Bei fast 20 Prozent aller Ärzte in Deutschland naht der Ruhestand. Die große Lücke könnten Ärzte aus dem Ausland füllen. Klingt gut? Ja, aber es ist kompliziert.
Die deutsche Ärztestatistik zeigt, wie dringend wir Mediziner brauchen: Von allen berufstätigen Kollegen haben acht Prozent bereits das 65. Lebensjahr vollendet. Weitere zwölf Prozent sind zwischen 60 und 65 Jahre alt.
Das bedeutet: Etwa 20 Prozent aller Ärzte treten in nächster Zeit ihren Ruhestand an. Mit beruflichem Nachwuchs allein ist es nicht getan. Wie sieht es aus, wenn Ärzte aus Drittstaaten kommen? Wir haben zu dem Thema einen Aufruf auf DocCheck gestartet und erstaunlich viele Mails bekommen. Ärzte haben von eigenen Erfahrungen berichtet oder von Kollegen erzählt.
„Habe die leidvolle Erfahrung meiner Kollegin miterlebt“, berichtet ein User. „Engagierten Ärzten mit Berufserfahrung werden hier in Berlin teilweise große Steine in den Weg gelegt. (…) Man kann jeden so prüfen, dass er durchfällt.“
Davon unbenommen sei natürlich die Tatsache, dass diese Ärzte sich dann auch integrieren müssten, aber man sollte ihnen erst einmal eine Chance geben. Seine Idee: „Vielleicht wäre ja eine Approbation auf Zeit ein guter Zwischenweg, so dass sich die Kollegen in unserem System erst einmal zurechtfinden können. Und eine endgültige Entscheidung wird dann getroffen, wenn ein gewisser Integrationsprozess bewältigt wurde.“
Zum Hintergrund: Alle ausländischen Ärzte, die in Deutschland medizinisch arbeiten wollen, sind verpflichtet, ihren Abschlusstitel von der zuständigen Landesbehörde anerkennen zu lassen. Deren Aufgabe ist, zu prüfen, ob Ausbildungen in Drittstaaten gleichwertig zum deutschen Standard sind.
Fallen ihnen wesentliche Unterschiede auf und fehlt Bewerbern die erforderliche Berufserfahrung zum Ausgleich, können sie Kenntnisprüfungen ansetzen. Dabei geht es um Innere Medizin, Chirurgie, aber auch um Notfallmedizin, klinische Pharmakologie, Strahlenschutz und Rechtsfragen.
Die Bundesärztekammer schreibt: „Zusätzlich kann die zuständige Behörde im Vorfeld der Prüfung ein Fach oder einen Querschnittsbereich als prüfungsrelevant festlegen, in dem sie wesentliche Unterschiede zwischen der ärztlichen Ausbildung in Deutschland und der Ausbildung des Antragstellers festgestellt hat.“
Hinzu kommt die Überprüfung der Sprache: In einem Übersichtsbeitrag verweist die Bundesärztekammer auf Sprachkenntnisse – mindestens das allgemeinsprachliche Prüfungszertifikat Level B2 sollten Kollegen vorweisen. Zunehmend würden von Landesärztekammern aber auch Fachsprache-Prüfungen abgenommen, meist mit dem Niveau C1 im medizinischen Bereich.
