Die Studie einer chinesischen Virologin sorgt derzeit für Aufsehen. Darin liefert sie angebliche Beweise dafür, dass SARS-CoV-2 im Labor erzeugt wurde. Wir haben uns das Schriftstück genauer angeschaut.
Die chinesische Virologin Dr. Li-Meng Yan behauptet in einer britischen Fernsehsendung: „Das Virus kommt aus einem Labor in Wuhan, das von der chinesischen Regierung kontrolliert wird. Das Virus stammt ganz sicher nicht aus der Natur.“
Die Virologin Yan ist ehemalige Mitarbeiterin der School of Public Health in Hongkong. Sie sagt, sie sei eine der ersten Wissenschaftler gewesen, die SARS-CoV-2 untersucht hätten. Schon damals sei ihr aufgefallen, dass das Virus aus einem Labor stammen muss.
Die chinesische Regierung soll ihr gedroht haben, den Ursprung zu verheimlichen. Nach eigenen Angaben ist sie deswegen in die USA geflohen und hält sich seitdem an einem unbekannten Ort auf.
In dem Video erklärt Yan weiter, dass wichtige Daten von ihrem Computer gelöscht worden seien, weswegen sie bislang keine Beweise für ihre These vorlegen konnte.
Jetzt aber konnte sie ihre Studie veröffentlichen, die den Laborursprung von SARS-CoV-2 bestätigen soll. Darin liefert sie zusammen mit drei Kollegen tatsächlich allerhand „Beweise“, die sich aufgrund der Fachlichkeit für Laien plausibel anhören könnten. Aber ist es wirklich plausibel?
In der Studie heißt es, das SARS-CoV-2-Genom weise Merkmale auf, die auf eine ausgefeilte Labormodifikation hindeuten. So soll das neue Coronavirus im Labor mithilfe der Fledermaus-Coronaviren ZC45 und ZXC21 innerhalb von sechs Monaten hergestellt worden. Die Nukleotid-Sequenzen hätten die höchste Ähnlichkeit mit denen von SARS-CoV-2.
Das Hauptproblem des Yan-Berichts wird gleich zu Anfang klar. Kristian G. Andersen, Mikrobiologe, fasst es in einem Tweet prägnant zusammen: „Er (der Bericht) ist unwissenschaftlich und falsch. Sie picken sich Daten heraus und ignorieren Daten, die ihre Hypothesen widerlegen.“ Das Team verwende eine Fachsprache, die für Laien unmöglich zu entschlüsseln sei. „Das ist als ‚Wissenschaft‘ verkleideter Quatsch.”
Die Forscher ignorieren tatsächlich alle Berichte über das Coronavirus RaTG13. Inzwischen konnte man zeigen, dass SARS-CoV-2 und RaTG13 am engsten miteinander verwandt sind. Beide gehen auf einen direkten gemeinsamen Vorfahren zurück.
Die meisten Wissenschaftler gehen davon aus, dass hier der Ursprung von SARS-CoV-2 liegt. Im Yan-Bericht heißt es dazu nur, dass es „starke Hinweise“ darauf gebe, dass auch RaTG13 im Labor fabriziert worden sei, weswegen sie einen solchen Vergleich mit diesem Virus ablehnt. Weiter heißt es in der Studie, dass die Öffentlichkeit gezielt mit Falschinformationen vom eigentlichen Ursprung (den Fledermaus-Coronaviren ZC45 und ZXC21) weggelockt worden sei. Urheber dieser Falschinformation sei die chinesische Regierung.
Solche Unterstellungen haben mit Wissenschaft nichts zu tun und eigentlich könnte man das Lesen der Studie jetzt getrost bleiben lassen.
Tun wir es trotzdem: Es folgen detaillierte molekulargenetische Ausführungen, die beweisen sollen, dass SARS-CoV-2 aus dem Labor stammt. So gebe es auf der Protein-Ebene viele Übereinstimmungen zwischen SARS-CoV-2 und ZC45/ZXC21. Ein Beispiel ist das Protein ORF8, das nicht in allen Coronaviren konserviert ist. In SARS-CoV-2 und ZC45/ZXC21 ist es aber vorhanden und die Nukleotidabfolge fast identisch. Das Argument hinkt, weil auch RaTG13 mit SARS-CoV-2 eine Übereinstimmung bei diesem speziellen Protein aufweist.
