Teil 4 | Birkenzucker und Stevia findet man immer öfter im Supermarktregal. Eignen sie sich als Zuckeralternative? Was wir über Zuckeraustausch- und Süßstoffe tatsächlich wissen.
Wie ordnen Ernährungsexperten Zuckeraustauschstoffe wie Xylit und Süßstoffe wie Aspartam oder Stevia ein? Dazu haben wir mit zwei Experten gesprochen. Dr. Stefan Kabisch ist Studienarzt an der Klinik für Endokrinologie, Stoffwechsel- und Ernährungsmedizin der Charité Berlin. Dr. Astrid Tombek ist Diabetesberaterin und Ökotrophologin von der Deutschen Diabetes Gesellschaft (DDG).
„Chemisch betrachtet handelt es sich dabei um Zuckeralkohole mit zumeist schwächerer Süßkraft als Zucker. Die meisten hiervon werden gar nicht direkt im Darm aufgenommen“, erklärt Dr. Kabisch im Gespräch mit DocCheck. In diese Kategorie fallen Mannit, Isomalt, Maltit, Lactit, Xylit. „Erythrit wird fast vollständig resorbiert und unverändert über den Urin ausgeschieden; vom Darm aufgenommenes Sorbit (variabler Anteil der konsumierten Menge) wird verstoffwechselt. Die anderen Vertreter verbleiben hauptsächlich im Darm und werden dort teilweise von Darmbakterien metabolisiert. Nur die entstehenden Abbauprodukte (kurzkettige Fettsäuren) sind resorbierbar und gehen als Energieträger dem Fettstoffwechsel zu“, fasst der Studienarzt zusammen.
„Noch weiß die Wissenschaft nicht, was Zuckeraustauschstoffe in der Niere machen“, so Tombek. „Am Anfang dachte man, die Niere fungiert für sie nur als Filter und Ausscheidungsorgan.“ Mit neuen Studien ändert sich der Blick auf dieses komplexe Stoffwechselorgan. „Vieles ist ungeklärt. Ob etwa Erythrit womöglich Einfluss auf die Elektrolytausscheidung hat, zum Beispiel. Fest steht allein für Erythrit nur: Kein Blutzuckeranstieg, keine Kalorien.“ Die anderen Zuckeraustauschstoffe liefern etwas Energie.
Der zur Zeit beliebteste Kandidat aus dieser Kategorie ist wohl Xylit, auch bekannt als Birkenzucker. Dabei handelt es sich um ein Stereoisomer des Zuckeralkohols Pentanpentol, das in vielen Früchten und Gemüsesorten natürlich vorkommt. Das im Handel erhältliche Xylit stammt in der Regel aber weder aus der Birke noch aus Früchten, sondern unterliegt einem synthetischen Herstellungsprozess. Meistens entsteht Xylit aus der Reduktion von Xylose aus Maiskolbenresten. Der Geschmack wird als identisch süß wie Rübenzucker empfunden, dafür liefert Xylit 40 % weniger Kalorien. Es wird kaum über den Darm aufgenommen, anteilig von Darmbakterien verstoffwechselt und dann resorbiert, und ansonsten fäkal unverändert ausgeschieden.
Derzeit ist die Studienlage noch uneinheitlich, es häufen sich jedoch Hinweise darauf, dass Xylit positive Auswirkungen auf das Mikrobiom haben könnte. „Je höher die Biodiversität, desto besser ist das für uns Menschen“, so die Expertin. „Menschen mit Diabetes haben eine schlechtere Biodiversität als gesunde. Die Frage, die sich Forscher hier stellen, ist: Kann ich mein Mikrobiom systematisch füttern, um die Biodiversität zu steigern? Und da gibt es Vermutungen, dass der Birkenzucker einen positiven Effekt haben könnte. Aussagekräftig sind diese Thesen aber noch lange nicht.“
Ähnliche Beobachtungen machten Forscher auch in Hinsicht auf die Zahngesundheit. Xylit scheint hier anders als Zucker keine Rolle bei der Entwicklung von Karies zu spielen. Im Gegenteil: Birkenzucker soll dazu in der Lage sein, die Bakterien- und Säurebildung in der Plaque und im Speichel zu reduzieren, wie mehrere kleine Publikationen nahelegen.
