In einer groß angelegten Studie wurden fast 5.000 Personen zu ihrem sexuellen Verhalten befragt. Welche Fragen euch Patientinnen gerne stellen würden, es aber oft nicht tun.
Ziel der Studie Gesundheit und Sexualität in Deutschland (GeSiD) war es, erstmalig repräsentative Daten zur sexuellen Aktivität und sexuellen Zufriedenheit in der Allgemeinbevölkerung zu erfassen. Weiterhin wurden Zusammenhänge von physischen und psychischen Erkrankungen und damit verbundenen Belastungen des Sexuallebens erörtert. Außerdem soll eine Sensibilisierung der Ärzteschaft für dieses relevante Thema erreicht werden.
Es wurden deutschlandweit 4.955 Personen, davon 2.336 Männer und 2.619 Frauen im Alter von 18 bis 75 Jahren befragt. Besonderes Augenmerk lag auf der Altersgruppe von 18 bis 35 Jahren, da hier das größte Risiko für sexuell übertragbare Krankheiten liegt. Diese Gruppe wurde mit knapp 40 % oder etwa 1.900 Personen überfasst („Oversampling“). Es wurden Fragebögen mit mehr als 250 Fragen zu verschiedenen sexualbezogenen Themen verschickt, außerdem wurden persönliche und laptopunterstützte Interviews durchgeführt. Die Datenerhebung erfolgte von Oktober 2018 bis September 2019.
Das Lebensalter beim ersten heterosexuellen Geschlechtsverkehr ist nach vorne gerückt. Heute haben bis zum 16. Lebensjahr knapp die Hälfte der 18- bis 25-jährigen (44 % der Männer und 42 % der Frauen) ihr „erstes Mal“. In der Gruppe der 66- bis 75-jährigen hatten nur ein Fünftel (20 % der Männer und 21 % der Frauen) den ersten Sex vor dem 17. Geburtstag.
Die durchschnittliche Anzahl der Sexualpartner liegt bei heterosexuellen Frauen bei 6,1 und bei Männern bei 9,8. Frauen geben eher niedrigere, Männer eher höhere Zahlen an, daher die unverhältnismäßige Abweichung. Interessant ist, dass in der Gruppe der 26- bis 35-jährigen Frauen mit 7,4 Partnern eine doppelt so hohe Anzahl wie in der Gruppe der 66- bis 75-jährigen mit 3,8 Partnern angegeben wird, obwohl die jüngeren Frauen noch mehr aktive Jahre vor sich haben.
Besonders außerhalb einer festen Beziehung sind Kondome wichtig. 69 % der Single-Frauen haben sich im letzten Jahr nicht immer mit Kondomen geschützt und 86 % der Frauen, die Sex außerhalb ihrer festen Beziehung hatten, hatten mindestens einmal ungeschützten Verkehr. Kondome werden laut der Studie nicht konsequent genutzt.
Fazit für die Praxis: Frauen beginnen heute früher damit, sexuell aktiv zu sein und haben im Laufe ihres Lebens im Vergleich zu früheren Generationen eine höhere Anzahl von Sexualpartnern. Antikonzeptionsberatungen müssen daher bereits im frühen Teenageralter beginnen. In der gynäkologischen Praxis kann der Kontakt über die Mutter hergestellt werden. Häufig stellen Patientinnen die Frage, ab welchem Alter der erste Frauenarztbesuch ihrer Tochter sinnvoll sei. Das ist der Fall bei gynäkologischen Beschwerden, Durchführung der HPV-Impfung und Antikonzeptionsberatung. Dabei ist es wichtig, dass der erste Besuch möglichst vor dem ersten sexuellen Kontakt stattfindet. Sinnvoll sind auch spezielle Teenies-Sprechstunden, um die Hemmschwelle möglichst niedrig zu halten. Pädiater können bei der Jugenduntersuchung auf gynäkologische Praxen verweisen und natürlich die HPV-Impfung durchführen. Kondome zur Vermeidung von sexuell übertragbaren Infektionen sind in allen Altersgruppen empfehlenswert und wichtig.
In Europa ist seit 10 Jahren ein Anstieg sexuelle übertragbarer Infektionen (STI) zu verzeichnen. Damit stehen bakterielle (Chlamydien, Syphilis, Gonorrhoe), virale (HIV, Hepatitis B, Herpes genitalis, HPV) und parasitäre Infektionen (Trichomonaden, Filzläuse) im Vordergrund. Frauen gaben besonders häufig eine Chlamydieninfektion an (5,8 % Frauen, 1,6 % Männer). An zweiter Stelle stehen die Genitalwarzen 2,2 % Frauen, 1,6 % Männer). Insgesamt gaben 12 % der Frauen (8 % der Männer) an, bereits einmal eine dieser Infektionen gehabt zu haben. Um weitere Ansteckungen zu vermeiden, muss auch der Sexualpartner informiert und, wenn nötig, therapiert werden. Zwischen 70 % und 80 % der Infizierten tun das.
