Wenn Wölfe Huftiere fressen, bleibt ausser Knochen, Haut und Mageninhalt wenig übrig. Darunter gedeiht jedoch eine überraschend artspezifische Mikrobengemeinschaft, wie eine Studie jetzt zeigt. Und: Kadaver ist nicht gleich Kadaver.
Wenn ein Tier stirbt, dann setzt sich eine Kettenreaktion von Verwesungsprozessen in Gang. Bisher ging man davon aus, dass diese nach einem weitgehend festen und damit vorhersagbaren Schema abläuft. Die Rechtsmediziner jedenfalls verlässt sich darauf, dass die auf oder unter einer Leiche vorhandenen Organismen Hinweise auf die Todesumstände liefern.
Doch von Wölfen gerissene Huftier-Leichen halten sich nicht an einfache Regeln, zeigt nun eine einzigartige Studie von Forschern der Eidgenössischen Forschungsanstalt für Wald, Schnee und Landschaft (WSL). Das Team von Anita Risch, Leiterin der Gruppe Tier-Pflanzen-Interaktionen, hat zusammen mit Partnern der Universität Minnesota im Yellowstone Nationalpark in den USA den Boden unter Kadavern untersucht.
So gedeihen unter einem Bisonriss ganz andere Bakterien und Pilze als unter einem Wapitiriss, ergab die in der Fachzeitschrift Functional Ecology veröffentlichte Arbeit. Die mikrobielle Vielfalt unter den Rissen ist zwar geringer als im Boden neben Rissen, da wenige auf Kadaver spezialisierte Arten dominieren und andere Mikroben verdrängen.
Unter Kadavern fanden sich jedoch hohe Konzentrationen von sonst seltenen Nährstoffen. Diese fördern den Wuchs von Pflanzen, die deutlich nährstoffreicher sind als diejenigen neben Rissen. Solche Pflanzen sind wiederum attraktiv für Pflanzenfresser, die von der hochwertigen Nahrung angezogen werden. „So entsteht in der Landschaft ein Mosaik von Hotspots mit überdurchschnittlich gutem Nahrungsangebot“, sagt Risch.
Veränderungen der Mikrobengemeinschaften über die Zeit ließen sich nicht messen, denn aus Sicherheitsgründen konnten die Forscher nur Kadaver besuchen, die älter als 40 Tage waren. Davor wäre das Risiko zu groß gewesen, an den Kadavern auf Grizzlybären zu stoßen.
Dies ist laut Risch die erste grossangelegte Studie in freier Wildbahn zur Frage, wie Mikrobengemeinschaften unter Kadavern zusammengesetzt sind. „Die toten Tiere sind so etwas wie Inseln in der Landschaft, auf denen sich Nährstoffe konzentrieren und sich die Artenvielfalt im Boden verändert“, sagt Risch. Insgesamt 19 Wolfsrisse hat das Team im Nationalpark untersucht.
Der Yellowstone Nationalpark bietet eine einmalige Gelegenheit für die Untersuchung von Kadavern in einer natürlichen Umgebung: Die fünf Wolfsrudel in der Northern Range mit etwa 33 Individuen sind mit Satellitensendern ausgerüstet und die Lage ihrer Risse ist somit bekannt. Wapitis und Bisons sind zudem so groß, dass für die Wissenschaftler genügend Knochen, Mageninhalt und Haare liegen bleiben, um die Überreste auch noch 40 Tage nach dem Riss zu finden.
Dieser Text basiert auf einer Pressemitteilung der Eidgenössischen Forschungsanstalt für Wald, Schnee und Landschaft WSL.
Zur Studie kommt ihr hier.
Bildquelle: C. Z. Shi, unsplash