Die Frau sagt, sie bekomme keine Luft. Die Sauerstoffmaske, die ich ihr gebe, schiebt sie weg. In diesem Beitrag geht es darum, was die Patientin uns lehrt. Denn eine Sauerstoffmaske mit Reservoir reicht nicht immer aus.
In der innenklinischen und mobilen Notfallmedizin ist die Sauerstoffinsuflation eine der Basismaßnahmen zur Stabilisierung von kritischen Notfallpatient*innen. Wie so oft gibt es selbst bei dieser simplen Maßnahme Kontroversen. In dem folgenden Meinungsartikel soll aufgezeigt werden, warum unsere Patient*innen manchmal unsere besten Lehrer*innen sind.
Es ist Freitagnacht, drei Uhr und ihr steht vor einer Patientin, die deutlich über Dyspnoe klagt. Ihr seht die erschwerte Atemarbeit, deutliche Zyanose und euer Monitor zeigt euch eine Sauerstoffsättigung von 73 % an. Ihr legt der Patientin eine Sauerstoffmaske mit Reservoir an und dreht den Sauerstofffluss auf 15 Liter/min, doch eure Patientin zieht andauernd die Maske zur Seite. Ihr seid sichtlich frustriert und versucht sie von euren Maßnahmen zu überzeugen: „Durch die Maske bekommen Sie Sauerstoff, das wird Ihnen helfen, aber dafür müssen Sie die Maske auflassen!“
Das ist doch so, oder?
Um diese Frage zu beantworten, müssen wir zu den Basics zurück.
Das AMV beschreibt das Volumen an Atemluft, das pro Minute inspiriert und exspiriert wird:
Atemminutenvolumen (AMV) = Atemzugvolumen × Atemfrequenz
Ein Mensch im Normalzustand wird ein AMV von 6–7 Litern pro Minute haben. Ein Mensch, der respiratorisch dekompensiert, wird schneller und tiefer atmen, und damit kann sich das AMV schnell verdoppeln oder gar verdreifachen.
In der Realität kommt der FiO2 einer Sauerstoffmaske mit Reservoir bei 15 L O2/min nicht an die 100 % FiO2 ran, die oft in Lehrbüchern propagiert wird. Durch das Ansammeln und Wieder-Einatmen von nicht herausgewaschenem CO2 in der Maske, dem Naso- und Hypopharynx, liegt der FiO2 eher bei 60 %. Mit dem Hintergrundwissen, dass sich nicht herausgewaschenes CO2 in der Maske ansammeln kann, sollte eine Sauerstoffmaske mit Reservoir niemals auf einem Fluss unterhalb des AMV laufen.
Kommen wir zurück zu unserem Anfangsbeispiel: Unsere Patientin hat eine Atemfrequenz von 30/min bei einem Atemzugvolumen von 600 ml und einem Inspiration:Exspirations-Verhältnis von 1:1. Somit würden wir zu einem AMV von 18 L/min (AMV= 0.6L x 30) kommen. Jedoch muss zusätzlich berücksichtigt werden, dass bei einem Inspiration:Exspirations-Verhältnis von 1:1 jeweils 30 Sekunden pro Minute für die Inspiration und auch nochmals 30 Sekunden für die Exspiration benötigt werden. Somit würden wir zu einem theoretischem Sauerstoffflowbedarf von 36L/min kommen. Diese benötigte Sauerstoffversorgung können wir mit einer Sauerstoffmaske mit Reservoir alleine nicht bedienen. Und damit hat unsere Patientin Recht, wenn sie sagt, dass sie nicht ausreichend Luft bekommt.
OOPS – Oxygen On, Pull the mandible forward, and Sit the patient up
Als initiales Manöver für den akut dyspnoischen Patienten empfiehlt Richard „master of the airway“ Levitan:
Zusätzlich kann der FiO2 einer Sauerstoffmaske mit Reservoir durch einen einfachen Trick erhöht werden. Eine Sauerstoffmaske mit Reservoir sowie eine Sauerstoffbrille werden gleichzeitig kombiniert. Dabei ist auf einen dichten Sitz der Sauerstoffmaske mit Reservoir zu achten. Während die Sauerstoffmaske mit Reservoir auf dem höchstmöglichen Flow laufen sollte, kann die Sauerstoffbrille mit 4L/min gestartet und nach und nach hocheskaliert werden. Flüsse von 15L/min sind bei nicht sedierten Patient*innen zwar unkomfortabel, jedoch problemlos für eine kurze Zeit möglich. Wer eine Sauerstoffbrille mit 15L/min zur Präoxygenierung und passiven Oxygenierung während einer RSI/DSI nutzt, darf das ganze unter dem Akronym „NO DESAT“ aka „Nasal Oxygen During Efforts Securing A Tube“ machen. Alternativ wäre auch die Verwendung eines Nasal-High-Flows möglich, diese erlauben einen Flow von bis zu 60L/min, sind jedoch insbesondere im präklinischen Setting kaum bis gar nicht verfügbar.
Hier kommen wir bereits zum nächsten Vorteil einer Sauerstoffbrille. Durch einen normalen Beatmungsbeutel findet keine passive Oxygenierung statt, wenn der Beutel bei einem apnoischen Patienten nicht zusammengedrückt wird. So bietet sich die Kombination einer Sauerstoffbrille mit einem Flow von 15L/min unter der Beatmungsmaske an. Wer jetzt noch ein PEEP-Ventil an den Beatmungsbeutel anschließt, hat bei einer dicht sitzenden Maske – et voilà – ein CPAP-Gerät gebaut. Mehr dazu gibt es in diesem Video bei EMCrit.
Bildquelle: Angel Origgi/Unsplash