Eine Stärkung der Apotheke vor Ort ist für mich längst überfällig. Das ist offenbar endlich auch bei Spahn und Kollegen angekommen. Die erste Lesung eines hierzu geplanten Gesetzes lässt aber viele Fragen unbeantwortet.
Am 11. September kam es endlich zur ersten Lesung des Gesetzes zur Stärkung der Vor-Ort-Apotheken (VOASG) im Bundestag. Lange hatte es im Vorfeld auf sich warten lassen, denn Bundesgesundheitsminister Jens Spahn wollte das dort verankerte Rx-Boni-Verbot zunächst auf seine europarechtliche Tauglichkeit prüfen lassen. Dazu benötigte er neun Gespräche in Brüssel – und wir sind immer noch nicht viel schlauer als zuvor.
Viel Zuspruch, aber auch einige Verbesserungsvorschläge gab es also für das geplante VOASG. Ein genau bestimmter Paragraph findet interessanterweise bisher noch keine Erwähnung, obwohl er für die Apotheken vor Ort von größter Bedeutung sein könnte.
Spahn betonte, die Apotheken hätten besonders in den Anfängen der Corona-Pandemie unter anderem mit der Herstellung von Desinfektionsmitteln Großes geleistet. Sie seien als niedrigschwelliger Anlaufpunkt für die Beratung in Gesundheitsfragen unverzichtbar. Er bedankte sich für die „Wahnsinnsarbeit“ der vergangenen Wochen bei den Apothekern, den PTA und den anderen Mitarbeitern der Vor-Ort-Apotheken. Folgende drei Punkte erwähnte er als die wichtigsten Vorhaben im VOASG:
Den meisten Zuspruch bekam Spahn natürlich aus den Reihen der Großen Koalition. Das VOASG wird offenbar von diesen Politikern als milde Variante eines Rx-Versandverbotes gesehen, um wieder die vielbeschworenen „gleichlangen Spieße“ zwischen den Vor-Ort-Apotheken und dem Arzneimittel-Versandhandel aus dem Ausland zu garantieren. Während die CDU/CSU-Abgeordneten Michael Hennrich und Emmi Zeulner sich zum wiederholten Mal als Anhänger der Rx-Versandverbotes als Königsweg outeten, fand sich dafür bei den SPD-Abgeordneten Sabine Dittmar und Edgar Franke wenig Sympathie. Das Rx-Boniverbot sei die bessere Variante und nicht so sehr „von gestern“ wie ein generelles Versandverbot.
Hennrich betonte des Weiteren, dass die Privatpatienten beim Rx-Boni-Verbot – im Hinblick auf das kommende E-Rezept – ebenso mit ins Boot geholt werden müssten, wie die gesetzlich versicherten Patienten. Die Zusammenarbeit der Teleclinic und Zur Rose ist ihm ebenfalls ein Dorn im Auge und ein Zustand, den er so schnell wie möglich beendet sehen möchte.
Die Vergütung weiterer pharmazeutischer Dienstleistungen findet eine breite Zustimmung innerhalb aller Fraktionen.
Trotz der grundsätzlichen Zustimmung zur Ablehnung des Rx-Versandverbotes kam Kritik für das geplante Rx-Boni-Verbot, auch vom Koalitionspartner. Sabine Dittmar, gesundheitspolitische Sprecherin der SPD, machte deutlich, dass sie vor einer Zustimmung auf das Votum der EU-Kommission warten wolle. Die FDP-Bundestagsfraktion war da sogar noch deutlicher, denn sie bezeichnete diesen Punkt im VOASG als europarechtswidrig und als „Taschenspielertrick“.
Grundsätzlich sieht die Gesundheitsexpertin der Liberalen, Christine Aschenberg-Dugnus, auch keine Gefahr, die der Vor-Ort-Apotheke durch den Versandhandel mit Medikamenten aus dem Ausland droht. Die Fraktion der Grünen ist mit der „juristischen Finte“ ebenfalls nicht einverstanden und bezweifelt den Segen dazu aus Brüssel.
