adipositas und zu höheren Blutzucker-Werten, was sich u.a. durch eine schlechtere Fettverwertung erklären lässt. Aus ihren Experimenten leitet Señarís eine bislang unbekannte Verbindung zwischen thermischer Sensorik, Thermoregulation und Nahrungsaufnahme ab. Sie hofft auf neue Wege zur Therapie oder Prävention von Adipositas.
Auch im Menschen werden TRPM8-Gene exprimiert, was für eine gewisse Übertragbarkeit des Ansatzes auf Menschen spricht. Señarís‘ Arbeit ist eindeutig der Grundlagenforschung zuzuordnen: Sie arbeitet mit transgenen Mäusen, aber nicht mit Inhibitoren oder Aktivatoren. TRPM8-Agonisten könnten älteren Arbeiten zufolge auch eine Rolle bei chronischen neuropathischen Schmerzen spielen.