Dieser Satz ist in schöner Regelmäßigkeit zu hören und zu lesen. Als Psychiater mache ich die Beobachtung, dass solche Aussagen großen Schaden anrichten können.
Bei der Aussage „Ab in die Psychiatrie“ handelt es sich nicht um eine ernst gemeinte Empfehlung, sich medizinische Hilfe bei psychischen Störungen zu holen. Dann würde man das ja auch anders formulieren.
Ob in Berichten über Corona-Demonstrationen oder Interviews mit eher ungewöhnlichen Zeitgenossen auf Facebook, Twitter oder Youtube – immer sind einige Kommentare dabei, die „da kann wohl nur noch der Psychiater helfen“ lauten. Wobei das noch eine der nettesten Formulierungen ist. Weiter geht’s dann meist mit den „Männern in den weißen Turnschuhen“ oder gleich der Gummizelle. Es scheint tatsächlich ein Faible zu geben für diese schräge Sicht auf die Psychiatrie, die allem Unverstandenen gerne einen Platz an diesem imaginären Ort zuweisen möchte, wo nicht Wissenschaft, sondern Mittelalter herrscht. Ein Ort, der sich dadurch auszeichnet, dass er ganz weit weg von den eigenen, natürlich „gesunden“ Einstellungen ist und der bevölkert wird von „den anderen“, die allesamt dem Wahnsinn verfallen sind.
Dass natürlich immer wieder einige Menschen durch äußerst krude Verschwörungsmythen auffallen, liegt gerade in diesen Zeiten in der Natur der Sache. Bei manchen dieser Aussagen kommt man schon auf die Idee, dass hier ein psychisches Problem nicht ganz auszuschließen ist.
Deshalb nochmal in aller Deutlichkeit: Aus TV-Bildern, Social-media-Posts und Handymitschnitten kann man keine Diagnosen stellen!
Ich bin überzeugt, dass bei der einen oder dem anderen, deren Aussagen wir zu hören und zu sehen bekommen, tatsächlich wahnhafte Störungen, gleich welcher Art, vorliegen dürften. Aber diagnostizieren kann man das nur nach genauer fachärztlicher Untersuchung.
Nein. Denn „die Psychiatrie“ gibt es nicht. Es gibt psychiatrische Kliniken, also Krankenhäuser, in denen Frauen und Männer mit psychischen Störungen behandelt werden. Die allermeisten dieser Patienten begeben sich freiwillig in die Klinik. Nur in Ausnahmefällen, nämlich wenn akute Selbst- oder Fremdgefährdung besteht und eine psychische Erkrankung die Ursache ist, kommt man unfreiwillig in die Klinik, wobei ein Richter diesen Aufenthalt genehmigen muss.
Psychiatrische Behandlung ist nicht gedacht für Schwurbler, Verschwörungsverwirrte oder Reichsbürger. Außer eine oder einer von denen entschließt sich dazu aus freien Stücken. Oder ist akut selbst- oder fremdgefährlich.
Schon gar nicht gedacht ist psychiatrische Zuwendung für Neonazis und Rechtsradikale anderer Couleur. Für die ist der Rechtsstaat mit all seinen Organen zuständig.
Und wenn jemand „Ab in die Psychiatrie“ schreit oder schreibt, was denkt er denn, wie es „in der Psychiatrie“ dann weitergeht? Ich habe manchmal den Eindruck, dass hier in den Köpfen der Menschen ein Bild vorherrscht, das sich aus nicht auszurottenden Vorurteilen speist. Ein Bild mit Zwangswesten, kalten Güssen und Hirn-Ops wie in „Einer flog über das Kuckucksnest“. Wer von denen, die „ab in die Psychiatrie“ rufen, wünscht denn den solchermaßen Eingelieferten empathische Zuwendung, echte Anteilnahme und Behandlung auf freiwilliger Basis?
Diese Einstellung zur Psychiatrie (als Fachgebiet der Medizin, nicht als Einrichtung) ist diskriminierend für alle Patientinnen und Patienten, das Pflegepersonal und die Ärztinnen und Ärzte, die auf diesem Gebiet arbeiten. Das „Ab in die Psychiatrie“ hindert nach meiner Einschätzung auch viele Menschen daran, sich vertrauensvoll an einen Facharzt für Psychiatrie zu wenden, wenn sie entsprechende Themen haben.
Es ist ein Symptom dafür, dass sehr viele Menschen, darunter auch Intellektuelle und ansonsten Gescheite und Besonnene, einem Zerrbild psychiatrischer Versorgung nachhängen. Vielleicht ist es der Wunsch nach einer Institution, die der Gesellschaft all diejenigen abnimmt, mit denen sie sich ansonsten auseinandersetzen müsste – sei es mit Diskussionen bei den einen oder mit Handschellen bei den anderen.
Aber dafür sind wir nicht da.
Es ist dem Fachgebiet Psychiatrie bis heute nicht gelungen, diesen blinden Fleck aus Ignoranz, Selbstschutz und verdrängten Wünschen nach einer „Gesundheitspolizei“ aus den Köpfen der Menschen zu bekommen.
Ich hoffe, wir schaffen das noch.
Peter Teuschel
Bildquelle: Michael Petrila, unsplash