Die Diabetestherapie hat sich technisch und qualitativ in den vergangenen Jahren verbessert. Doch der Alltag vieler junger Betroffener ist von Überforderung geprägt.
In den vergangenen 25 Jahren hat sich durch die Verwendung von Glukosesensoren, Insulinpumpen, intelligenten Insulinabgabesystemen, Messgeräten mit Bolus-Rechnern und schnell wirksamen Insulinen die Diabetestherapie erheblich verbessert.
„Gleichzeitig haben sich die Rahmenbedingungen für ein effektives Diabetesmanagement verschlechtert“, sagt Prof. Karin Lange von der Deutschen Diabetes Gesellschaft (DDG). „In der ambulanten Versorgung sind interdisziplinäre Teams, bestehend aus Kinderdiabetologen, Psychologen und Diabetesassistenten, selten vorgesehen und finanziert. Auch der stationäre Sektor kann dies nur unzureichend abfedern, da entsprechende Strukturen an universitären Einrichtungen oder Kinderkliniken ebenso schlecht gegenfinanziert und defizitär sind.“
So gut moderne Therapien und Technologien auch sind, sie stellen hohe Ansprüche an einen strukturierten Alltag der Familien, Erziehungskompetenz, Selbstdisziplin, Selbstmanagement und das Verständnis komplexer Zusammenhänge. Die Psychologin verweist dabei auf die Fragebogenstudie AMBA2, die die Bedürfnisse betroffener Familien eruiert hat: „Familien sind in ihrem Alltag oft überfordert. Sie benötigen neben der therapeutischen auch eine psychosoziale Unterstützung, um diese Mehranforderungen ausreichend zu bewältigen“, erklärt Lange.
Auch nationale und internationale Leitlinien fordern, Betroffenen ein multiprofessionelles Diabetesteam zur Seite zu stellen, das nicht nur auf Stoffwechselwerte achtet, sondern auch die seelische Gesundheit und die Fähigkeit zum Selbstmanagement im Alltag fördert. „Deutschland besteht jedoch aus einem Flickenteppich an Maßnahmen und Regelungen, die diese Familien unterstützen – insbesondere in ländlichen Regionen gibt es nur wenig Unterstützung“, so Lange.
Auch Erzieher und Lehrkräfte sind häufig überfordert. „Die Eingliederung in Schule und Kindergarten von an Typ-1-Diabetes erkrankten Kindern bereitet immer größere Probleme“, so Dr. Thomas Kapellen, Sprecher der Arbeitsgemeinschaft pädiatrische Diabetologie (AGPD) der DDG. Mittlerweile stehen für das Personal in Kita und Schulen zwar gut strukturierte Schulungsprogramme zur Verfügung (Edukids), es fehlt aber an einer bundeseinheitlichen Regelung zur Finanzierung dieser essenziellen Leistung. In den meisten Fällen wird diese ehrenamtlich, durch Spendengelder oder Querfinanzierung innerhalb der Diabeteseinrichtung erbracht.
„Wie sich der Start für Kinder mit Typ 1-Diabetes in Kita oder Schule gestaltet, ist auch von Faktoren wie dem Bundesland, den jeweiligen kommunalen Strukturen, der betreuenden Einrichtung, der Kommunikationsfähigkeit der Eltern sowie der Ausstattung, den Mittel und der Präsenz des betreuenden Diabetesteams abhängig“, so Kapellen. „Es gleicht also einem Glücksspiel, ob Kinder und Jugendliche mit Diabetes eine gute Rundum-Versorgung erhalten oder nicht.“
Hinzu kommt, dass im Vergleich zu stoffwechselgesunden Altersgenossen fast doppelt so viele Kinder mit Diabetes trotz altersgemäßer kognitiver Fähigkeiten zum Besuch einer Förderschule gedrängt werden. Viele Kinder werden darüber hinaus von Ausflügen, Feiern und Klassenfahrten ausgeschlossen – in der Grundschule ist etwa jedes vierte Kind betroffen.
Zur Pressemitteilung der Deutschen Diabetes Gesellschaft geht es hier.
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