Dieses Thema sorgte in der DocCheck Community für Kontroversen:
„Hier im Ruhrpott sind viele ausländische Ärzte. Dabei habe ich neben einigen sehr kompetenten Ärzten aber auch oft gesehen, dass gerade an dialektsprechenden älteren Patienten komplett vorbeigeredet wurde und wichtige Fragen nicht geklärt werden konnten, wegen der starken Sprachbarriere“, schreibt eine Studentin. „Da ist oft nicht wirklich zu erkennen, welches Fachwissen hinter der erschwerten Kommunikation versteckt ist.“
Das hat Folgen: „Anamnesen dauern länger oder sind weniger vollständig. Dadurch werden gegebenenfalls unnötige Untersuchungen veranlasst oder nötige übersehen“, so die Studentin weiter. Aufklärungen seien teilweise fragwürdig. „Der Patient hat offensichtlich nicht verstanden, worum es geht, unterschreibt in voller Verwirrung, weil er nicht ein fünftes Mal nachfragen will.“
Zum Thema Sprachekenntnis berichtet auch ein anderes Mitglied aus der DocCheck Community: Seine Bekannte kam als Kinderkardiologin aus Kasachstan. Erst beim fünften Mal hat sie die Fachsprachenprüfung bestanden; er selbst schätzt die Kardiologin als „sprachlich und fachlich sehr qualifiziert“ ein. Umso ärgerlicher: „Die Landesärztekammer Brandenburg nimmt für sich in Anspruch, besonders ausgewogene und hohe Standards für die Prüfungen vorzuhalten.“
Doch sie werde aus mehreren Gründen eigenen Ansprüchen nicht gerecht: „Für eine Zulassung als Prüfer scheint es eine ausreichende Qualifikation zu sein, praktizierender Arzt in Deutschland und deutscher Muttersprachler zu sein“, so sein Kritikpunkt. „Eine vergleichbare Qualifikation, die zum Beispiel das BAMF zum Erwerb einer Prüferlizenz für Deutsch als Fremdsprache auf C1-Niveau fordert, können die Prüfärzte auf keinen Fall vorweisen.“ Darüber hinaus fänden Prüfungen meist ohne einen neutralen Beisitzer statt.
Zulassungsbehörden stören sich noch an einer ganz anderen Sache, wie ein User schreibt: „Meine Kommilitonen und ich hatten große Probleme, aus einem EU-Land zurück nach Deutschland zu kommen.“ Das Medizinstudium sei zwar in der EU normiert, was die Lehrpläne angehe, unterscheidet sich aber im AIP-Jahr nach dem Abschluss, was es in fast allen Ländern, außer Deutschland, noch oder wieder gebe.
„In Schweden müssen alle zwei Jahre AIP machen, egal ob Einheimische oder Ausländer. Fände ich eine fairere Lösung auch bei uns“, so das Fazit.
Man erinnere sich: Wer in Deutschland als Arzt approbiert werden wollte, musste nach dem dritten Abschnitt des Staatsexamens mindestens 18 Monate als AIP arbeiten. Die Regelung galt bis 30. September 2004.
Keine Jobzusage, keine Approbation – keine Approbation, keine Jobzusage: Wer bei der Zulassung jetzt nur an Prüfungen oder an Unterlagen denkt, irrt sich, zumindest in manchen Kammerbezirken, gewaltig.
Ein Arzt schrieb uns hierzu: „Die Situation in Hessen: Wer ein Medizinstudium in einem EU-Land und die geforderte Sprachprüfung mit Erfolg absolviert hat, bekommt vom zuständigen HLNUG in Frankfurt ohne eine schriftliche Einstellungszusage eines hessischen Arbeitgebers keine Approbation – denn ohne diese sei das HLNUG gar nicht zuständig.“
Zur Erklärung: Hier handelt es sich um das Hessische Landesamt für Naturschutz, Umwelt und Geologie (HLNUG). Der Arzt erklärt weiter: Nur würde kein Arbeitgeber eine verbindliche Zusage ohne vorgelegte Approbationsurkunde machen – diese ist ja Voraussetzung für eine erfolgreiche Bewerbung. „In der Zwischenzeit machen Oberärzte Bereitschaftsdienst, weil nicht genügend Assistenten da sind“, beschreibt der Arzt die Situation.
Bei all den unterschiedlichen Mails und Kommentaren, die uns erreichten, gibt es in einem Punkt dennoch Konsens. Alle halten Prüfungen für sinnvoll, aber vielerorts wirkt es so, als seien die bürokratischen Hürden nicht durchdacht.Bildquelle: United Nations COVID-19 Response, unsplash