Für 69 % der Frauen waren sexuell übertragbare Infektionen noch nie Bestandteil eines ärztlichen Beratungsgespräches. Jüngere Frauen sprechen am häufigsten über eine STI und wünschen eine ärztliche Beratung.
Fazit für die Praxis: Das bis zum 25 Lebensjahr zu Lasten der GKV empfohlene Chlamydienscreening sollte einmal pro Jahr konsequent durchgeführt werden. Bei jeder Vorsorgeuntersuchung an die Möglichkeit einer STI denken und Patientinnen konkret nach Beschwerden fragen. Bei einer STI ist eine Partnertherapie oft obligat, etwa bei Infektionen mit Chlamydien, Gonorrhoe, Syphilis und Trichomonaden. Eine Partnerdiagnostik ist bei HIV und Hepatitis B wichtig. Kontrolluntersuchungen nach einer STI sind ratsam, um den Erfolg der Therapie zu verifizieren.
Heterosexuelle Paare zwischen 18 und 35 Jahren haben etwa fünf Mal im Monat Sex, die 36- bis 55-jährigen etwa vier Mal im Monat. Mit zunehmendem Alter nehmen die Frequenzen ab, bei den 56- bis 65-jährigen sind es 2,7 Mal und bei 66- bis 75-jährigen 1,1 Mal im Monat. Bei einem Fünftel aller befragten Paare liegt der letzte Sex länger als vier Wochen zurück. Die sexuelle Aktivität wird neben dem Alter von Faktoren wie Gesundheitszustand und Beziehungsstatus beeinflusst. Menschen, die aktuell Single sind, sind im Schnitt weniger sexuell aktiv.
Wurde der Gesundheitszustand als mittelmäßig oder schlecht eingeschätzt, oder die Probanden gaben sexuell einschränkende Erkrankungen oder Behinderungen an, kam es zu einer Verringerung der sexuellen Aktivität, als auch der sexuellen Zufriedenheit.
Frauen, die in langen Beziehungen leben (> 5 Jahre), waren sexuell weniger aktiv als Frauen in kurzen Beziehungen (< 2 Jahre). Bei der sexuellen Zufriedenheit ist, anders als bei der sexuellen Aktivität, kein Zusammenhang mit dem Alter erkennbar. Dagegen korrelieren Beziehungsstatus und -dauer mit der sexuellen Zufriedenheit: Sexuell aktive Singles sind deutlich weniger zufrieden als Befragte in festen Beziehungen, wohingegen in festen Partnerschaften die Zufriedenheit mit der Beziehungsdauer sinkt.
Bei Frauen spielen hier Libidoverlust (6,9 %), Orgasmusstörungen (5,8 %) und sexuell bedingte Schmerzen die größte Rolle. Mehr als 40 % gaben an, im Laufe ihres Lebens Probleme mit der sexuellen Erregung gehabt zu haben. Besonders hoch war dies der Fall in den 12 Monaten vor der Befragung in der Gruppe der 46- bis 55-jährigen Frauen (28,1 %), aber nur 6 % gaben einen Leidensdruck an. Orgasmusprobleme kamen bei Frauen doppelt so häufig als bei Männern vor. Sexuell bedingte Schmerzen waren in der Gruppe der jungen Frauen zwischen 18 und 25 Jahren mit 16,2 % besonders prominent.
Fazit für die Praxis: Libidoverlust ist ein häufig angesprochenes Problem in der Praxis. Grund dafür können bei jüngeren Frauen auch eine hormonelle Kontrazeption sein. Dann gilt es, auf östrogenbetontere Präparate oder andere Formen der Antikonzeption umzustellen. Auch über vaginale Trockenheit unter hormoneller Kontrazeption wird berichtet. Zum anderen ist eine nachlassende Libido im Klimakterium, ebenfalls verbunden mit vaginaler Trockenheit, nicht selten. In der gynäkologischen Praxis ist, neben dem anamnestischen Gespräch, zunächst ein Versuch mit pflanzlichen Substanzen zur systemischen und lokalen Therapie ratsam. Sollte das nicht zum Erfolg führen, kommen die lokale Östrogenisierung der Vagina und eine individuelle Hormonersatztherapie in Frage. In manchen Fällen ist auch ein sexualtherapeutischer Ansatz erforderlich.
Sexuell bedingte Schmerzen können zum einen durch Therapie der vaginalen Trockenheit, Variation der sexuellen Aktivität oder durch eine sexualtherapeutische Paartherapie angegangen werden. Vorher sind organische Ursachen auszuschließen.
„Ärzte und Ärztinnen sollten häufiger sexualitätsbezogene Fragen stellen und Probleme rund um Sexualität abklären“, dieser Aussage stimmten 70 % aller Befragten in der Studie entschieden zu.
Nicht nur im Zusammenhang mit sexuell übertragbaren Infektionen, Antikonzeptionsberatungen und sexuellen Funktionsstörungen, sondern auch in Gesprächen über Erkrankungen und Medikamenten, die die Sexualität beeinträchtigen können, sollte die Frage nach dem sexuellen Erleben Routine sein.
Bildquelle: Reproductive Health Supplies Coalition, Unsplash