Ein Sohn findet seinen 70-jährigen Vater verwirrt im Badezimmer auf. Als er ihn anspricht, rollen die Augen des Patienten zurück und er fällt regungslos zu Boden.
Der Sohn alarmiert den Notdienst, der seinen Vater sofort in die nächste Notaufnahme bringt. Dort ist der Patient benommen, aber wieder bei Bewusstsein. Er erzählt, dass er sich bis vor zwei Tagen völlig gesund fühlte; seitdem müsse er häufiger auf die Toilette, könne aber immer nur kleine Mengen Urin absetzen.
Zur medizinischen Vorgeschichte gehören eine benigne Prostatahyperplasie, Hypertonie und Asthma. Der systolische Blutdruck des Patienten liegt bei 55 mmHg, die Herzfrequenz bei 100 bpm. Die Atemfrequenz liegt bei 28 pro Minute. Bei der körperlichen Untersuchung fallen den Ärzten zudem gerötete Augen und ein gerötetes, ödematöses Gesicht auf. Die Bewusstseinstörungen des Patienten, Tachykardie trotz Betablocker-Therapie, Oligurie, Tachypnoe und schwere Hypotonie deuten auf einen Schock hin. Die Ursachenforschung beginnt.
Bei der Blutuntersuchung fällt unter anderem eine Leukozytose und Laktatazidose auf, welches auf eine Infektion oder Sepsis hindeuten könnte. Erreger können die Mediziner bei der Liquoruntersuchung aber nicht finden. Eine toxikologische Urinuntersuchung auf Drogen oder Medikamente bleibt unauffällig. Da die Ärzte als Ursache eine Infektion, Sepsis oder das toxische Schock-Syndrom vermuten, bekommt der Patient zunächst Antibiotika verabreicht und wird auf die Intensivstation verlegt. Obwohl am nächsten morgen Vasopressin und Epinephrin verabreicht werden, bleibt der Blutdruck des Patienten unverändert niedrig. Jetzt bekommt er jedoch noch zusätzlich Fieber und immer schlechter Luft.
Die Ärzte starten eine Hämodialyse, um mögliche Toxine aus seinem Körper zu entfernen. Nach drei Tagen normalisiert sich der Blutdruck, doch gleichzeitig beginnt sich die Haut an Händen, Gesicht und im Genitalbereich zu schuppen (Desquamation). Kulturen aus Blut-, Urin- und Liquorproben bleiben negativ. Langsam scheint sich der Patient wieder zu erholen, doch was die Ursache für seine Symptome ist, bleibt nach wie vor ein Rätsel. Die Ärzte befragen ihn und die Familie eingehender, ob er etwas ungewöhnliches gegessen hätte, etwa wilde Pilze oder Pflanzen. Dabei fällt dem Sohn ein, dass sein Vater einen Reiskuchen gegessen hätte. Dann erinnert auch der Patient sich. Der Reiskuchen habe etwas bitter geschmeckt, aber er habe ihn ganz verzehrt. Kurze Zeit darauf begannen die Symptome.
Wie sich herausstellt, handelte es sich bei dem Reiskuchen gar nicht um einen Reiskuchen, sondern um eine Köderfalle für Kakerlaken, bestehend aus Kartoffeln und Borsäure-Pulver. Diese werden laut der Familie jedes Jahr von den örtlichen Bauern kostenlos verteilt. In diesem Jahr fiel die Verteilung der Pestizidkugeln mit einem regionalen religiösen Fest zusammen, bei dem die Einwohner essbare Souvenirs mit nach Hause bringen. Somit könnte der Patient aus Versehen das Pestizid zu sich genommen haben. Und damit liegt die Familie des Mannes richtig: Die Vergiftung mit Borsäure kann in einer Blutprobe, die vor der Hämodialyse entnommen wurde, bestätigt werden. Der Patient wird 4 Wochen später entlassen und erholt sich vollständig.
Hier kommt ihr zum Fallbericht.
Bildquelle: Luigi Pozzoli, unsplash