Eine aktuelle Studie zeigt, warum Krebs bei übergewichtigen Patienten so aggressiv ist: Botenstoffe aus dem Fettgewebe fördern die Metastasierung von Tumoren. Die Forscher fanden auch einen Weg, diesen Prozess zu stoppen.
Menschen mit Übergewicht leiden häufig an Herz-Kreislauf-Erkrankungen und Diabetes. Übergewicht kann aber auch das Risiko erhöhen, an bestimmten Krebsarten zu erkranken und zu sterben, wie epidemiologische Studien in den vergangenen Jahren gezeigt haben. Für übergewichtige Menschen ist das relative Risiko, an Nierenzellkarzinomen, Leberkrebs sowie Adenokarzinomen der Speiseröhre und der Gebärmutterschleimhaut zu erkranken, um das Vier- bis Sechsfache höher als bei normalgewichtigen Menschen. Auch bei Brustkrebs oder Darmtumoren steigt das relative Erkrankungsrisiko für dicke Menschen um rund das Zweifache. Bislang ist nur wenig bekannt darüber, in welcher Weise überschüssiges Körperfett das Auftreten von Tumoren begünstigt und deren Wachstum beschleunigt. Ein Forscherteam des Helmholtz Zentrums München konnte nun zeigen, dass Botenstoffe, die bei Übergewicht in größeren Mengen im Blut auftreten, den Stoffwechsel von Brustkrebszellen beeinflussen. Diese werden dadurch aggressiver und bilden leichter Metastasen, wie die Wissenschaftler um Marcos Rios García, Stephan Herzig und Mauricio Berriel Diaz in einem Artikel im Fachmagazin Cell Metabolism berichten. „Bei der Ausbreitung der Brustkrebszellen spielt das Enzym ACC1 (Acetyl-CoA-Carboxylase) eine entscheidende Rolle“, erklärt Berriel Diaz, stellvertretender Direktor des Instituts für Diabetes und Krebs am Helmholtz Zentrum München. „ACC1 ist eine zentrale Komponente der Fettsäuresynthese, kann allerdings durch die Botenstoffe Leptin und TGF-β an seiner Arbeit gehindert werden.“
Leptin ist ein Hormon, das von Fettzellen produziert wird und das Auftreten von Hungergefühlen hemmt. Es steht schon länger in Verdacht, an der Entstehung von Krebs bei Übergewichtigen beteiligt zu sein, denn je mehr Fettgewebe ein Mensch hat, desto höher sind die Leptin-Spiegel im Blut. Deshalb schauten sich Berriel Diaz und sein Team in Experimenten mit Zellkulturen an, ob die Gabe von Leptin dazu führt, dass Brustkrebszellen schneller wachsen. „Die Teilungsrate war interessanterweise weder bei Krebszellen von Menschen noch bei Krebszellen von Mäusen erhöht“, berichtet Berriel Diaz. „Wir konnten jedoch feststellen, dass sich bei erhöhten Leptin-Spiegeln die Migrationsaktivität verstärkt, also viel mehr einzelne Krebszellen den Zellverband verlassen.“ Verband von Brustkrebszellen. Invasive Zellen erscheinen hellblau. Nicht-invasive Zellen sind rot gefärbt. © Helmholtz Zentrum München Die Forscher wiederholten die Experimente in einem Mausmodell: Dafür verpflanzten sie ins Brustgewebe von gesunden Mäusen entweder unveränderte Krebszellen oder genetisch modifizierte Krebszellen, die auf ihrer Oberfläche keine Leptinrezeptoren mehr trugen. Als die Tumore im Brustgewebe ungefähr erbsengroß waren, untersuchten Berriel Diaz und seine Mitarbeiter die Lungen der Tiere auf Metastasen. Sie fanden deutlich weniger Metastasen, wenn in den transplantierten Brustkrebszellen keine Leptinrezeptoren mehr vorhanden waren. Mehr Metastasen in der Lunge konnten sie nachweisen, wenn die Brustkrebszellen noch funktionsfähige Rezeptoren besaßen. Auch als sie die Rezeptoren pharmakologisch mit einem spezifischen Antikörper blockierten, verringerte sich die Anzahl der Metastasen in den Lungen.
