Weil SARS-CoV-2 das Enzym ACE2 zum Eintritt in die Zelle nutzt, besteht noch immer Unsicherheit bei Patienten, die ACE-Hemmer einnehmen. Mehrere Studien geben jetzt aber Entwarnung.
SARS-CoV-2 nutzt zum Eintritt in die Zelle das Enzym ACE2. Dieser krankheitsauslösende Mechanismus hat viele Patienten mit Bluthochdruck verunsichert, denn die blutdrucksenkende Therapie (mit ACE-Hemmern/ACEi oder Angiotensin-Rezeptor-Blockern/ARB) kann zu einer leichten Erhöhung von ACE2 führen – und mehr Eintrittspforten, so die Befürchtung, könnten Betroffene anfälliger für die Infektion mit dem Virus machen. Dieses Risiko stufte die europäische Bluthochdruckgesellschaft jedoch als sehr gering ein und rät Bluthochdruckpatienten, weiterhin ihre blutdrucksenkenden Medikamente wie verschrieben einzunehmen.
Doch die Datenlage zur Gabe von ACEi und ARB bei schwer erkrankten COVID-19-Patienten war bisher durchaus widersprüchlich. Einige Studien haben die Sicherheit der blutdrucksenkenden Medikamente bei COVID-19-Patienten hinterfragt, andere wiederum lieferten Hinweise, dass sie Betroffene sogar vor schweren Krankheitsverläufen schützen könnten.
Denn ACE2 hat gleichzeitig einen protektiven Effekt auf die Lungenfunktion: Es spaltet schädliches Angiotensin II. Ohne diese Umwandlung von Angiotensin II in harmloses Angiotensin 1-7 kann es zu Lungenschädigungen kommen und eine Abnahme von ACE2 führte im Tiermodell des akuten Lungenversagens sogar zu schwereren Krankheitsverläufen. Das legte eine Grundlagenstudie dar, die Ende Juli im Journal Science publiziert wurde. Doch in dieser Publikation heben die Autoren auch davor, dass diese Schutzfunktion vom Virus selbst außer Kraft gesetzt werden könnte: Wie bei vielen Gastzellen-Virus-Interaktionen wird die Expression des Virusrezeptors, also des ACE2, in SARS-CoV-2-infizierten Zellen durch das Virus herunterreguliert.
Zusammenfassend war bislang also unklar, welche Rolle die Blutdrucksenker tatsächlich im Krankheitsgeschehen spielen, ob sie Patienten mit schweren COVID-19-Verläufen schützen, schaden oder womöglich gar keinen Einfluss auf die Infektionskrankheit nehmen.
Eine Beobachtungsstudie aus dem Vereinigten Königreich wertete die Daten von über 28.000 Patienten aus, die wegen COVID-19 in ein Krankenhaus eingewiesen wurden. Im Ergebnis zeigte sich, dass die Rate an Todesfällen und kritischen Verläufen, bei Patienten, die Blutdrucksenker einnahmen, um fast 34 % reduziert war (OR: 0,66). „Das war für uns ein wichtiges und deutliches Signal, allerdings haben Beobachtungsstudien letztlich keine Beweiskraft für einen kausalen Zusammenhang. Der positive Effekt könnte auch durch andere Faktoren entstanden sein, z. B. schlichtweg dadurch, dass Patienten mit unbehandeltem Blutdruck ein höheres Sterberisiko haben. Die Studie beweist also nicht, dass Blutdruckmedikamente vor schweren COVID-19-Erkrankungen schützen“, erklärt Prof. Ulrich Wenzel, Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf, Vorstandsvorsitzender der DHL.
Auf dem ESC-Kongress wurden die Ergebnisse der BRACE-CORONA-Studie vorgestellt, der ersten randomisierten Studie zu COVID-19 und ACEi/ARB. 659 hospitalisierte COVID-19-Patienten wurden eingeschlossen und in zwei Gruppen randomisiert: Bei der einen Gruppe wurde die Medikation mit ACEi/ARB fortgesetzt, in der zweiten abgebrochen. Nach 30 Tagen wurde analysiert, ob es einen Unterschied im Überleben und in der Dauer des Krankenhausaufenthaltes gab. Im Ergebnis zeigte sich, dass das nicht der Fall war, die Ergebnisse in beiden Gruppen vergleichbar waren. Der Referent betonte in seinem Fazit, dass es also keinen Grund gibt, Blutdrucksenker bei COVID-19-Patienten abzusetzen.
„Wir denken, dass diese Studie mögliche Unsicherheiten, die bislang immer noch bestanden, aufhebt. Wir können nun mit ziemlich hoher Sicherheit sagen, dass die Blutdruckmedikamente keinesfalls schaden und eine COVID-19-Erkrankung verschlechtern oder sogar das Sterberisiko erhöhen. Patientinnen und Patienten können nun beruhigt ihre Blutdrucksenker wie verschrieben einnehmen und müssen vor dem Hintergrund der SARS-CoV-2-Pandemie keine Sorge haben, sich dadurch einem höheren Risiko auszusetzen. Wir sind froh, dass diese randomisierte Studie nun endlich Klarheit gebracht hat“, so Wenzel.
Die Pressemitteilung der Deutschen Hochdruckliga könnt ihr hier im Ganzen nachlesen.
Die Studien im Überblick:
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Bildquelle: Nate Neelson, Unsplash