Diese außerhalb der Großen Koalition doch recht große Ablehnung wurde sicherlich auch noch zusätzlich durch das IGES-Gutachten befeuert, das in der letzten Woche veröffentlicht wurde. Dort heißt es zum Thema Versandhandel wörtlich:
„Eine Senkung ihrer Rabatte auf null verringert dort die Nachfrage im Rx-Bereich und impliziert den Anreiz, Preise im OTC-Bereich zu reduzieren, um den Nachfragerückgang im Rahmen von Bündelkäufen zu begrenzen […]. Da für die Präsenzapotheken der Wettbewerbsdruck durch Rabatte des Versandhandels entfällt, erhöhen sie gemäß dem Modell die Preise für OTC-Arzneimittel um rund ein Viertel. Der Versandhandel passt seine Preise ebenfalls nach oben an. Sowohl Präsenzapotheken als auch der Versandhandel können ihre Gewinne steigern, wobei der Gewinnanstieg für den Versandhandel durch den Wegfall der bislang gewährten Rabatte im Vergleich zur Ausgangssituation höher ausfällt.“
Das Ergebnis eines Rx-Boni-Verbots wären also höhere OTC-Preise für die Verbraucher, bei zusätzlicher Stärkung der Versandapotheken, was den Vor-Ort-Apotheken nichts nützt.
Indes ist das Thema Rx-Versandverbot noch nicht ganz so tot, wie sich das so mancher wünschen würde. Die Abgeordnete der Linksfraktion, Petra Sitte, verwies auf die Petition von Benedikt Bühler, die mit über 400.000 Unterzeichnern als vermutlich größte Petition des Bundestages ein Rx-Versandverbot forderte. Sitte wies darauf hin, dass diese nicht übergangen werden dürfe.
Auch der AFD-Abgeordnete Paul Viktor Podolay sprach sich für ein Rx-Versandverbot aus, das seine Fraktion als alternativlos sieht. Der Botendienst solle außerdem nicht nur mit 2,50 Euro, sondern weiterhin wie während der Corona-Pandemie mit 5 Euro plus Umsatzsteuer vergütet werden, fordert er.
Besonders problematisch ist die geplante Änderung von Paragraph 17 der Apothekenbetriebsordnung im VOASG, was aber am vergangenen Freitag nicht weiter diskutiert wurde. Trotz gerichtlich eindeutiger Ablehnung automatisierter Medikamentenausgabestellen (siehe den Fall Hüffenhardt) findet sich dort im neugeschaffenen Paragrafen 17b die Möglichkeit, dass unter bestimmten Bedingungen automatisierte Ausgabestationen von Versandapotheken nun doch grundsätzlich zulässig sind.
Der Automat muss für Versandapotheken nicht mit den Betriebsräumen einer Apotheke verknüpft sein und kann bestückt werden, nachdem die Bestellung erfolgt ist, eine (telepharmazeutische) Beratung stattgefunden hat und, bei Rx-Arzneimitteln, die Verschreibung im Original geprüft, geändert und abgezeichnet worden ist.
Der Gesundheitsausschuss des Bundesrats hatte gegen diese Formulierung bereits im letzten Jahr seine Bedenken angemeldet. In seiner Empfehlung zum Gesetz zur Stärkung der Apotheke vor Ort hieß es daher wörtlich:
„Die in § 17 Absatz 1b Satz 2 ApBetrO geplante abweichende Regelung eröffnet den Einsatz automatisierter Abgabeautomaten im Zusammenhang mit einer Versandhandelserlaubnis, wodurch insbesondere europäische (Versand-) Apotheken begünstigt werden. Dadurch wird die Intention des Gesetzentwurfs, Vor-Ort-Apotheken zu stärken, konterkariert. Deshalb ist § 17 Absatz 1b Satz 2 ApBetrO zu streichen.“
Mit einer Stärkung der Vor-Ort-Apotheke hat dieser Paragraphenzusatz tatsächlich gar nichts zu tun – im Gegenteil. Hier müsste eigentlich ein Aufschrei durch die Apothekerschaft gehen, denn DocMorris/Zur Rose wartet doch im Grunde auf genau so eine Steilvorlage, um den Fuß auf diese Weise wieder als Präsenzstandort in die Tür zu bekommen.
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