Aus Studien anderer Forscher wussten Berriel Diaz und sein Team, dass Leptin das Enzym ACC1 beeinflusst. Deshalb war es für die Forscher, als sie die Aktivität von ACC1 in den Brustkrebszellen untersuchten, keine große Überraschung, dass die Gabe von Leptin das Enzym hemmt und die Blockade der Leptinrezeptoren mit einem spezifischen Antikörper diese Hemmung wieder aufhebt. In weiteren Experimenten konnten die Forscher feststellen, dass die Leptin-abhängige Inaktivierung von ACC1 über mehrere Zwischenschritte letztendlich zur Aktivierung einer Reihe von Genen führt, deren Wirkung die Krebszellen migrationsfähiger macht. „Dieser Prozess induziert die Ausbreitung von Krebszellen und ihre Ansiedlung in anderen Organen“, erklärt Berriel Diaz. Auch als er und sein Team die Funktion von ACC1 direkt ausschalteten – entweder pharmakologisch oder durch eine genetische Modifikation der Brustkrebszellen, zeigten diese im Tiermodell eine erhöhte Neigung, auf Wanderschaft zu gehen und in anderen Organen aufzutauchen. Zum Schluss bestimmten die Forscher, wie aktiv ACC1 in humanen Zellen ist. Sie verglichen dafür Zellproben aus dem normalen Brustgewebe mit solchen aus dem primären Mammakarzinom und aus den daraus entstammenden Metastasen. Es zeigte sich, dass ACC1 im primären Tumor weniger aktiv als im gesunden Gewebe war und in den Metastasen nochmals weniger aktiv als im primären Tumor. Auch als Berriel Diaz und sein Team die Aktivität von ACC1 in gesundem Lungengewebe, einem Lungentumor und dessen Metastasen maßen, kamen sie zum gleichen Ergebnis.
Nach Ansicht von Berriel Diaz könnte deshalb die Inaktivierung von ACC1 und die daraus resultierende Aktivierung bestimmter Gene nicht nur bei Brustkrebs ein entscheidender Faktor für Metastasierung und aggressivem Verhalten sein sondern auch bei anderen Tumorarten. „Dieser durch die Hemmung von ACC1 ausgelöste Mechanismus spielt wahrscheinlich nicht nur bei übergewichtigen Krebspatienten eine wichtige Rolle, wenn deren Tumore anfangen zu metastasieren“, sagt Berriel Diaz. „Substanzen, die diesen Mechanismus blockieren, senken vermutlich das Risiko für Metastasen auch bei normalgewichtigen und schlanken Patienten. Zum Einsatz könnten sie beispielsweise bei Patientinnen mit triple negativem Brustkrebs und relativ hohem Metastasierungsrisiko kommen, für die es bisher noch keine zielgerichteten Wirkstoffe gibt.“ Im Rahmen einer neo-adjuvanten Therapie, so der Forscher, könne auf diese Weise schon vor der operativen Entfernung des Primärtumors das Risiko von Metastasen reduziert werden. Doch bis solche Substanzen ihren Weg in die Klinik finden, wird wahrscheinlich noch einige Zeit vergehen: Denn Substanzen, die das Wachstum von Tumoren bremsen, ließen sich, findet Berriel Diaz, viel schneller und einfacher testen als Substanzen, die verhindern, dass Metastasen entstehen. „Gerade bei Brustkrebs, kann das noch viele Jahre nach Behandlung des Primärtumors passieren. Entsprechend lang würden klinische Studien dauern, ehe man dann tatsächlich wüsste, ob diese Substanzen den gewünschten Effekt haben oder nicht“, so der Forscher.
Übergewicht gehört zu den Faktoren, die das Risiko erhöhen, an Brustkrebs zu erkranken und zu sterben. Doch nicht jede übergewichtige Patientin betrifft es gleichermaßen: „Die meisten Studien haben gezeigt, dass das Risiko für Brustkrebs bei Übergewicht erhöht ist, doch es gibt große Unterschiede, wenn man das Alter der Patientinnen berücksichtigt und schaut, an welchem Brustkrebs sie erkrankt sind“, sagt Rudolf Kaaks, Leiter der Abteilung Epidemiologie von Krebserkrankungen am Deutschen Krebsforschungszentrum in Heidelberg. „Bei jungen Brustkrebspatientinnen vor der Menopause senkt Übergewicht das Risiko. Bei Eintritt in die Menopause, also wenn die Patientinnen zwischen 40 und 55 Jahre alt sind, nimmt dieses Risiko zu. Übergewichtige Frauen nach der Menopause, die also 60 Jahre und älter sind, haben auf jeden Fall ein höheres Risiko für Brustkrebs als normalgewichtige Frauen.“ Nach der Menopause, so Kaaks, bedeute mehr Körperfett meist auch, dass mehr Östrogen im Blut und im Brustgewebe vorhanden sei. Die Umwandlung von Androgenen in Östrogene findet postmenopausal im Fettgewebe vermehrt statt. Es verwundert den Forscher nicht, dass der positive Zusammenhang zwischen Überwicht und schlechter Prognose insbesondere bei älteren Patientinnen besteht. Deren Brustkrebszellen produzieren besonders viele Östrogenrezeptoren, an die das überschüssige Östrogen andocken und so die Tumorzellen zu vermehrtem Wachstum anregen kann.