Als besonders starken Hinweis nennen die Autoren das Auffinden sogenannter „Restriction sites“ im SARS-CoV-2-Genom, speziell in der Rezeptorbindedomäne (RBD) des Spike-Proteins. An diesen spezifischen Stellen könne man sehen, dass RBD gezielt ins Genom eingebracht worden sei und nicht natürlich entstanden sein könne. Um das Argument zu verstehen, muss man einen kleinen Auflug in die Molekularbiologie machen.
Restriktionsstellen sind eine DNA-Sequenz von meistens drei bis acht Basenpaaren, an der ein bestimmtes Restriktionsenzym bindet und die DNA an diesem Ort schneidet. Im Labor nutzt man solche molekularen Scheren schon lange, etwa um Gene zu vervielfältigen.
Das bekannteste Restriktionsenzym ist EcoRI, das in vielen Laboren weltweit Verwendung findet. Dieses Enzym schneidet die DNA an der spezifischen Erkennungssequenz GAATTC. Im Yan-Bericht heißt es, dass genau diese Sequenz an den Enden der Rezeptorbindedomäne im Genom von SARS-CoV-2 auftaucht. Es scheint also so, als hätte man die RBD gezielt in das Genom hineingeschnitten.
Allerdings sind diese Sequenzen keinesfalls einzigartig. Auch in anderen verwandten Viren findet man diese Erkennunsgsequenz (z.B. auch RaTG13). Es gibt zudem Hunderte verschiedene Restriktionsstellen, die auch zufällig durch Mutationen entstehen können.
Zur Veranschaulichung hier eine Liste der Restriktionsenzyme mitsamt spezifischer Schnittstellen, die man für Laborzwecke käuflich erwerben kann. Macht man sich im Genom von SARS-CoV-2 auf die Suche nach diesen spezifischen Schnittstellen, würde man sicher noch mehr finden.
Yan und die anderen Autoren schließen ihren Bericht mit einer Grafik ab, die das Rezept für die Herstellung von SARS-CoV-2 zeigen soll. Der Molekularbiologe Kristian G. Andersen erklärt, dass das viel zu umständlich sei. So würde man das Virus nicht herstellen. Andere Arbeitsgruppen hätten bereits gezeigt, wie es leichter geht – natürlich nur für Forschungszwecke.
Die Studie wird vielfach kritisiert. Dr. Gkikas Magiorkinis, Assistenzprofessor für Hygiene und Epidemiologie der Universität in Athen erklärt: „Das Paper liefert keine stichhaltigen Beweise für künstliche Manipulation, keine alternativen Hypothesen und ist höchst spekulativ“.
Auch Dr. Nazifa Qurishi, Infektiologin aus Köln, ist von der Studie nicht überzeugt. „Die Studie wird im Peer-Review keine Chance haben“, sagt sie. Die Aussagen darin seien alle höchst fragwürdig.
Ebenfalls fragwürdig sind die Umstände, unter denen die Studie entstanden ist. Yan und ihre Kollegen sehen sich als Vertreter der Organisation „Rule of Law Society“. Diese Organisation mit Sitz in New York wurde von dem chinesischen Milliardär Guo Wengui gegründet. Dieser kritisiert offen die chinesische Regierung und floh 2014 ins US-amerikanische Exil.
In Kontakt steht Wengui wiederum mit Donald Trumps Ex-Berater Steve Bannon, der schon öfter wegen Verschwörungstheorien aufgefallen ist. Jetzt wird vermutet, dass die mediale Aufmerksamkeit, die Yans Studie nun erfährt, ganz gezielt von Bannon geplant und „sorgfältig orchestriert" wurde. Das vermeintliche Ziel von Bannon und der Organisation: der chinesischen Regierung zu schaden. Ob das wirklich stimmt, lässt sich hier und heute nicht klären. Fest steht aber, dass Yans Studie den wissenschaftlichen Ansprüchen nicht gerecht wird.
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