Ein kleines Grüppchen stellt Gefälligkeitsatteste aus, um Patienten vor der Maske zu „retten“. Ich habe bei den Kammern nachgefragt, mit welchen Konsequenzen Ärzte rechnen müssen.
In meinem letzten Blogbeitrag ging es um Mediziner, die Patienten ohne Untersuchung mit Attesten gegen die Maskenpflicht versorgen. Teilweise boten Ärzte in den Kommentaren sogar Vordrucke zum Download an. Darüber ärgern sich Kollegen, die ihren Beruf ernst nehmen.
Eine Frage blieb offen und ihr widme ich mich in diesem Beitrag: Was lässt sich gegen Ärzte, die solche Atteste ausstellen, unternehmen?
Ich habe alle Kammern angeschrieben und gefragt, was sie dagegen tun.
Die Antwort ist komplexer als erwartet; wie so oft, wenn es um juristische Fragestellungen geht. Aber zuerst müssen wir einen Blick auf die Berufsordnung werfen.
In der „(Muster-)Berufsordnung für die in Deutschland tätigen Ärztinnen und Ärzte“ heißt es in §25:
„Bei der Ausstellung ärztlicher Gutachten und Zeugnisse haben Ärztinnen und Ärzte mit der notwendigen Sorgfalt zu verfahren und nach bestem Wissen ihre ärztliche Überzeugung auszusprechen […].“
Zu der Sorgfalt gehört laut Einschätzung der Bundesärztekammer, Patienten vor Ausstellung des Attestes zu untersuchen. Wer das unterlässt, muss mit berufsrechtlichen Maßnahmen rechnen.
Details werden auf Ebene der Länder geregelt. Kammern sehen es als ihre Aufgabe, zu überwachen, ob Ärzte ihre Berufspflichten erfüllen. Als Beispiel sei hier das Heilberufe-Kammergesetz Baden-Württembergs genannt. Zuständig sind Berufsgerichte, also Institutionen, die meist Verwaltungsgerichten angegliedert sind. Solche Verfahren können auf unterschiedlichem Wege eingeleitet werden:
Dritte, beispielsweise andere Ärzte, können sich nicht direkt an Berufsgerichte wenden, aber ihre Ärztekammer informieren.
Ich habe bundesweit nachgefragt – und rund zwei Drittel aller Kammern meldeten sich zu Wort, meist mit Hinweis auf §25 der Berufsordnung. Deutlich spannender waren konkrete Fälle.
„In der Tat wurden unseren Bezirksärztekammern Fälle geschildert/angezeigt, bei denen es um die Ausstellung von Blanko- und Gefälligkeitsatteste ging“, so ein Sprecher der Landesärztekammer Baden-Württemberg. „Die eingehende Sondierung und Prüfung der Vorgänge durch die Kammeranwaltschaft erfordert entsprechende Gründlichkeit.“
Zur juristischen Beurteilung ergänzt der Sprecher: „Im Rahmen der Berufsaufsicht kann die Ärztekammer nach Anzeige oder bei Anfangsverdacht durch die Einleitung eines Ermittlungsverfahrens durch den Kammeranwalt Verstöße gegen die Berufsordnung überprüfen und sie, wenn sich der Verdacht einer berufsrechtswidrigen Handlung bestätigt, der Berufsgerichtsbarkeit zuführen.“
Er bewertet das Ausstellen unrichtiger Gesundheitszeugnisse, dazu gehören auch Gefälligkeits- und Blanko-Atteste, aber auch nach §276 Strafgesetz als Kriminaldelikt. Möglich sind Geldstrafen oder Freiheitsstrafen von bis zu zwei Jahren.
Auch im Kammerbezirk Niedersachsen tut sich etwas. „Wir haben Hinweise auf möglicherweise unrechtmäßige Atteste bekommen und gehen diesen derzeit im Rahmen der Berufsaufsicht nach“, berichtet ein Sprecher. „Wie viele davon tatsächlich unberechtigt sind, können wir derzeit nicht absehen.“ Es seien Verfahren in der Ärztekammer und den Bezirksstellen anhängig.
Einzelne Fälle gab es auch bei der Ärztekammer Nordrhein. Beispielsweise hat ein Kollege Bescheinigungen ausschließlich auf der Basis von Videokontakten angeboten. Er wurde auf den Pflichtenverstoß hingewiesen und hat eine Verzichtserklärung abgegeben. „Wir sind der Auffassung, dass ein solches Vorgehen nicht der von Ärztinnen und Ärzten geschuldeten Sorgfalt entspricht“, so ein Sprecher. Ein anderes Mitglied wurde aufgefordert, Werbung für ein Angebot zur Erteilung einer Befreiung auf Wunsch unverzüglich einzustellen und hierüber eine Erklärung abzugeben. Auch dieser Kollege kam entsprechenden Aufforderungen nach.
„Die Ärztekammer Bremen hat keine Kenntnis von Ärztinnen oder Ärzten in ihrem Kammerbereich, die Atteste unter Nicht-Einhaltung der Vorgaben des § 25 BO ausstellen“, erzählt eine Sprecherin. „Ausschließen können wir Verstöße gegen die Berufsordnung aber nicht – wir werden ja nur nach Mitteilung eines Sachverhalts oder Verdachtsmoments tätig.“
Zum theoretischen Ablauf erklärt die Sprecherin: „Erfährt die Ärztekammer davon, dass ein Kammermitglied gegen seine Berufspflichten verstoßen hat, so leitet sie ein Ermittlungsverfahren ein. Hält der Vorstand nach dem Ergebnis der Ermittlungen den Beschuldigten für hinreichend verdächtig, einen Berufsrechtsverstoß begangen zu haben, so kann er bei dem Berufsgericht die Einleitung eines berufsgerichtlichen Verfahrens beantragen.“ In minder schweren Fällen könne der Vorstand eine Rüge inklusive Geldstrafe verhängen.
Aus dem südlichen Freistaat heißt es: „Unseres Wissens nach gibt es aktuell noch keine berufsrechtlichen Verfahren in Bayern wegen der Ausstellung von Attesten zur Befreiung von der Pflicht zum Tragen eines Mund-Nasen-Schutzes. Es gibt aber Fälle, in denen Ärzte von den ÄBV auf die Einhaltung der berufsrechtlichen Vorschriften hingewiesen wurden.“
Ärzte können, wie ein Sprecher der saarländischen Ärztekammer mitteilt, gesetzliche Verordnungen nicht einfach „aushebeln“, sondern lediglich Erkrankungen attestieren, bei denen sich das Tragen einer Mund-Nasen-Bedeckung ungünstig auswirken könnte. Dabei kann es sich beispielsweise um Asthma oder andere schwere Lungen- aber auch Herzerkrankungen handeln.
„Diese Patienten sind in der Regel auch hochgradig infektgefährdet und sollten Menschenansammlungen – im öffentlichen Nahverkehr oder in Geschäften sowieso – meiden“, ergänzt der Sprecher.
Nur ist von den medial aufbereiteten Fällen kaum jemand so krank. „Damit liegt weniger ein medizinisches als ein subjektiv-emotionales Problem vor. Viele Menschen stört die Maske, sie fühlen sich beengt und beeinträchtigt“, ergänzt der Sprecher.
In dieser Diskussion spielen also nicht nur Ärzte eine Rolle. Patienten, die den Mund-Nasen-Schutz ablehnen und deshalb ein Attest einfordern, üben Druck aus und erschweren das Problem. Hier als Mediziner nachzugeben, darf aus meiner Sicht dennoch keine Option sein.
Bildquelle: United Nations COVID-19 Response, unsplash