Für Herzpatienten über 65 Jahre besteht das Risiko eines postoperativen Delirs. Wie sich Schwere und Dauer eines Delirs senken und eine langfristige Pflegebedürftigkeit vermeiden lässt, haben Experten jetzt genauer untersucht.
Ein Delir zählt zu den häufigsten Komplikationen nach herzchirurgischen Eingriffen bei älteren Patienten ab 65 Jahren. Als typische Symptome können Orientierungslosigkeit, Verwirrtheit und Halluzinationen auftreten. Um diese Nebenwirkungen zu verhindern, haben die AOK Nordwest und das Herz- und Diabeteszentrum NRW (HDZ) in Bad Oeynhausen jetzt einen Qualitätsvertrag zur Prävention des postoperativen Delirs geschlossen.
Dabei sollen die Risikopatienten identifiziert, das Delir rechtzeitig mittels valider Testverfahren erkannt und gleichzeitig Präventionsmaßnahmen eingesetzt werden. So lasse sich die Schwere und Dauer des Delirs senken und langfristig eine Pflegebedürftigkeit vermeiden.
Als akute Störung des Gehirns kann ein postoperatives Delir je nach Dauer und Auswirkung die Lebensqualität der Patienten zum Teil erheblich beeinträchtigen. „Insbesondere bei älteren und kognitiv eingeschränkten Patienten tritt das postoperative Delir auf. Damit verbunden sind oft weitere kostenintensive Behandlungen und langfristig ein erhöhter Pflegeaufwand“, sagt Dr. Karin Overlack, Geschäftsführerin des HDZ.
Eine Operation im hohen Alter stellt eine außergewöhnliche Belastungssituation dar. Dabei zeigt genau diese Patientengruppe eine starke Heterogenität im Hinblick auf Risikofaktoren und Ressourcen. Für die Entwicklung einer bestmöglichen individuellen Therapie muss das beachtet werden. Der Begriff Gebrechlichkeit („frailty“) bedeutet eine herabgesetzte Belastbarkeit und erhöhte Vulnerabilität des Patienten gegenüber auftretenden Stressfaktoren. Frailty ist ein unabhängiger Risikofaktor für die Entwicklung eines postoperativen Delirs.
In Anlehnung an die kürzlich publizierten Leitlinien der Europäischen Anästhesiegesellschaft, die die präoperative Evaluation der Gebrechlichkeit vor Operationen zur Risikostratifizierung empfiehlt, hat das Institut für Anästhesiologie und Schmerztherapie des HDZ im Rahmen der Prämedikationsvisite ein „Frailty Assessment“ für die Patienten der AOK Nordwest etabliert. Hierbei werden am Tag vor der Operation kognitive und körperliche Funktionstests der Patienten erfasst und ein Delirscreening durchgeführt. Nach dem Eingriff erhalten die Patienten eine Post-Anästhesievisite zur Erfassung des Delirs und der Schmerzintensität.
Delirscreening und „Frailty Assessment“ gehören zu einem interdisziplinären HDZ-Delirmanagement, das unter der Leitung von Prof. Vera von Dossow, Direktorin des Instituts für Anästhesiologie und Schmerztherapie am HDZ, eingeführt wurde. Dabei handelt sich um ein Mehrkomponenten-Konzept mit vier Teilprojekten zur Prävention eines postoperativen Delirs. Dazu gehören die Wahl des Anästhesieverfahrens, nicht-pharmakologische Präventionsmaßnahmen (Lärm- und Stressreduktion) sowie die physiotherapeutische und psychologische Betreuung der Patienten.
Alle am Behandlungsprozess Beteiligten werden in das HDZ-Delirmanagement eingebunden: Ärzte, Pflegende, Psychologen, Physiotherapeuten und weitere Fachkräfte. „Mit unserem besonderen interdisziplinären Schulungs- und Qualifizierungskonzept werden alle Beteiligten über die Bedeutung des Delirs, die Risikofaktoren, Screeningmethoden und die damit verbundenen notwendigen organisatorischen Abläufe einschließlich der Dokumentation und Hinterlegung in der elektronischen Patientenakte informiert“, so Overlack.
Nach Abschluss der wissenschaftlichen Evaluierung werden die Ergebnisberichte auf der Website des Instituts für Qualitätssicherung und Transparenz im Gesundheitswesen (IQTIG) veröffentlicht. Mittelfristig ist zu erwarten, dass sich weitere Vertragspartner dieser Vereinbarung anschließen.
Zur Pressemitteilung des Herz- und Diabeteszentrums NRW Bad Oeynhausen geht es hier.
Bildquelle: Matthew Bennett, Unsplash