Sie haben ein süß schmeckendes Aroma, doch davon abgesehen sind Süßstoffe aromatische Stoffe, die mit dem Zucker wenig zu tun haben. Die Süßkraft kann bei diesen Substanzen um das Vieltausendfache höher sein als die von Saccharose. Da die meisten Süßstoffe von körpereigenen Enzymen nicht gespalten werden können, haben die Süßstoffe meist keinen oder nur einen sehr geringen Kaloriengehalt.
In die Kategorie Süßstoff fallen:
Am bekanntesten dürfte hier Aspartam sein. Dieser Süßstoff wird weltweit am häufigsten verwendet. Aspartam setzt sich aus den Aminosäuren Asparaginsäure und Phenylalanin zusammen, die als Dipeptid mit Methanol verestert sind. Als erlaubte Tagesdosis gibt die EU 40 mg pro kg KG an. „Die Süßkraft von Süßstoffen ist dosisabhängig. Um eine starke Zuckerlösung zu ‚kopieren‘ braucht man überproportional mehr Süßstoff als zur Imitation einer schwachen Zuckerlösung. Ab einer bestimmten Süße kann der Süßreiz nur noch mit mehr Zucker gesteigert werden, nicht mit mehr Süßstoff”, erklärt Dr. Kabisch.
Schon lange wird vermutet, dass der Verzehr von Süßstoffen sich negativ auf die körperliche Gesundheit auswirkt. Doch die Studienlage ist auch hier nicht zufriedenstellend. Teilweise kommen Süßstoffe nicht gut weg, im großen Stil bewiesen wurde aber noch nichts, wie unter anderem aus einem Review des BMJ hervorgeht. „Ob und wenn ja, wie böse Süßstoff tatsächlich ist, wissen wir aber nicht“, sagt die Ökotrophologin.
Der Trendsetter und zugleich Exot unter den Süßstoffen ist Stevia. Dabei handelt es sich um das isolierte Aroma aus der Steviapflanze. Stevia gibt es sowohl pulverisiert als auch als Extrakt zu kaufen. Das Aroma entspricht nicht dem klassischen Süßgeschmack, sondern ist eher lakritzartig und bitter beim Schlucken. Auch viele andere Süßstoffe haben einen bitteren Nebengeschmack. Von ihren Patienten erhielt Tombek schon mehrmals das Feedback, dass diese Süße als unbefriedigend empfunden wurde. Häufig kommt Stevia aber als eine von mehreren Komponenten zum Einsatz. „Hersteller setzen etwa bei Limonaden in der Regel auf ein Gemisch unterschiedlicher Süßstoffe, um über die Kombi dem Zuckergeschmack möglichst nahe zu kommen“, erklärt die Ökotrophologin.
Wenn man sich die einzelnen Kandidaten ansieht, scheint Xylit das geringste Übel aller Zuckervarianten zu sein. Sollen Hausarzt oder Diabetologe also zu ihm raten, wenn Patienten nach dem „besten Zucker“ fragen? „Etwas zu empfehlen, finde ich schwierig“, so Tombek. „Wenn jetzt ein Patient sagt, er möchte langfristig auf Haushaltszucker verzichten, aber noch nicht ganz auf Süßgeschmack verzichten, dann kann man sagen: Versuch's mal mit Xylit als Austauschstoff. Als Übergang ist es vielleicht einen Versuch wert. Aber die beste Empfehlung ist, einfach weniger Süßes zu sich zu nehmen.”
Außerdem gibt es noch einen Faktor, der klassischen Kristallzucker einzigartig macht: seine Konsistenz. „Xylit zum Beispiel hat andere Backeigenschaften als Haushaltszucker. Der Schmelz in der Schokolade oder das Luftige im Kuchen gelingt damit nicht so gut. Das stellt auch die Lebensmittelindustrie vor Herausforderungen“, fasst Tombek zusammen. Andere Süßungsmittel sind überhaupt nicht hitzestabil. Aspartam ist zum Backen zum Beispiel völlig ungeeignet. Stevia neigt dazu, einen zu prägnanten Eigengeschmack zu entwickeln und kommt deshalb auch häufig nicht in Frage. Das macht es zwar nicht unmöglich, aber manchmal ganz schön schwer, bestimmte süße Speisen mit Zuckeralternativen zuzubereiten.
Das war der vierte Teil der Zuckerserie. Im fünften und letzten Teil geht es um die Frage, warum wir verlernt haben, die Süße richtig einzuschätzen und was man dagegen tun kann.
Bildquelle: Mae Mu, Unsplash